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Im Gespräch Landrat des Saalekreises zu Coronaregeln: „Wir werden nicht hinter Haustüren gehen“

Hartmut Handschak erklärt im Interview, welche Probleme er bei weiteren Kontaktbeschränkungen sieht und wieso der Staat auf die hohe Impfnachfrage nicht vorbereitet war.

Von Robert Briest Aktualisiert: 09.12.2021, 11:08
Der parteilose Landrat des Saalekreises Hartmut Handschak
Der parteilose Landrat des Saalekreises Hartmut Handschak (Foto: Katrin Sieler)

Merseburg/MZ - Seit November folgt im Saalekreis mit Blick auf die Coronapandemie ein Negativrekord auf den nächsten. Zuletzt kletterte die Inzidenz über 1.400. Mehr als 400 Infizierte sind mittlerweile verstorben. Im Gespräch mit Robert Briest erklärt Landrat Hartmut Handschak (parteilos), warum der Kreis dennoch keine zusätzlichen Regeln erlässt und wie es mit der Impfkampagne weitergehen soll.

Der Saalekreis hat die zweithöchste Inzidenz im Land und würde selbst in Sachsen im oberen Mittelfeld liegen. Dort gelten seit Wochen strenge Coronaregeln, Kultur und Sport liegen weitestgehend brach, die Gastronomie ist stark eingeschränkt. Auch die Landkreise Harz oder der Burgenlandkreis haben, etwa durch die 2G-Regel, schärfere Maßnahmen verfügt, als das Land. Der Saalekreis macht das nicht. Warum nicht?

Hartmut Handschak: Weil das, was wir derzeit an Maßnahmen haben, angemessen ist. Man kann immer mehr machen, aber wir sind in einem Bereich in dem Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Und ich sage immer: Zusätzliche Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und auf Akzeptanz stoßen.

Man könnte weitere Kontaktbeschränkungen anordnen, aber im öffentlichen Bereich sind Veranstaltungen ohnehin stark eingeschränkt und bei Einschränkungen im Privaten bin ich eher skeptisch. Wie will ich die kontrollieren? Außerdem wurde versprochen: Mit den Impfungen gibt es Freiheiten zurück. Deshalb bin ich lieber mit dem Land im Gleichschritt, um einen Flickenteppich an Regeln zu vermeiden.

Den gibt es doch jetzt schon. Im sächsischen Dölzig gelten andere Regeln als zwei Kilometer weiter in Günthersdorf, in Weißenfels andere als in Merseburg. Insgesamt sind die Regeln im Saalekreis jedoch vergleichsweise laxer.

Die Formulierung lax unterschreibe ich nicht. Wir haben angemessene Regeln. Wir haben zudem mittlerweile eine andere Bewertung der Situation. Die Inzidenz ist für mich nicht allein entscheidend, entscheidend ist die Situation im Klinikum, die Hospitalisierung. Und da sind wir nach wie vor in der Lage, die Menschen aus dem Saalekreis zu versorgen.

„Wer kann schon in die Glaskugel schauen?“

Landrat Hartmut Handschak

Der Chefarzt der Intensivstation des Basedow-Klinikums äußerte kürzlich die Befürchtung, dass schon in dieser oder der nächsten Woche das nicht mehr gelingen könnte, Umverlegungen von Intensivpatienten in der Region nicht mehr möglich sind, die Triage angewendet werden muss. Sie sehen das anders?

Wer kann schon in die Glaskugel schauen? Die Experten im Pandemiestab prognostizieren, dass wir bei der Inzidenz noch längere Zeit auf hohem Niveau bleiben. Von den Betroffenen müssen erfahrungsgemäß drei Prozent ins Krankenhaus, ein Teil von diesen auf die Intensivstation.

Aber das ist ein Konstrukt. Es kann ja zurzeit zum Beispiel keiner sagen, wie sich die Omikron-Variante auswirkt. Ich habe dem Ministerpräsidenten gesagt: Wichtig ist, dass im Zweifelsfall die Verteilung der Patienten im Land funktioniert. Das hat er versprochen.

Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, halten Sie eine Regelverschärfung auch deshalb nicht für sinnvoll, weil der Kreis sie nicht kontrollieren, nicht durchsetzen kann?

Wir waren letztes Jahr nach Weihnachten in einer ähnlichen Situation. Da gab es noch den 15-Kilometer-Bewegungsradius als Regelverschärfung, den ich kritisiert habe, weil man nicht vermitteln konnte, was der Unterschied sein soll, ob man sich 14 oder 16 Kilometer vom Wohnort entfernt. Noch mal: Maßnahmen müssen nachvollziehbar sein.

Wir kontrollieren in der Gastronomie, im Handel. Im privaten Bereich werden wir aber nicht hinter die Haustüren gehen. Da erwarte ich auch ein Stück Selbstverantwortung der Menschen. Ich bin immer dafür das mildeste Mittel zu wählen, das geeignet ist, um die Situation zu beherrschen.

„Das müssen Sie die Verantwortlichen in Berlin fragen.“

Landrat Hartmut Handschak

Derzeit sind 46 Kitas von Coronafällen betroffen, die Inzidenz im Grundschulalter liegt um 3.000. Beherrscht der Kreis die Lage dort noch ?

Der oberste Grundsatz lautet: Wir wollen eine flächendeckende Schließung der Schulen vermeiden. Und selbst wenn wir sie schließen würden, dann hätten wir immer noch die Pflicht zur Notbetreuung, die nach unserer Erfahrung 50 bis 60 Prozent der Kinder in Anspruch nehmen. Was würde da eine Schließung bringen? Wir hatten bisher lediglich sechs Kinder wegen Covid in stationärer Behandlung, alle hatten einen moderaten Verlauf. Deshalb gilt auch hier das Prinzip der lokalen Intervention. Zudem gibt es in den Schulen jetzt tägliche Tests, Maskenpflicht und ich sehe einen positiven Effekt bei den Größeren durch Impfungen.

Die, so betonen Sie stets, seien der Weg aus der Pandemie...

... ein wirksamer Weg. Es ist das beste Mittel, um zumindest für mildere Verläufe zu sorgen und Ansteckungsketten zu brechen. 70 Prozent der stationär behandelten Fälle sind Ungeimpfte.

Auch Gesundheitsminister und Ministerpräsidenten appellierten im November an die Bürger sich boostern zu lassen, mit 2G- und 3G-Regeln wurde der Druck auf Ungeimpfte erhöht. Doch die Impfbereitschaft traf auf zu wenig Angebot. Hausärzte sind mit Terminen schon im Januar, bis Ende September bestehende Impfzentren sind verschwunden. Die Folge sind teils stundenlanges Stehen in Warteschlangen. Warum war der Staat denn auf seinen eigenen Appell nicht vorbereitet?

Das müssen Sie die Verantwortlichen in Berlin fragen. Wir haben im September die Aufforderung bekommen die Impfzentren abzubauen. Die Finanzierung wurde eingestellt. Es war aber auch eine Zeit, wo die Impfnachfrage sehr gering war. Außerdem hatte die Kassenärztliche Vereinigung kommuniziert, dass die Hausärzte die Impfkampagne leisten können. Jetzt haben wir aber die vierte Pandemiewelle. Die Nachfrage nach Booster- und Erstimpfungen ist groß. Ich muss aber betonen: Wir als Kreis sind nicht primär für das Impfen zuständig. Das sind die Kassenärzte. Wir organisieren und unterstützen zusätzliche Angebote, stationär und ambulant.

Gerade die Auffrischungsimpfungen wären doch planbar gewesen. Man wusste doch, dass im Mai und Juni die Impfzentren voll waren.

Jens Spahn hat mal gesagt: „In der nächsten Pandemie sind wir schlauer.“ Es sind in Berlin und Magdeburg sicherlich falsche Entscheidungen getroffen worden. Wir haben Appelle an das Land gerichtet, dass wir in irgendeiner Form Impfangebote fortsetzen können. Denn es war absehbar, dass nach sechs Monaten wieder eine große Nachfrage kommt.

Land wollte kein Impfzentrum mehr

Das Land hat die Forderung abgewiesen?

Ja. Wir durften nur zwei mobile Impfteams behalten.

Der Kreis richtet im Merseburger Brühl-Center wieder ein Impfzentrum ein. Wann?

Die Impfstelle soll am 21. Dezember starten. Das wird über die Terminvergabe laufen. Auch im Nova in Günthersdorf soll es weiter ein stationäres Angebot geben. Mangels Personal nicht täglich, aber zumindest Freitag und Samstag. Und wir prüfen, ob wir noch ein drittes stationäres Angebot schaffen können. Da gibt es aber noch keine örtlichen Vorstellungen. Es hängt aber immer davon ab, ob Personal und Impfstoff zur Verfügung stehen.

Kritik kam zuletzt aus dem Nord- und Westkreis, weil man sich dort bei stationären Angeboten übergangen fühlte.

Die stationären Angebote sind nur eine von drei Säulen der Impfkampagne. Die wichtigste Säule sind die Hausärzte. Zudem haben wir noch die mobilen Impfteams, die in der Fläche Angebote für die Menschen im Landkreis machen, die nicht so mobil sind, also auch in Landsberg, Petersberg, Salzatal oder Querfurt.