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Reformation Reformation: Experte sieht Luther auch heute als Vorbild

27.10.2002, 19:32

Wittenberg/dpa. - Der Reformator Martin Luther (1483-1546) ist nach Ansicht des Wittenberger Luther-Experten Stefan Rhein bis heute Vorbild im christlichen Glauben geblieben. «Ein Vorbild dafür, dass Glaube kein Ritual, sondern eine tägliche Herausforderung ist», sagte der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa). «Auch in katholischen Kreisen wird Luther verstärkt als "Vater im Glauben", als Vorbild für Frömmigkeit wahrgenommen und nicht mehr als Ketzer und Kirchenspalter gesehen.» Mit dem Reformationstag am 31. Oktober feiern die evangelischen Christen den Beginn der kirchlichen Erneuerung im 16. Jahrhundert.

«Die Frage, wie bekomme ich einen gnädigen Gott: durch Wallfahrten, durch Ablass, durch Askese, durch Almosen - diese Frage hat Luther über Jahre gequält, bis er erfuhr "Gott liebt mich so wie ich bin», erläuterte Rhein. Dieser einfache Satz sei der Grundpfeiler all dessen, was mit logischer Stringenz gefolgt sei: «Damit war der Ständelehre der katholischen Kirche der Boden entzogen.» Weil Luther das Sexuelle als etwas dem Menschen natürlich Gegebenes sah, habe er auch zu einer Neubewertung beigetragen. «Durch Luther ist die Kirche zu einem entspannteren Verhältnis zur Sexualität gekommen.»

«Luther war ein Intellektueller und ein geselliger Mensch, der sich nicht hinter dem Schreibtisch vor dem Volk versteckte», beschrieb Rhein den großen Wittenberger Reformator. «Ein Luther täte durchaus Not, um wieder eine größere Leichtigkeit in das kirchliche Leben hineinzubekommen. Ich habe das Gefühl, damit tut sich der Protestantismus heute schwer», meinte der Stiftungsdirektor.

Rhein erinnerte daran, dass aus Luthers protestantischem Geist außerdem eine große Weltkultur entstanden sei. «Er wirkt fort als ein faszinierendes Sprachereignis, nicht nur durch die Bibelübersetzung. Luther ist Teil der deutschen Sprache und Kultur.»

Die Lutherstätten in Wittenberg wie das Lutherhaus, in dem der Reformator 40 Jahre lebte, oder die Schlosskirche werden nach Rheins Angaben von jährlich etwa 250 000 Menschen aus aller Welt besucht. Der historisch nicht eindeutig geklärte Anschlag der 95 Thesen Luthers an die Wittenberger Schlosskirche am 31. Oktober 1517 sei bis heute «eine symbolisch aufgeladene Szene im Gedächtnis der Menschheit, vor allem für weltweit 360 Millionen Protestanten».

Zur Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt gehören in Wittenberg neben dem Lutherhaus, in dem der Reformator über 40 Jahre lebte, und dem Melanchthonhaus auch das Geburtshaus und das Sterbehaus Luthers in Eisleben. Die Museen sind seit 1997 Weltkulturerbe der UNESCO.