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Protest gegen Hartz IV-Gesetz Protest gegen Hartz IV-Gesetz: Kindergärtnerin buchstabiert die Agenda 2010 neu

Von Steffen Reichert 16.08.2004, 19:43

Magdeburg/MZ. - Sie sind alle gekommen. Karin Burgfeld und Schwester Silvia. Tochter Sandra hat Freundin Nadine mitgebracht. Sohn Henri ist sowieso dabei, und Onkel Peter, einst als Korbflechter tätig, ebenso. Und weil die 38-jährige Liane Fehrmann nicht wusste, mit wem sie gehen soll, hat sich die ehemalige Kollegin der Burgfelds bei der Großfamilie eingereiht. Ihr Mann verdient als Isolierer auf Montage gutes Geld. "Da bin ich ab nächstes Jahr völlig von ihm abhängig", schimpft sie. Denn ihr Teilzeitjob, den sie als Minijob ausüben könnte, wird sie nicht mehr antreten können. "Ich darf nicht soviel dazu verdienen."

Wütend ist Liane Fehrmann und traurig sowieso. Also steht sie auf dem Magdeburger Domplatz. Und wenn der Schröder hier wäre, der Bundeskanzler: Sie würde ihm so richtig die Leviten lesen. So aber stehen die Menschen - viele schon seit mehr als einer Stunde - in der Schwüle des Sommertages und erzählen sich oder den zahlreichen Reportern ihre Geschichten. Die Stich- und Reizworte sind immer die selben. Gesundheitsreform und ALG II, Politikerdiäten und Ministergehälter. Und wenn es ein Unwort des Tages gibt, dann ist es hier mit Sicherheit Hartz IV. "Ob rot, ob schwarz, wir wollen keinen Hartz", schallt der Ruf zwischen Nord / LB und dem entstehenden Hundertwasser-Haus.

"Ich bin nicht faul und dumm. Ich bin nicht bequem." Bärbel Fuchs, die richtig sauer auf solche Politkersätze reagiert, ist nun schon das vierte Mal dabei. Kindergärtnerin ist sie eigentlich. Aber Arbeit hat sie schon lange nicht mehr. Und so hat sie für die Demonstration an diesem Montag abend ein Plakat gebastelt, auf dem sie "Agenda" neu buchstabiert: A für Armut, G für Geldsorgen und E für Elend, und Nachbesserung, Demo und Arbeitslosigkeit ist auf dem Pappschild zu lesen, das sie kämpferisch in Richtung des kleinen Pickups reckt.

Dort, auf dem Lieferwagen, steht Bernd Sickel und gibt die letzten Hinweise. Er wirbt für Sachlichkeit, und - auch das gehört zu einer modernen Demo - er nennt die Sponsoren. Das Auto ist von einem Tiefbauunternehmen, der Lautsprecher von einem Tonstudio, die Technik von einer Elektrofirma. Die Initiatoren um Andreas Erholdt haben bewusst auf Angebote von Parteien und Gewerkschaften verzichtet. Unabhängig wollen sie sein, wenn sie durch die Hauptstadt ziehen. "Erst die Arbeit, dann Hartz IV", ruft der 56-jährige Sickel, selbst arbeitslos, vom Auto.

Zwei, die den Ruf aufgreifen, sind Michael und Gudrun Sossna. Die Hände ineinander gelegt, folgen sie dem Auto. Beide haben dieses Jahr ihren Job verloren. Er war kaufmännischer Angestellter, sie hat als Telefonistin im Call Center gearbeitet. Für den Großen suchen sie gerade einen Job. In Österreich, haben sie gehört, sollen Maurer rar sein. Und wenn der Kleine mit seiner Lehre fertig ist, dann gehen sie wahrscheinlich auch. Irgendwohin in den Westen. "Das hat ja hier keinen Sinn mehr", sagt der 43-jährige. Aber vorher, da wollen sie denen ganz oben nochmal so richtig die Meinung sagen.