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Autobahnmeistereien Autobahnmeistereien: Riskanter Spülgang auf Sachsen-Anhalts Autobahnen

Von Ralf Böhme 13.09.2016, 05:56
Der Verkehr rauscht an den Straßenmeistern vorbei. Die Arbeiten auf der Autobahn sind immer mit Gefahren verbunden.
Der Verkehr rauscht an den Straßenmeistern vorbei. Die Arbeiten auf der Autobahn sind immer mit Gefahren verbunden. Andreas Stedtler

Peißen - Wer auf Sachsen-Anhalts Autobahnen unterwegs ist, braucht derzeit viel Geduld. Ob A 14, A 38 oder A 9: ein Hindernis folgt dem anderen. Das bedeutet: Tempo 100, wenig später 80 Kilometer pro Stunde. Immer wieder runter vom Gas. Dann blinkt auch schon ein großer Leuchtpfeil auf. Statt drei oder zwei Fahrstreifen stehen nur noch zwei oder ein Fahrstreifen zur Verfügung. Doch nicht nur Großbaustellen wie bei Schönebeck, Löbejün, Dessau oder Tornau sind an den ständigen Behinderungen und Staus Schuld. Oftmals ist es auch die Autobahnmeisterei, die die Schnellstraßen im Land sauber hält und damit für die Autofahrer sicherer macht.

Alle Gullys müssen kontrolliert werden

Dazu gehört diese Arbeit, die eigentlich nie im Blickpunkt steht: Einmal jährlich müssen alle Gullys auf einer Straßenlänge von insgesamt 94 Kilometern kontrolliert werden. Da ist viel zu tun. Der Chef der Autobahnmeisterei, Uwe Zwanzig, kennt die Standorte alle: Abläufe, Rinnen, Rohrleitungen, Rückhaltebecken. „Allein 1.900 Gullys müssen durch meine Leute gewartet werden.“

Kanalarbeit gehört zum Alltagsgeschäft. Dauerbaustellen sind dafür nicht erforderlich. Im Verkehrsfunk heißt das „Tagesbaustelle“. „So etwas passiert bei fließendem Verkehr“, erklärt Zwanzig. Und der ist auf Sachsen-Anhalts Autobahnen ziemlich dicht. Auf der A 9 werden täglich mindestens 70 000 Autos gezählt, auf der A 14 sind es 50 000. „Dafür ist auf der Autobahn 14 der Anteil der Lastwagen besonders hoch“, weiß der Chef der Autobahnmeisterei. Der Anteil liegt bei etwa 30 Prozent. Wer hier mit seinem Pkw eilig unterwegs ist, muss schon deshalb oft eine Geduldsprobe bestehen. Wenn dann auch noch eine „Tagesbaustelle“ dazu kommt, ist ein Stau vorprogrammiert. Und der führt zu Frust bei den Autofahrern. Und die Stoßgebete, die wohl jeder genervte Fahrzeuglenker irgendwann ausstößt, enden immer in einer Frage: Muss denn das sein?

Schkeuditzer Kreuz als größte Herausforderung

Martin Matthäes antwortet darauf kurz, knapp, lächelnd: „Ja, saubere Gullys müssen sein.“ Als Straßenwärter sitzt der Mittdreißiger am Steuer eines Spülwagens. Sein Auftrag: Dafür zu sorgen, dass beim nächsten Starkregen die Autos nicht in den Graben oder die Leitplanken rutschen. Ohne seine Kollegen und ihn bliebe das Wasser, trotz eines durchschnittlichen Gefälles der Autobahn von 2,5 Prozent, auf der Fahrbahn „stehen“. Dann droht das gefürchtete Aquaplaning. Ursache dafür ist physikalischer Natur: Steigt der Wasserstand auf der Straße, schieben die Reifen das Wasser vor sich her. So beginnt jedes Fahrzeug früher oder später zu „schwimmen“ - und der Fahrer verliert die Kontrolle über das Auto.

Arbeitsplatz Autobahn: Geräuschpegel wie auf einem Flugplatz

Sonnenschein und gute Laune - Martin Matthäes geht an diesem Morgen „on Tour“. Wer mit dem Kanalwagen startet, beginnt seinen Arbeitstag beginnt in aller Frühe auf dem Hof der zuständigen Autobahnmeisterei in Halle-Peißen. Am Anfang steht das Betanken, auch mit reichlich Wasser und Reinigungsmittel. Der Behälter auf zwei Achsen nimmt 8.000 Liter auf. Erst dann rollen Matthäes und Co. hinaus - dorthin, wo bei dichtem Verkehr ein Geräuschpegel wie auf einem Flugplatz herrscht.

Der Einsatz reicht von Halle-Trotha (Autobahn 14) und Halle-Brehna (Autobahn 9) jeweils bis zum Schkeuditzer Kreuz. Dieser Knotenpunkt, einst Deutschlands erstes Autobahn-Kleeblatt, stellt die größte Herausforderung dar. Um dort den Regen abzuleiten, gibt es ein überaus kompliziertes System, das mit zahlreichen Pumpen komplettiert ist.

Heute steht ein mehrere hundert Meter langer Abschnitt auf der Autobahn 9 auf dem Dienstzettel von Martin Matthäes. Ist der zugewiesene Autobahnabschnitt erreicht, muss „man sich sehr umsichtig seinen Platz auf der Piste reservieren“, erklärt Chef der Autobahnmeisterei, Uwe Zwanzig. „Das ist das Schwierigste an dem Job. Mit besonderer Rücksichtnahme durch andere Autofahrer sollte man besser nicht rechnen“, sagt er. „Die Gefahr ist riesengroß. Vor acht Jahren gab es sogar einen schweren Verkehrsunfall, bei dem ein Straßenwärter sein Leben vor.

Ein Gemisch, das praktisch Sondermüll entspricht

Vorsicht und Gelassenheit sind bei Martin Matthäes deswegen zwei sehr ausgeprägte Eigenschaften. Kein Hupen, kein Stinkefinger, einfach nichts und niemand bringt ihn aus der Ruhe. Voll konzentriert und immer im Blick hat er eine speziell konstruierte Hochdruck-Düse vor seinem Spülwagen, gleich vor der Motorhaube. Damit spritzt Matthäes die schier endlosen Regenabläufe entlang der Betonpiste sauber.

Die Wut der Autofahrer

So eine Rinne verträgt einen kräftigen Strahl. Sie ist 40 Zentimeter breit und 30 Zentimeter hoch. Das Problem: Innerhalb weniger Monate bildet sich dort ein Gemisch, das praktisch Sondermüll entspricht: Staub, Steine, Gummiabrieb, Ölreste, Plastikteile, verrottete Gräser und vieles mehr. Im Abstand von bis zu 40 Metern ist ein Ablauf mit einem Eimer eingelassen. Was sich über Monate angesammelt hat, schüttet die Besatzung der Kanalarbeiter in einen an Bord mitgeführten Spezialbehälter - für eine sachgerechte Entsorgung.

Ihre Spur ziehen Matthäes und seine Kollegen in orange unbeeindruckt von wütenden Autofahrern durch, die sie nur als ärgerliches Hindernis sehen. Dabei kommt der kleine Konvoi aus Warn-, Leit- und Arbeitswagen durchaus voran, wenn auch nur langsam: zwischen 300 und 600 Meter pro Schicht. So wie es die örtlichen Bedingungen eben erlauben. In diesem Tempo gelingt es dem 26 Mitarbeiter großen Team der Autobahnmeisterei jedes Jahr ein großer Kehraus im Revier. Und die Autobahnen in Sachsen-Anhalt werden ein bisschen sicherer - auch wenn das die Autofahrer nervt. (mz)

Der Spülkopf taucht in den Gully und reinigt ihn.
Der Spülkopf taucht in den Gully und reinigt ihn.
Andreas Stedtler