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Rechter Vorfall bei Schönebeck Rechter Vorfall bei Schönebeck: «Tagebuch der Anne Frank» wird verbrannt

Von Alexander Schierholz 30.06.2006, 18:20

Pretzien/MZ. - Nach der öffentlichenVerbrennung einer Ausgabe des "Tagebuchs derAnne Frank" und einer US-Flagge in Pretzien(Kreis Schönebeck) hat die StaatsanwaltschaftErmittlungen wegen Volksverhetzung aufgenommen.Der Vorfall ereignete sich am vorigen Samstagbei einer Sonnenwendfeier, wurde aber erstjetzt bekannt. Eingeladen zu dem Fest hatteder "Heimatbund Ostelbien". Er gibt sich alsBrauchtumsverein, wird aber wegen rechtsextremerUmtriebe vom Verfassungsschutz beobachtet.

Der "Heimatbund Ostelbien" gibt sich betont harmlos. An der August-Bebel-Straße mitten in Pretzien hat der Verein einen Pavillon zum "Touristischen Info-Punkt" ausgebaut. Im Schaufenster hängen Plakate für eine "Fledermaus"-Aufführung des Schönebecker Operetten-Sommers und für Konzerte in der örtlichen St.-Thomas-Kirche. Im Internet-Auftritt der Gemeinde nennt der Bund die "Heimat- und Traditionspflege" als sein Ziel.

"Martialische Reden"

Was die Mitglieder darunter verstehen, wurde vielen Einwohnern des 900-Seelen-Dorfes bei Schönebeck erst am vorigen Sonnabend schlagartig klar. Da lud der Heimatbund zu einem Sommersonnenwendefest im und am Dorfgemeinschaftshaus ein. Zunächst feiern die etwa 80 Besucher im Saal, dann werden sie auf die Wiese hinterm Haus gebeten und versammeln sich um ein Feuer. Die Szene muss gespenstisch gewirkt haben: Sechs dunkel gekleidete, mit Fackeln ausgerüstete junge Männer halten, wie sich ein Gast einem Medienbericht zufolge erinnert, "martialische Reden rund um den germanischen Kult der Sonnenwende". Anschließend verschwinden erst eine US-Flagge, dann eine Ausgabe des "Tagebuchs der Anne Frank" in den Flammen. Zurück bleiben schockierte Besucher. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg wird erst am Donnerstag von der Polizei hinzugezogen; sie ermittelt wegen Volksverhetzung gegen unbekannt.

Unter den Festgästen ist auch Bürgermeister Friedrich Harwig (PDS). Nachdem er zunächst Journalisten Rede und Antwort gestanden hat, will er am Freitag überhaupt nichts mehr sagen: "Ich gebe keine Kommentare ab", teilt er über die Sprechanlage seines Hauses mit.

Harwig ist selbst Mitglied im "Heimatbund Ostelbien". Doch der, so harmlos er sich gibt, ist nicht bloß ein Brauchtumsverein. Unter dem Namen "Skinhead-Kameradschaft Ostelbien-Pretzien" taucht er bereits im Jahr 2000 im Verfassungsschutzbericht Sachsen-Anhalts auf. Sein Vorsitzender Christian Seidel und ein weiteres Mitglied werden nach Angaben des Innenministeriums vom Verfassungsschutz beobachtet.

Dennoch, so heißt es im Dorf, habe Harwig versucht, die jungen Mitglieder des Heimatbundes über die Jahre hinweg immer wieder einzubinden. "Einerseits verstehe ich ihn", sagt die Frau, die in der romanischen Dorfkirche St. Thomas die Besucher betreut. "Andererseits haben wir ihn gewarnt, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann."

Andere werden deutlicher: Innenminister Holger Hövelmann (SPD) nennt den Umgang der Gemeinde mit dem Heimatbund "bestenfalls naiv". Wer in der politischen Nachfolge von Menschen stehe, die Millionen Juden ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben haben, könne sich heute nicht um Heimatpflege kümmern. "Rechtsextreme Gruppierungen lassen sich nicht durch eine Einbindung ins dörfliche Kulturleben bändigen", betont der Minister, der selbst sichtlich erschüttert ist. Die Bücher- und Flaggenverbrennung nennt er einen "Angriff auf die menschliche Kultur" und eine "Tat von besonderer Abscheulichkeit und Obszönität".

CDs an der Haltestelle

Rechte Aktivitäten spielen sich in Pretzien aber offenbar nicht nur unter dem Deckmantel des Heimatbundes ab. Anwohner berichten von jungen Leuten, die regelmäßig an einer Bushaltestelle mitten im Dorf CDs verkaufen. Mit rechtsextremen Texten? "Das weiß ich nicht", sagt eine Frau, "aber wenn man sieht, wie die aussehen, kann man sich das ja denken." Die CD-Händler kämen nicht nur aus dem Landkreis Schönebeck, "ich habe da auch schon andere Kennzeichen gesehen".

Die Polizei hat unterdessen bereits Zeugen vernommen, die Angaben zum Geschehen am vergangenen Sonnabend gemacht haben, wie ein Polizeisprecher in Magdeburg bestätigt. Die Ermittler hätten auch Hinweise auf bestimmte Personen erhalten, müssten diese allerdings noch prüfen. Für einen Mann, der in seinem Hof einen Rasentraktor säubert, steht aber bereits fest: "Das weiß doch jeder hier, wer das gemacht hat." Und wer? "Die Namen wird ihnen im Ort keiner sagen - viel zu gefährlich", winkt er ab, wünscht noch ein "schönes Wochenende" - und dreht sich um.

Auch Nachfragen beim Heimatbund sind zwecklos. Vorsitzender Christian Seidel wurde erst am Freitag aus dem Urlaub zurückerwartet. Und der "Touristische Info-Punkt" ist dicht.