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Prostatakrebs Prostatakrebs: Das Leben danach

Von Antonie Städter 13.08.2012, 17:41

Halle (Saale)/MZ. - Den Tag in der Stadt muss er peinlich genau planen - im Hinterkopf immer die Gedanken an das, was nicht passieren darf. Und die Angst, dass die Leute auf der Straße entdecken, was ihm nach seiner Prostata-Entfernung infolge eines Krebsleidens zu schaffen macht: Inkontinenz. Bis vor wenigen Monaten hätte er sich gar nicht vorstellen können, dass ihn so etwas in seinem Alter treffen könnte. Zum Glück kennt er mittlerweile die Bistros und Restaurants in der Stadt, in denen auch Nicht-Gäste meist gegen einen Obolus, aber unkompliziert die Toilette benutzen dürfen. Eine Ersatz-Vorlage hat er immer dabei - falls doch ein Malheur passiert.

Laut einer Studie der Krankenkasse Barmer GEK leiden Betroffene als Folge der operativen Entfernung der Prostata außer an Erektionsproblemen auch häufig unter Schwierigkeiten, den Harn zu halten. Darüber klagt demnach selbst ein Jahr nach dem Krankenhausaufenthalt noch fast jeder sechste Erkrankte. Ein großer Einschnitt in die Lebensqualität. Die Untersuchung der Kasse hatte Diskussionen darüber ausgelöst, ob bei Prostata-Krebs zu schnell operiert wird - weil es mitunter statt der OP auch die Möglichkeit der langfristigen Beobachtung gebe und die Folgewirkungen von Eingriffen so gravierend sind.

Gedanken an den Tod

Wie der Mann aus dem anfangs geschilderten Beispiel hat auch Markus Menge (Name geändert) aus einem Ort im südlichen Sachsen-Anhalt mit der Krankheit einiges durchgemacht. Er bekam den Prostata-Krebs in einem Alter, das eher untypisch ist für diese Diagnose. Er, damals 43, hatte gerade mit seiner Familie ein Haus gebaut. Der Umzug mit seiner Frau und der kleinen Tochter stand kurz bevor. Bei dem Selbstständigen lief es gut im Job. Dann, nach einer Blutuntersuchung, der Verdacht. Erhöhte PSA-Werte, die ein Indiz für Prostata-Krebs sein können. Eine Biopsie brachte die gruselige Gewissheit: bösartig. "Als ich es erfuhr, habe ich mich erst mal zwei Stunden an einen See gesetzt. Da geht einem vieles durch den Kopf - auch natürlich, dass man daran sterben kann", erzählt Menge heute, rund vier Jahre später.

Auch seine Frau ist damals fassungslos. Der Kinderwunsch kommt zur Sprache. Sie wollen unbedingt noch ein zweites. Doch: Nach einer Total-Entfernung der Prostata ist der Mann nicht mehr zeugungsfähig. Er kann zwar noch einen Orgasmus bekommen, aber keinen Samenerguss. Denn große Teile der Samenflüssigkeit werden in der Prostata und anderen Bereichen gebildet, die beim Eingriff entfernt werden.

Sein Arzt, ein Spezialist auf dem Gebiet, macht Markus Menge Mut. Er rät ihm wegen seines Alters und der nicht akuten Lage zunächst zur aktiven Überwachung. "Man muss sich dann natürlich mental darauf einstellen, dass man mindestens alle drei Monate zur Untersuchung muss", sagt der heute 47-Jährige im Rückblick. Er nimmt das in Kauf - genauso wie die beängstigende Vorstellung, der Krebs könnte wachsen und ihn stärker bedrohen. "Man fühlt sich innerlich hin- und hergerissen." Doch es geht gut mit der Entscheidung: Die erhöhten Werte sinken sogar. Und: Seine Frau ist wieder schwanger, bringt das zweite Kind zur Welt.

Das Glück bleibt indes nicht: Eine Biopsie drei Jahre nach der Erstdiagnose lässt Arzt und Patienten erschaudern. Etliche Einstichstellen mit positivem Ergebnis zeigen: Der Krebs ist mächtig gewachsen. Schnell wird eine OP anberaumt, der Urologe will nicht mehr warten. Markus Menge auch nicht. Natürlich kennt er die Folgen, die so ein Eingriff haben kann: Inkontinenz, Erektionsstörungen, sexuelles Desinteresse. Doch das ist für ihn in dieser Situation zweitrangig. Nach dem Eingriff im Frühjahr 2011 ist klar: Es war höchste Eisenbahn, der Tumor war bereits an den Rand der Prostata gewuchert.

"Die OP war für mich die beste Entscheidung", weiß Markus Menge. Bei seiner anschließenden Reha lernt er aber auch Männer kennen, "die offenbar verpfuscht wurden". Die Leidensgenossen tauschen ihre Erfahrungen über eben jene Tabu-Themen aus, über die viele sonst nur mit engen Vertrauten sprechen. Denn: "Dort hat jeder erst einmal die gleichen Probleme." Menge trifft Männer, die Schwierigkeiten mit der Libido oder beim Sex nicht so locker nehmen wie er. Einer habe seinem Arzt kurz vor der OP gesagt, er könne alles machen - aber nicht ihm die Erektionsfähigkeit nehmen. Doch auch er bekam damit Probleme. Es sind viele Betroffene, die zunächst vor allem die Erektionsstörungen fürchten, die laut der Studie fast drei Viertel der Operierten länger beeinträchtigen. Sie haben Angst, kein "ganzer" Mann mehr zu sein.

Nur scheinbar Nebensächliches

Doch: "Eine Inkontinenz belastet die betroffenen Männer letztlich oft mehr, weil das jeden Tag unweigerlich Thema ist", sagt Rüdiger Bolze, Vorsitzender des Regionalverbandes Prostata-Selbsthilfe der neuen Bundesländer und Leiter einer Selbsthilfegruppe in Halle. Manche werden die Inkontinenz nicht mehr los. Problematisch sei, dass die Betroffenen nur eine begrenzte Zahl an Vorlagen von den Kassen erstattet bekommen. Bolze spricht zudem einen Mangel an, der Außenstehenden als Nebensächlichkeit erscheinen mag, Männern mit Vorlagen aber Probleme bereitet: "Wir fordern, dass auf Herrentoiletten Hygienebehälter wie bei Frauen aufgestellt werden."

Die Zeiten, in denen Markus Menge auf Vorlagen angewiesen war, sind vorbei. Was nicht heißt, dass das Thema für ihn abgehakt ist: "Heute muss ich viel schneller und dringender." Während in Sachen Sex in den Wochen nach der OP erst einmal gar nichts gegangen sei, ist es heute fast wie früher. Das freut ihn, er sagt aber auch: "Entscheidend ist, dass ich lebe."