Prozess gegen Ex-Polizisten Prozess gegen Ex-Polizisten: Ziviler Dauergast in Halles Unterwelt
Halle/MZ. - Eines lässt sich schon nach dem ersten Verhandlungstag mit Bestimmtheit vermelden: Es ist ein harter Brocken, mit dem sich das erweiterte Schöffengericht um den Vorsitzenden Michael Pilz derzeit im Saal X 02 des halleschen Amtsgerichts befassen muss. Die Beantwortung der Schlüsselfrage des gestern Morgen begonnenen Bestechungs-, Betrugs- und Raub-Prozesses um den mittlerweile vom Dienst suspendierten Polizisten Sören R. wird aber wohl noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen: Handelt es sich bei dem 33-jährigen Angeklagten um eine Schlüsselfigur des organisierten Verbrechens im Raum Halle oder nur um ein Bauernopfer der großen Bosse?
Die gegen den ehemaligen Streifenbeamten des Polizeireviers Halle-Neustadt erhobenen Vorwürfe wiegen auf alle Fälle schwer. Mindestens zehn Mal soll der verheirate Familienvater zwischen Januar 1998 und Oktober 1999 Unterweltgrößen mit behördeninternen Informationen beliefert haben. Die Auskünfte zu bestimmten Kraftfahrzeugen und zu den Strafregistern einzelner Personen habe sich der mutmaßliche Stammgast des Neustädter Milieu-Treffs "Eselsmühle" jeweils mit 500 Mark vergelten lassen. Ebenso ungeheuerlich der zweite Hauptanklagepunkt: Danach soll Sören R. 1999 einen stadtbekannten Kriminellen wissentlich mit Uniformteilen versorgt haben, die anschließend bei Überfällen auf das hallesche Hotel "Kröllwitzer Hof" und die Poststelle in Könnern (Landkreis Bernburg) verwendet wurden.
Noch schweigt der Mann aus dem Saalkreis, der nach dem Platzen eines offenbar erschwindelten Bankkredits hoch verschuldet ist, zu den Vorwürfen. Seine Verteidigerin, die Frankfurter Staranwältin Annemarie Pospisil, hält das Heft des Handelns am ersten Verhandlungstag fest im Griff. Die Juristin, deren Mandanten-Liste Kollegen schon mal ehrfürchtig als "Who Is Who der deutschen Unterwelt" belächeln, macht sofort klar, wie sie auch ihren jüngsten Fall in Halle zu gewinnen gedenkt.
"Haben Sie mitbekommen, dass es bei den Gesprächen meines Mandanten in der Eselsmühle um den schwierigen Abschluss einer Krankenversicherung ging?" Mit dieser Frage löchert die Anwältin Pospisil jeden Zeugen, der aussagt, Sören R. in der fraglichen Zeit in dem zwielichtigen Wirtshaus gesehen zu haben. Von derlei legalen Geschäften, die der stets in Zivil aufgetauchte Polizist im Auftrag seiner Ehefrau wahrgenommen haben will, hat freilich angeblich niemand etwas gehört. Dafür sagt ein Dauergast aus, der ihm schon aus früheren gemeinsamen Tagen bei der Polizei bekannte Angeklagte sei ihm vom Wirt als "dessen Informant" vorgestellt worden. "Tatsächlich habe ich später einen handschriftlichen Auszug aus meinem Strafregister zugesteckt bekommen, dessen Inhalt nur aus dem Polizei-Netzwerk stammen konnte", so der Zeuge.
Auch ein anderer Mann kann sich erinnern, Sören R. als Quelle der zu jener Zeit von Weißrussen, Jugoslawen und Deutschen beherrschten Eselsmühlen-Szene kennengelernt zu haben. "Der Angeklagte tauchte immer wieder einmal beim Wirt auf und zeigte ihm bedruckte A-4-Blätter, die er dann auch schon mal gleich am Tisch verbrannte", sagt der Hallenser. Zum Inhalt der Papiere erfährt das Gericht zunächst keine Einzelheiten, weil der selbst von einer Strafverfolgung bedrohte Kneipen-Chef von seinem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch macht.
Am liebsten schweigen würde auch Mario Sch., der seit seiner Verurteilung für die Raubüberfälle in Halle und Könnern im Gefängnis sitzt und in Handschellen zur Vernehmung gebracht wird. Erst eine nachdrückliche Strafandrohung durch die Staatsanwältin und den Vorsitzenden Richter bewegt den 22-Jährigen zum Reden. "Die Uniformen hat der Drahtzieher der Überfälle nach eigenen Angaben von einem befreundeten Polizisten bekommen", so der Zeuge, der angibt, selbst während der Haft massiv bedroht zu werden. Ob es sich bei jenem Beamten um Sören R. handelt, kann Mario Sch. nicht sagen. "Ich habe den Mann nie selbst zu Gesicht bekommen."
Der vom Gericht vorerst auf drei Verhandlungstage terminierte Prozess wird am kommenden Montag mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt.