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Nicht alle zahlen Tarif Was der IG-BCE -Bezirksleiter über die Zukunft des Chemiestandortes Leuna sagt

Der IG-BCE -Bezirksleiter im Gespräch über die Situation in Leuna, Forderungen für den Kohleausstieg und fehlende Angleichung an den Westen.

Von Robert Briest 08.06.2021, 09:15

Leuna - 80.000 Mitglieder zählt der Landesbezirk Nordost der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Er umfasst die neuen Bundesländer mit Ausnahme von Thüringen. Am Samstag kamen 90 Delegierte der IB BCE zur Konferenz im cCe Leuna zusammen. Robert Briest sprach anschließend mit Landesbezirksleiter Oliver Heinrich über fehlende Angleichung an den Westen und den anstehenden Strukturwandel.

Christof Günther, Geschäftsführer der Infra Leuna, erklärte jüngst beim Besuch von Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), dass am Standort Leuna Fachkräftemangel kein großes Problem sei, weil Tarifbindung zum guten Ton gehöre. Sind sie hier also zu Gast auf der Insel der Glückseligen?

Oliver Heinrich: Nein. Es stimmt so auch nicht. Wir haben tarifgebundene Unternehmen am Standort, aber es sind nicht alle. Auch gibt es Fachkräftemangel. Allerdings zeigt sich: Unternehmen, die Tarif zahlen, haben die Nase vorn. Leider haben das noch nicht alle Unternehmer begriffen.

Wie hoch ist denn der Anteil am Standort Leuna, der nicht Tarif zahlt?

Es sind mindestens ein Viertel der Beschäftigten, die nicht den Flächentarifvertrag haben. Beim reinen Entgelt sind die Unterschiede oft nicht so groß, aber wenn es um Arbeitszeiten oder Sozialleistungen geht schon.

Ein wichtiger Punkt des Leitantrages, den sie auf der Konferenz in Leuna verabschiedet haben, war die Angleichung der Konditionen in Ost und West. Wie groß sind denn derzeit noch die Tarifunterschiede?

In der Chemie werden wir 2023 beim Flächentarifvertrag die Angleichung erreicht haben. Aber es gibt Branchen, in denen es anders aussieht. Beispielsweise liegt in der Kunststoffindustrie die Wochenarbeitszeit im Osten bei 40, im Westen bei 37,5 Stunden. Die Kollegen hier müssen für denselben Lohn also zweieinhalb Stunden mehr arbeiten.

Sehen Sie dafür Gründe?

Nein. Es ist nicht mehr zu rechtfertigen. Der Wettbewerb läuft nicht zwischen Ost und West, sondern eher mit Asien. Hier müssen wir aber attraktiv für Fachkräfte sein.

Haben Sie bei der Forderung nach Angleichung den Rückhalt aller Regionen?

Ja. Es gibt eine große Solidarität. Im Westen, wird ja mit einer Verlagerung in den Osten gedroht. Um die Angleichung durchzusetzen, brauchen wir hier Stärke. Da findet auch ein Wandel statt. Bis vor fünf, sechs Jahren war die Angst vor einem möglichen Arbeitsplatzverlust noch ein Grund, warum manch einer die Klappe gehalten hat. Jetzt gibt es ein stärkeres Bewusstsein für den Wert der eigenen Arbeitskraft.

Stichwort Wandel. Der Strukturwandel ist derzeit wichtiges politisches Thema in der Region. Es gibt die ersten Vorschläge für sogenannte Leuchtturmprojekte. Gehen die Ideen aus Gewerkschaftssicht in die richtige Richtung?

Grundsätzlich ja. Es gibt aber auch Projekte, die aus der Förderung bezahlt werden sollen, auf die wir skeptischer schauen, etwa wenn es um Tourismus oder ein neues Dach geht. Neue Verkehrsinfrastruktur kann helfen. Die Projekte müssen aber vor allem den Anspruch haben, Industriearbeitsplätze zu schaffen. In Leuna sehe ich da zum Beispiel Chancen im Wasserstoff und den Ersatz fossiler Stoffe.

Neue Arbeitsplätze sind das eine. Was muss getan werden, damit die Kumpel, die jetzt etwa im Burgenlandkreis noch in der Kohle arbeiten, dorthin auch mitgenommen werden?

Es geht, aber die Herausforderung ist, den Kumpeln von heute, und sogar noch von morgen, eine Perspektive aufzuzeigen. Vielleicht kann man ihnen schon eine Weiterbildung für die 2030er Jahre garantieren, damit sie in der Kohle noch zu Ende arbeiten und dann wechseln können. Natürlich besteht die Unsicherheit, dass man nicht weiß, wie die Berufslandschaft in 20 Jahren aussieht. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass wir die große Industrie hier halten. Nehmen wir das Beispiel Schkopau.

Dort soll das Kohlekraftwerk 2034 vom Netz gehen. Ein Ersatz mit Gas ist geplant

.Ja. Da geht es nicht nur um das Kraftwerk, sondern den ganzen Standort. Es muss gesichert sein, dass es vor Ort bezahlbare Energie gibt, damit die Unternehmen nicht abwandern. Deswegen gilt es, sich nicht auf den Kohleausstieg zu konzentrieren, sondern auf den Einstieg. Wie kann ich regenerative Energien ausbauen und speichern, so dass wir auf dem internationalen Markt wettbewerbsfähig sind? (mz)