Notorischer Bankräuber vorm Landgericht Halle Rentner soll bei Banküberfall in Mücheln 110.000 Euro erbeutet haben
Wegen ähnlicher Delikte saß der 76-Jährige viele Jahre im Gefängnis. Die Tat im Geiseltall will er aber nicht begangen haben. Er sieht sich als Opfer eines Rachekomplotts und unfähiger Ermittler.
Halle/Mücheln/MZ - Es ist 9.20 Uhr am Morgen des 7. April 2021, als ein älterer Herr eine Bank in Mücheln betritt. Er trägt Jeans, Handschuhe, OP-Maske und Poncho. Vor dem Schalter zieht er einen Gegenstand, der einer Pistole täuschend ähnlich sieht und hält ihn der Angestellten vors Gesicht. Er reicht einen Beutel über den Schalter. Eine Minute später verlässt der Mann mit 110.800 Euro die Bank wieder. Ende Juli nimmt die Polizei einen 76-Jährigen in der Nähe des halleschen Steintors fest. Der Senior muss sich seit Donnerstag wenige Hundert Meter weiter vor dem Landgericht wegen schweren Raubes sowie Fahren ohne Führerschein in fünf Fällen verantworten.
Der Beschuldigte, weißes Haar, braune Lederjacke, Brille am Band um den Hals, kommt in Fußfesseln aus der JVA Halle, in der er seit Juli sitzt, zum Prozessauftakt. Das Leben hinter Gittern ist ihm geläufig. Mehrfach verurteilten ihn Gerichte wegen Banküberfällen zu Freiheitsstrafen. 14 oder 15 Überfälle habe er begangen, seit er mit etwa 30 die Karriere des Räubers eingeschlagen habe, rechnet der schwerhörige Senior vor. Er geht sehr offen mit seiner kriminellen Vergangenheit um, nutzt eine Prozesspause gar für ein kurzes Fernsehinterview.
Der übliche Verdächtige
Sein Standpunkt dort ist derselbe, den er auch gegenüber dem Gericht vertritt. Im konkreten Fall sei er unschuldig – zumindest bezüglich des Banküberfalls. Die Hauptbelastungszeugin, die in zwei Wochen vor Gericht aussagen soll, versucht er zu diskreditieren – Alkoholikerin, Messi, Assimillieu –, die Ermittler als unfähig darzustellen („Die größten Trottel des Polizeireviers“, „der dämlichste Staatsanwalt“): „Die waren unter Erfolgsdruck. Jetzt habe ich denen gepasst, wie die Faust aufs Auge.“ Die genaue Beweislage lässt sich am ersten Prozesstag, an dem das Gericht nur den Angeklagten hört, lediglich aus Fragen des Vorsitzenden Richters und Erklärungsversuchen des 76-Jährigen filtern.
„Banküberfälle lohnen heute nicht mehr. Es ist ein aussterbender Beruf.“
Der Angeklagte
Offenbar loggte sich das Telefon des Angeklagten wenige Augenblicke nach dem Überfall in eine Funkzelle in Mücheln ein. Zudem gab es wohl in den Tagen und Wochen nach dem Bankraub auffällige Bewegungen auf seinem Konto. Wichtigstes Puzzlestück ist aber die Bekannte des Angeklagten, die gegenüber den Ermittlern offenbar ausgesagt hat, der Angeklagte habe ihr gegenüber gestanden.
Senior beschuldigt Zeugin
Beide kannten sich aus dem sächsischen Waldheim. In der Seniorenabteilung der dortigen JVA hatte der Angeklagte die Schlussphase seiner bisher letzten Freiheitsstrafe verbüßt und war nach seiner Entlassung im Frühjahr 2020 dort wohnen geblieben. Er lernte die Frau kennen, mit der er nach eigenen Angaben, eine platonische On-Off-Beziehung führte. Ab April 2021 will er dann für sie Möbel und Babysachen im Wert von fast 9.000 Euro online gekauft haben. Das Geld habe sie ihm teils bar zurückgegeben, erklärt er die Kontobewegungen. Außerdem habe er eine Heimentschädigung und eine Erbschaft erhalten. Sein später in Mücheln geortetes Handy habe er entweder bei einem Besuch bei der Bekannte oder in einem halleschen Café vergessen.
Von dem Banküberfall in der Geiseltalstadt will der Senior erst im Juni 2021 erfahren haben. Da sei es zu einem handgreiflichen Streit mit dem neuen Freund der Bekannten gekommen, über den er sich zuvor abfällig geäußert habe. Daraufhin habe sie ihm mit Fahndungsbildern aus Mücheln gedroht, ihm diesen Überfall anzuhängen.
Den hält der Angeklagte wegen der hohen Beute für einen Insiderjob. Normalerweise gebe es in Banken heute vielleicht noch 5.000, 6.000 Euro zu holen. Dafür drohten dann sechs, sieben Jahre Haft: „Banküberfälle lohnen heute nicht mehr. Es ist ein aussterbender Beruf.“ Der Angeklagte klingt ein wenig wehmütig. Und gesteht aber nur die fünf Fahrten ohne Führerschein. Er fahre seit 50 Jahren unfallfrei – und betont: Als er sich nun den Mini gekauft habe, meldet er sich auch gleich in der Fahrschule an. Vor der klickten im Juli in Halle dann die Handschellen, als der 76-Jährige gerade seinen eigenen Wagen geparkt hatte.