Nach Zugunglück Nach Zugunglück: Bewegende Trauerfeier in Halberstadt

HALBERSTADT/MZ. - Die Männer und Frauender Kirchgemeinde Oschersleben haben ihr großesKerzenkreuz mitgebracht. Gezimmert aus rohenBrettern, liegt es auf dem Boden im Altarraumdes Halberstädter Doms. Zehn weiße Kerzenstehen auf dem Kreuz, Mitglieder des OschersleberNotfallteams haben sie angezündet, eine nachder anderen. Zehn Kerzen für zehn Leben. Gedenkenan die zehn Menschen, die am Wochenende zuvorbeim Zugunglück in Hordorf (Börde) ums Lebengekommen sind.
Es ist dies die stärkste Geste innerhalb derTrauerfeier für die Opfer, die am Sonnabendin Halberstadt stattfindet. Rund 800 Menschensind im Dom zusammengekommen, Angehörige,Freunde, Feuerwehrleute, Rettungssanitäterund Polizisten, Mitarbeiter des Harz-Elbe-Expresses(Hex). Viele von ihnen ringen sichtbar umFassung, s>manche weinen still vor sichhin.
Es ist an Ministerpräsident Wolfgang Böhmer(CDU) und der evangelischen LandesbischöfinIlse Junkermann, welche die Predigt hält,das Leid und das Entsetzen und die Ohnmachtin Worte zu fassen. Junkermann tut das, indemsie bekennt, das eben das eigentlich nichtmöglich ist. Die Bischöfin findet deshalbdas tröstliche Bild von der Sprache der Kerzen:zehn für jedes Leben, und jedes Leben, soJunkermann, hat geleuchtet.
Böhmer tut das, indem er Dank sagt: den mehrals 300 Rettungskräften, aber auch den Einwohnernvon Hordorf, die als erste an der Unglücksstellewaren. Das Bördedorf sei damit auch zu einem"Ort gelebter Mitmenschlichkeit" geworden.Doch alle Helfer und auch die Überlebenden,sagt der Regierungschef, werden die Bilderder Katastrophe nicht so schnell aus ihrerErinnerung tilgen können: "Seelisch Verwundeteleiden still, aber auch sie leiden und brauchenunsere Hilfe."
Auch Böhmer und Junkermann kommen nicht ander Debatte über die Ursachen des Unglücksvorbei. Beide erinnern daran, dass Menschenfehlbar seien, dass, so die Bischöfin "niemandvor Versagen und Schuld gefeit" sei. Der katholischeBischof des Bistums Magdeburg, Gerhard Feige,schließt in seiner Fürbitte auch den Lokführerdes Güterzuges ein, der möglicherweise zweiHaltesignale nicht beachtet hatte.
Böhmer ruft auch zu Sachlichkeit auf: "Esgibt nicht den geringsten Grund für voreiligeund pauschale Schuldzuweisungen." Die Aufklärungdes Unglücks, mahnt er, solle man den Fachleutenüberlassen. Den Streit um fehlende Sicherheitstechnikauf der Unglücksstrecke und eine möglicheMitverantwortung der Bahn wird dieser Appellnicht stoppen können: Helfer berichten, unterFeuerwehrleuten, die bei dem Zugunglück imEinsatz waren, herrsche Wut über die Bahn,welche die Strecke noch nicht mit einem automatischenBremssystem ausgerüstet hat. "Dann", sagteiner, "wäre das vielleicht gar nicht passiert."
Dass vor diesem Hintergrund die Bahn psychologischenBeistand angeboten hat, macht die Sache nichtbesser. Der Konzern schickte dem Hex-BetreiberVeolia ein Team von zehn Psychologen zur Hilfebei der Betreuung von Mitarbeitern und Fahrgästen.Damit davon auch Hinterbliebene s>profitierenkönnen, erbat Veolia bei den Behörden derenKontaktdaten - und blitzte aus Datenschutzgründenab. Regierungssprecherin Monika Zimmermannverteidigt die Entscheidung: Die Angehörigenwürden bereits seelsorgerisch und psychologischbetreut, sie müssten geschützt werden. DasVorgehen von Veolia nennt Zimmermann "unprofessionell".Ein Veolia-Sprecher will das nicht kommentieren- auch weil man sich mittlerweile geeinigthat: Bei Bedarf soll Landespolizei-SeelsorgerinThea Ilse den Kontakt zu den Bahn-Psychologenvermitteln. Laut Veolia haben einige Hinterbliebenevon dem Angebot schon Gebrauch gemacht. Zudembetreuten die Bahn-Psychologen auch die Mitarbeiterdes Harz-Elbe-Expresses.
Die haben bei der Katastrophe zwei Kollegenverloren, die Schaffnerin und den Lokführerdes Unglückszuges. Rund 40 Hex-Beschäftigtenehmen an der Trauerfeier teil. Geschlossenziehen die Eisenbahner in den Dom ein, einigehaben sich untergehakt, als wollten sie sichgegenseitig Halt geben. Am Ende des Gottesdienstesgehen viele von ihnen nach vorne, dorthin,wo das Holzkreuz im Altarraum liegt. Wie Angehörigeund Freunde der Toten entzünden sie weitereKerzen, legen Blumen nieder und ein Foto vomHarz-Elbe-Express mit einem Gedicht. Mit demKreuz haben die Menschen einen Ort gefunden,an dem sie ihre Trauer ausdrücken können.
