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Nach erneuter Schlammlawine Nach erneuter Schlammlawine im Saalekreis: "Das ist eine Katastrophe"

Von Michael Bertram 01.06.2017, 08:00
Tonnenweise Schlamm hat sich innerhalb von elf Tagen zum zweiten Mal in den Straßen, Gärten und Häusern in Zingst ergossen.
Tonnenweise Schlamm hat sich innerhalb von elf Tagen zum zweiten Mal in den Straßen, Gärten und Häusern in Zingst ergossen. Peter Wölk

Zingst - Martin Kistenmacher steht in einem riesigen Loch inmitten der Böschung seines Grundstücks. Es sieht an diesem Mittwoch so aus, als hätte dort ein Riese einen Mammutbaum ausgerissen. Am Abend zuvor bahnte sich an der Stelle noch ein gewaltiger Sturzbach seinen Weg. Zum zweiten Mal innerhalb von elf Tagen suchte eine Schlammlawine das beschauliche Zingst heim.

„Die Wasser- und Schlammmassen bahnten sich von da oben ihren Weg quer über mein Grundstück“, sagt Kistenmacher und zeigt auf eine Mauer. 150 Jahre hatte sie das Schloss Zingst, das Kistenmacher vor einigen Jahren gekauft hat und seitdem Feriengästen für Übernachtungen anbietet, umgeben. Nach dem neuerlichen Unwetter klafft in der Begrenzung aus wuchtigen Steinen jedoch ein riesiges Loch.

„Das Wasser hat die Mauer einfach gesprengt“

„Das Wasser hat die Mauer einfach gesprengt“, schildert er die verheerende Wirkung des Unwetters. Am Fuß des Hanges verließ die Lawine das Grundstück durch die Tür. „Von der Pforte fehlt bislang jede Spur, die muss dort drüben irgendwo liegen“, sagt Kistenmacher und deutet in Richtung Bahndamm, vor dem sich sämtlicher Schlamm gesammelt hat.

Erst am Abend des 19. Mai war die Region von einem schweren Unwetter getroffen worden. Starkregen stiftete damals unter anderem auch in Schraplau, Nemsdorf-Göhrendorf oder Barnstädt Chaos. Durchfahrtsstraßen wurden überschwemmt, Keller von Häusern geflutet. Der Kreis bezifferte den Schaden mit einer Million Euro. Kaum waren die wichtigsten Aufräumarbeiten durch, zog am Dienstagabend erneut ein Unwetter über die Orte hinweg. Innerhalb kürzester Zeit fielen laut Deutschem Wetterdienst bis zu 30 Liter Regen pro Quadratmeter.

Seit Jahren schaut man in dem Querfurter Ortsteil besorgt auf den Hang

Wenn man mit den Betroffenen in Zingst spricht, ist deren Wut deutlich zu spüren. Seit Jahren schaut man in dem Querfurter Ortsteil besorgt auf den Hang, der über dem Dorf thront, sobald am Himmel dunkle Gewitterwolken aufziehen. Die Angst vor Schlamm, der von dem riesigen Acker ins Dorf laufen kann, war schon länger da.

„Es muss immer erst etwas passieren“, wettert Heiko Sander. Er selbst sitzt im Gemeinderat und kennt die Problematik. Er sieht die Schuld bei den Landwirten. „Die Felder da oben sind falsch angelegt“, glaubt Sander. „Außerdem fehlen Gräben, die Regenwasser aufnehmen können oder Schlammfänger, die es dort früher einmal gab“, sagt er. Statt einen Schutzstreifen anzulegen, der Wasser binden könne, wäre das Ackerland immer stärker an die Kante des Hanges herangerückt. Es sind schwere Vorwürfe in Richtung der Landwirte. Konkret geht es um die Agrargenossenschaft Weißenschirmbach, die einen Großteil der Flächen oberhalb von Zingst bewirtschaften soll.

Besuch von Umweltministerin Claudia Dalbert

Äußern wollte sich deren Vorsitzender am Mittwoch nicht. Man verwies auf den Besuch von Umweltministerin Claudia Dalbert (Grüne) an diesem Donnerstag. Dabei soll über mögliche Probleme und Lösungen offiziell gesprochen werden.

Dass gehandelt werden muss, das hat nach dem zweiten Unwetter binnen kürzester Zeit offensichtlich auch die Politik erkannt. „Das ist eine Katastrophe“, sagte am Mittwoch auch Querfurts Bürgermeisterin Nicole Rotzsch (CDU). Noch am Dienstagabend war sie nach einer Ausschusssitzung vor Ort geeilt, um sich einen Eindruck von der Lage zu verschaffen.

Anwohnerin in Zingst: „Ich weiß nicht weiter, ich ziehe weg“

„Ich werde den Ministerpräsidenten anrufen und darum bitten, dass schnellstmöglich Maßnahmen ergriffen werden, um die Menschen und ihr Eigentum zu schützen“, sagte Rotzsch. Auch sie verwies auf Schutzstreifen oder Schlammfänger, die installiert werden könnten. Und auch Frank Bannert zeigt sich entschlossen: Man wolle mit dem Landwirt über Vorkehrungen sprechen, man könne diese aber auch behördlich verfügen, sagte er im ernsten Ton.

Seit 2008 werde vor Ort bereits darüber diskutiert, wem welches Feld gehört und was zu tun ist, heißt es. Viel Zeit ist verstrichen, ohne dass es zu einem baulichen Schutz gekommen ist.

Zu viel Zeit für manche Betroffene. Eine ältere Dame steht am Mittwoch hilflos vor ihrem völlig verschlammten Grundstück. Am Abend habe sie zitternd im Haus die Schlammlawine auf sich zukommen sehen. „Ich weiß nicht weiter, ich ziehe weg“, sagt sie. (mz)

Der Schlamm kommt von den Feldern.
Der Schlamm kommt von den Feldern.
Peter Wölk