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MZ-Serie "Lebensträume" - Teil 4 MZ-Serie "Lebensträume" - Teil 4: Familie Haensel wohnt auf einem kaiserlichem Hügel in Crüchern

Von Julius Lukas 19.08.2015, 19:14
Antje und Siegfried Haensel haben ihr Glück gefunden. Sie wohnen in einer alten Mühle.
Antje und Siegfried Haensel haben ihr Glück gefunden. Sie wohnen in einer alten Mühle. Andreas Stedtler Lizenz

Crüchern - Dass das Haus von Antje und Siegfried Haensel etwas besonderes ist, zeigt schon die Adresse. Die beiden wohnen in einer Mühle im Salzlandkreis-Örtchen Crüchern, rund zehn Kilometer von Bernburg entfernt. Allerdings befindet sich ihr Heim nicht in einer Straße - zumindest wenn man der Adresse vertraut. Die lautet nämlich kurz und knapp: „Crüchern 1“. Das erste Haus im Dorf also. Und eine exponierte Stellung kann man ihm nicht absprechen.

Der Weg zur Mühle beginnt etwas abseits des Ortes und führt einen kleinen Hügel hinauf. Schon von weitem ist das schneeweiße Gebäude zu sehen. Mit seiner markanten Kegelform, jedoch ohne die charakteristischen Flügel, thront es auf dem Mühlberg. Der ist zwar nur 109 Meter hoch, man könnte ihn aber trotzdem als den Mount Everest des ansonsten tellerflachen Salzlandkreises bezeichnen - und als einen kaiserlichen Berg obendrein.

Napoleon war hier

Der Gipfel samt Mühle hat nämlich etwas herrschaftliches - auch wegen der Besucher, die schon oben waren. Der französische Kaiser Napoleon, der halb Europa besetzte, rastete auf einem Feldzug hier. Damals stand die Mühle der Haensels allerdings noch nicht. Deren Bau wird auf das erste Viertel des 19. Jahrhunderts datiert. Früh genug, um den zweiten kaiserlichen Besuch zu erleben.

Während eines Manövers 1913 wählte Wilhelm II. den Mühlberg als Quartiersplatz. In Zeugenberichten ist zu lesen, dass der Andrang der Untertanen aus dem umliegenden Dörfern groß gewesen sei. Ebenso groß war allerdings das Bemühen des kaiserlichen Garderegiments, niemanden an den deutschen Machthaber heranzulassen. „Nicht einmal den Bart konnte man erkennen“, wird ein Augenzeuge zitiert. Die heutigen Herrscher des Hügels sind da zugänglicher. Auf dem Gipfel angekommen, warten sie bereits. Zwei groß gewachsene, schlanke Personen. Siegfried Haensel ist 76 Jahre alt, leitete früher ein Autohaus. Seine Frau Antje ist zwei Jahre jünger, ehemalige Erzieherin. Seit 1997 besitzen beide das Haus mit der Nummer 1 in Crüchern. „Meine Frau hatte schon immer ein Faible für Mühlen“, sagt Siegfried Haensel. „Und ich bin auf dem Land groß geworden und konnte mich mit dieser Idee anfreunden.“

Haensel ist in Schlesien aufgewachsen. 1945 wurde seine Familie vertrieben. Sie flüchtete nach Bernburg. „Weil wir hier Verwandtschaft hatten“, erzählt Haensel. In der Saalestadt lernte er auch seinen Frau kennen. Zusammen lebten sie jahrzehntelang in einem Reihenhaus. Eine Mühle sei zu DDR-Zeiten schwer zu bekommen gewesen. „Was uns in der Stadt immer fehlte, war die Natur“, sagt Antje Haensel. An freien Tagen fuhren sie deswegen oft mit ihren drei Kindern aus der Stadt raus: „Wir wollten einfach ins Grüne.“

Welche gigantischen Ausmaße das Grundstück der Haensels hat und warum das Wohnen in einer Mühle gewöhnungsbedürftig ist, lesen sie auf Seite 2.

16.000 Quadratmeter großer "Garten"

Erst nach der Wende bot sich die Chance, auf das Land zu ziehen. Sie bauten ein Haus in einem kleinen Dorf. Dann wurde die Mühle frei. „Da konnten wir nicht widerstehen“, sagen sie. Nun hatten die Haensels, was sie jahrelang vermissten: Natur, sehr viel Natur. Und die beginnt schon rund um die Mühle. Das Grundstück ist 16.000 Quadratmeter groß. Wiesen und Weiden wechseln sich ab. Schuppen stehen neben Ställen und Garagen. Es gibt Obst- und Nussbäume. Eine Idylle, in der jedoch etwas fehlt. „Früher hatten wir hier noch Tiere“, sagt Antje Haensel. Schafe, Ziegen und Pferde seien auf den Weiden unterwegs gewesen. Zuletzt waren es drei Esel. „Weil mein Mann meinte, dass zu einer Mühle auch Esel gehören.“ Die machten jedoch auch viel Arbeit. „Um das Grundstück können wir uns noch gut kümmern, aber die Tiere waren irgendwann zu viel.“

Die Esel sollten nur zusammen weggeben werden. Anfang des Jahres bot sich die Chance. Ein Landwirt aus Sachsen hatte Interesse. Der suchte Esel für seine Rinderherde. „Die sollen dort die Wölfe vertreiben“, sagt Haensel und erklärt dann: „Esel sind keine Fluchttiere und stellen sich den Wölfen in den Weg.“ Eine Erfahrung, die auch der ehemalige Hund der Haensels machen musste. „Der wurde so manches Mal von den Eseln über das Grundstück gejagt.“

Vom kleinen Tierpark blieben zwei Katzen übrig. Die räkeln sich gerade auf dem Platz vor der Mühle in der Sonne, als Siegfried Haensel die schwere, dunkle Holztür öffnet, die ins Innere seines Hauses führt. „Die Tür ist noch original“, sagt er. Von der einstigen Mühlenausstattung sei sonst fast nichts geblieben. Nur einen Mühlstein fanden sie noch im Garten. „Die gesamte Technik und auch die Flügel wurden nach 1945 ausgebaut“, berichtet Haensel. Damals endete die Nutzung als Mühle, die Umgestaltung zu einem Wohnhaus begann.

Vier Etagen in dicken Mauern

Den historischen Charme des Gebäudes haben die Haensels trotzdem versucht zu bewahren. In ihren Wohnräumen stehen alte Schränke und Truhen. An der Wand hängen historische Landschaftsbilder. Und was sich in Inneren sofort zeigt: In einer Mühle hat man viel Platz. Die Räume sind riesig. 300 Quadratmeter Wohnfläche sind es insgesamt. Verbunden werden die vier Etagen durch eine steile Treppe ohne Geländer. Dass man in einer Mühle ist, merkt man nur noch an den dicken Mauern und der Kegelform, die die Räume rund macht. Bilder aufzuhängen ist da gar nicht so einfach. Damit haben sich die Haensels allerdings arrangiert. „Wir sind noch immer sehr glücklich darüber, dass wir hierher gezogen sind“, sagen sie. Auch wenn es manchmal etwas einsam sei. „Dafür haben wir die Natur vor der Tür - das wollten wir ja so“, sagt Antje Haensel.

Und außerdem hat man von Mühlberg eine Sicht, die es im Salzlandkreis nicht so oft geben dürfte. Im vierten, dem obersten Geschoss der 15 Meter hohen Mühle, deutet Siegfried Hänsel aus einem Fenster. „Bei gutem Wetter kann man von hier den Brocken erkennen“, sagt der 76-Jährige. Auch Magdeburg und der Petersberg seien in Sichtweite. Wahrscheinlich suchten sich die Kaiser den Mühlberg als Station auch deswegen aus, weil sie von dort oben das ganze Land überblicken konnten. (mz)

Im nächsten Teil der Serie stellen wir ein Solarhaus in Merseburg vor.

Das Wohnzimmer hat - wie alle anderen Räume auch - keine Ecken. Das war zunächst für Familie Haensel etwas gewöhnungsbedürftig.
Das Wohnzimmer hat - wie alle anderen Räume auch - keine Ecken. Das war zunächst für Familie Haensel etwas gewöhnungsbedürftig.
Andreas Stedtler Lizenz