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Hilfeschrei aus dem Saalekreis Hilfeschrei aus dem Saalekreis: Landwirt aus Obhausen protestiert gegen die Politik

Von Robert Briest 15.10.2019, 05:00
Die drei Kreuze sollen die drei Generationen auf dem Hof der Bittners symbolisieren.
Die drei Kreuze sollen die drei Generationen auf dem Hof der Bittners symbolisieren. Katrin Sieler

Obhausen - Am Straßenrand auf der Strecke von Querfurt nach Obhausen stehen drei Holzkreuze. Mannshoch, grün angestrichen. Doch gestorben ist hier niemand. Noch nicht. Glaubt man Mathias Bittner wäre das aber in Zukunft gut möglich. Und der kahlköpfige Mann in blauen Arbeitsklamotten kann auch schon den Schuldigen benennen: die Politik. Das Opfer: die Landwirtschaft, insbesondere die Familienbetriebe.

Agrarblogger „Bauer Willi“ ruft mit Mahnzeichen zum Protest auf

So wie jener, den Bittner am Rande der B 180 führt. Es ist eher ein kleiner Hof. 80 Hektar Ackerfläche, zwei lange Stallgebäude für die Schweinemast. Bittner ist 1998 mit seinen Eltern aus Nordrhein-Westfalen dorthin gezogen. Auch seine Töchter leben auf dem Hof: „Wir haben die drei Kreuze aufgestellt für die drei Generationen, die vom Sterben betroffen sind, wenn die Agrarpolitik von EU und Deutschland so weitergeht.“

Die Idee mit den grünen Kreuzen stammt nicht vom Bauern selbst, sondern aus der Region Nordrhein-Westfalen/Niedersachsen. Unter anderem der bekannte Agrarblogger „Bauer Willi“ ruft seit Anfang September dazu auf, diese Mahnzeichen aufzustellen – auch als Protest gegen das aktuelle Agrarpaket der Bundesregierung, das diverse Schutzmaßnahmen für Nutztiere und Insekten beinhaltet sowie ein Verbot des Unkrautvernichters Glyphosat ab 2024.

Kein Gewinn ohne Subventionen: Weniger als fünf Euro pro Tier

Bittner geht es aber eher um die Gesamtlage der kleineren Agrarbetriebe. Zu viel Dokumentationspflichten, zu viele Vorschriften. Auch die EU-Subventionen würden die Bauern unter Druck setzen: „Da legt man uns Handschellen an: Wenn du das nicht so und so machst, streichen wir dir die Subventionen. Die wollen wir ja eigentlich gar nicht, wenn wir nur mit unseren Produkten auf dem Markt genug Geld verdienen würden.“

Das ist aus seiner Sicht nicht möglich. Er rechnet vor: Pro Schwein bekomme er nach Abzug der Kosten im Schnitt zehn Euro vor Steuern, danach blieben weniger als fünf. „Da können Sie ausrechnen, wie viel Schweine man verkaufen muss, um drei Generationen zu ernähren.“ In seiner Anlage können Bittners Familie und die zwei Beschäftigten etwa 11.000 Tiere pro Jahr für die Schlachtung mästen.

„Es werden viele Vorschriften gemacht, die in der Praxis nicht anwendbar sind.“

Für die aus seiner Sicht zu niedrigen Preise für Agrarprodukte macht der Landwirt auch die Importe verantwortlich – vor allem aus Polen oder Russland. Er habe nichts gegen die Kontrolle der Landwirtschaft, aber dort würden nicht die gleichen Standards gelten wie hier. „Da fragt keiner nach Glyphosat.“

Bittner kritisiert vor allem, dass viel über die Bauern gesprochen werde, aber nicht mit ihnen. „Es werden viele Vorschriften gemacht, die in der Praxis nicht anwendbar sind.“ Als Beispiel nennt er, dass die Politik jetzt mehr Bio will. Für ihn ist das ein Weg zurück in die Steinzeit: „Nach dem Krieg hatten wir Bio.“ Diese Landwirtschaftsform benötige mehr Personal, was man nicht finde, und der Verbraucher in Deutschland gebe sein Geld lieber für anderes aus als Essen.

Bauernverband zeigt Verständnis für Protest von Landwirt

Seine Kreuze sieht er deshalb als Mahnung an die Politik, sich mit den Bauern an einen Tisch zu setzen. Er will sie aber auch als Appell an die Vorbeifahrenden verstanden wissen. „Fragt doch mal! Informiert Euch! Die Leute sagen oft, Massentierhaltung sei schlecht. Wenn sie sie sich dann ansehen, ändern sie ihre Meinung.“ Er sei da offen, Interessierten seinen Hof zu zeigen.

Mehr der Öffentlichkeit erklären, hatte auch „Bauer Willi“, alias Wilhelm Kremer-Schillings, als Strategie ausgegeben, als er im März beim Jahrestreffen des Bauernverbandes „Saaletal“ auftrat. Dessen Vorsitzender Thomas Prüfer hat zwar selbst keine Kreuze errichtet, zeigt aber Verständnis für die Aktion: „Aus meiner Sicht ist sie ein Hilfeschrei. Wir wollen mit der Landwirtschaft unser täglich Brot verdienen.“

Bauernverband sieht keine Benachteiligung der Familienbetriebe

Auch Prüfer teilt Bittners Einschätzung, dass sich die Politik für die Landwirte, die ja nur eine kleine Wählerschaft bildeten, nicht interessiere. „Die Lebensmittel kommen heute von überall her. Da braucht man den deutschen Landwirt nicht mehr, um die Bevölkerung zu ernähren.“ Der Verbandschef erwartet in der Zukunft weitere Proteste der Landwirte und verweist auf Frankreich oder die Niederlande, wo die Bauern zuletzt den Verkehr lahm legten.

In einem Punkt widerspricht er allerdings Bittner: Er sieht keine spezielle Benachteiligung der kleinen Familienbetriebe gegenüber den großen Agrargenossenschaften. Alle hätten mit dem schlechten Image zu kämpfen. Einig sind sich beide allerdings darin, dass dieses auch den Medien geschuldet ist. Bittner ist kein Mitglied im Bauernverband. Er hält die Organisation für zu politiknah. Er will lieber stärker den Kontakt zur Bevölkerung vor Ort suchen. So überlegt er künftig Kartoffeln zum Selbstsammeln anzubieten, um so Landwirtschaft erlebbarer zu machen. (mz)

Mathias Bittner betreibt mit Lebensgefährtin Vicky Schwalbe den Hof.
Mathias Bittner betreibt mit Lebensgefährtin Vicky Schwalbe den Hof.
Robert Briest