Quedlinburg Quedlinburg: Das Kloster im Keller
Halle/MZ. - Von seiner Kuppe hat man den besten Blick auf das historische Quedlinburg. Buntes Fachwerk, krumme Gassen und die Türme von Sankt Blasii, Benedikti, Ägidien und Nikolai bestimmen das Panoramabild. Direkt gegenüber werden Dächermeer und Finkenherd vom Schlossberg überragt, auf dem die Residenz und die Stiftskirche St. Servatius thronen. Wahrhaft ein königlicher Blick. Er erinnert an die Zeit, als Heinrich I. und Otto der Große das Zepter hielten und hier so etwas wie die erste deutsche Hauptstadt war.
Siegfried Behrens bezeichnet diese Aussicht auch als Ottonen-Achse. Denn beide Anhöhen, der Schlossberg und der Münzenberg, besaßen vor mehr als 1 000 Jahren machtpolitische Bedeutung. Der Medizinprofessor aus Lemgo in Nordrhein-Westfalen ist 1994 rein zufällig auf den Münzenberg gestiegen. Zuvor hatte er im Fernsehen einen Film gesehen: "Quedlinburg, die kranke Stadt am Harz". "Meine Frau und ich waren so beeindruckt, dass wir spontan hierher gefahren sind."
Behrens, der bis April 2006 Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie am Klinikum Lemgo-Lippe war, hatte da schon einige Freizeit und Geld in historische Bauten seiner ostwestfälischen Heimat investiert und sie vor dem Verfall gerettet. Nun sollte seine Hilfe Quedlinburg zu Gute kommen.
Vom heutigen Fachwerkzauber noch weit entfernt, umfasste das Erbe damals noch viel zerfressenes Gebälk und zerbröselndes Mauerwerk. Und so kaufte das Ehepaar kurzentschlossen am dritten Tag seines Kurzbesuches eines der maroden Häuschen auf dem Münzenberg, um es wieder herzurichten. "Wie sehr sich danach mein Leben mit Quedlinburg verbinden würde", sagt Behrens heute, "war da noch nicht abzusehen." Und auch nicht, dass er die Straße der Romanik um einen weiteren Schatz bereichern würde. Denn bei der Sanierung des gerade erworbenen Hauses aus dem Mittelalter stieß Siegfried Behrens im Keller auf Fundamente der frühromanischen Kirche St. Marien, die von der Geschichte fast vergessen war.
Nach dem plötzlichen Tod von Kaiser Otto II. in Rom ließ seine Schwester, die Quedlinburger Äbtissin Mathilde, für das Seelenheil ihres Bruders auf der Anhöhe gegenüber dem Schlossberg ab 986 das Kloster St. Marien errichten. 500 Jahre lebten Nonnen nach den Ordensregeln der Benediktiner darin. Mit dem Bauernkrieg und der Reformation kam das Ende des verschlossenen Ortes. Er zerfiel und wurde ab 1580 bebaut, mit Resten der Klostermauer und auf die Fundamente von St. Marien.
Von da an hatte der Münzenberg lange Zeit wenig Verlockendes zu bieten. Die ehrsamen Quedlinburger mieden ihn und vor allem seine Bewohner. Es waren Hausierer, Kesselflicker, Scherenschleifer und Bettelmusikanten, die ihre Familien als fahrendes Volk ernährten und anderer Leute Besitz und Gesetze wenig beachtet haben sollen. Zu Reichtum haben sie es dennoch nicht gebracht. Schmal wie ihre Geldbeutel waren, bauten sie ihre Unterkünfte. Klein und ohne erkennbaren Baustil, doch mehrheitlich schmuck hergerichtet, drängen sich heute in den Gassen noch 60 Häuser, die über dem früheren Kloster entstanden sind.
Inzwischen ist der Münzenberg ein beliebtes Ziel für Touristen. Siegfried Behrens hat wesentlichen Anteil an dem gestiegenen Interesse. Mit fachlicher Unterstützung von Archäologen und des von ihm angeregten "Museumsverein Klosterkirche auf dem Münzenberg" wurde der verborgene Romanikschatz ausgegraben und konserviert. Tatkräftige Hilfe kam von Münzenberger Nachbarn, denn die Kirchenfundamente lagen über die Grundstücksgrenzen von Behrens hinaus unter zwölf Gebäuden. Einige Keller dienten als Werkstätten, Lager und Partyräume, wofür Ersatz nötig war. Doch Siegfried Behrens hat sein Ziel erreicht.
Der größte Teil der dreischiffigen Basilika ist freigelegt und kann im eigens eingerichteten Museum besichtigt werden, das vom Ehepaar zur treuhänderischen Verwaltung an die Deutsche Stiftung Denkmalschutz übergeben wurde. Ein Modell von St. Marien vermittelt einen Eindruck von dem 36 Meter langen und 16 Meter breiten Kirchenbau. Daneben sind in Vitrinen originale Gemäuerteile ausgestellt. Vollständig erhaltene Kopfnischengräber, die bei den Grabungen gefunden wurden, können unter einem begehbaren Glasfußboden besichtigt werden.
Fachkundige Auskunft gibt es dabei von Gerhard Ecke. Er ist ein echter Münzenberger, "der Einzige", wie er betont, "der noch immer in seinem Geburtshaus wohnt". Ecke war von Anfang an am Vorhaben von Siegfried Behrens beteiligt. Er hat den Museumsverein mit gegründet, und er vertritt den Medizinprofessor, wenn der sich zu Hause in Lemgo aufhält. Vertreten wird Ecke ihn auch heute. Auf Vorschlag der Stadt Quedlinburg wird Siegfried Behrens für sein denkmalpflegerisches Engagement am Münzenberg und seine Initiative an der Straße der Romanik mit dem Romanikpreis ausgezeichnet.