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MZ-Interview MZ-Interview: «Wir müssen zuerst die Schulden tilgen»

12.12.2004, 18:27

Halle/MZ. - Die AOK Sachsen-Anhalt erwirtschaftet zwar Überschüsse. Aber die senkt ihren Beitrag nicht. Über die Gründe sprach die MZ mit dem Vorstandsvorsitzenden Günter Kasten.

Herr Kasten, die Frage aller Fragen an einen Krankenkassen-Chef in diesen Tagen lautet: Werden Sie zum Jahresanfang die Beiträge senken?

Kasten: Nein. Es bleibt bei unseren 14,4 Prozent. Ein Beitragssatz, der übrigens seit 1998 stabil ist.

Aber wir hören täglich, dass die Kassen durch die Gesundheitsreform hohe Zuschüsse erwirtschaftet haben.

Kasten: Richtig ist, dass durch die Gesundheitsreform die Belastungen für die Versicherten deutlich gestiegen sind - nicht nur wegen der zehn Euro Praxisgebühr. Auch bei Zuzahlungen etwa für Arzneimittel. Leistungen wurden aus dem Katalog der Kassen ausgegliedert. So übernehmen wir zum Beispiel keine Kosten mehr für Brillen. Das hat die Kassen zweifellos entlastet. Ohne diese Reform lägen die Beiträge heute deutlich über 15 Prozent. Die Beitragssatzstabilität ist also ein wichtiger Reformerfolg.

Ministerin Ulla Schmidt hat den Versicherten versprochen, dass die höheren Belastungen durch Beitragssenkungen ausgeglichen werden. Was machen Sie damit?

Kasten: Wir müssen zunächst die Schulden tilgen. Die Verschuldung der Kassen betrug zum Ende 2003 auf Bundesebene fast neun Milliarden Euro. Bei der AOK Sachsen-Anhalt sind es 160 Millionen. Diese Schulden haben sich angehäuft durch politisch verursachte Verschiebebahnhöfe, die zu weniger Einnahmen führten, sowie durch Kosten des Aufbaus der Kasse. Das Kieler Institut für Systemforschung hat errechnet, dass der Beitragssatz der Krankenversicherung ohne diese Verschiebungen heute bei durchschnittlich 11,8 Prozent liegen könnte.

Auch eine Mitte der 90er Jahre vom damaligen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer gesetzlich verordnete Beitragssenkung um 0,4 Prozent - ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Kassen - hat dazu beigetragen. Bis 2008 sind wir verpflichtet, diesen Berg abzutragen.

War also das Versprechen von vornherein illusorisch?

Kasten: Eindeutig ja. Darauf haben wir von Anfang an hingewiesen. Gleichzeitig müssen wir noch einen anderen Umstand betrachten. Wir hatten Mitte des Jahres noch 70 Millionen Euro Überschuss. Zum Jahresende werden wir froh sein, wenn es 25 Millionen sind.

Woran liegt das?

Kasten: Die Einsparungen im ersten Halbjahr 2004 sind größtenteils Folge der höheren Zuzahlungen. Zudem hatten sich viele Versicherte Ende 2003 noch mit Arzneimitteln eingedeckt. Diese Entlastung versiegt. Unsere Arzneimittelausgaben sind, nachdem sie 2004 zunächst stark gesunken sind, jetzt wieder auf dem Niveau des Vorjahres. Wir haben zurzeit 170 000 Mitglieder, die auf Grund der Überforderungsklausel von Zuzahlungen befreit sind. Darunter sind 150 000 chronisch Kranke. Dieses Geld fehlt. Hinzu kommt, dass sich viele jetzt noch einmal mit Medikamenten bevorraten, denn die Zuzahlungsbefreiung gilt immer nur für ein Jahr. Außerdem brechen uns die Einnahmen weg. Die Menschen verdienen weniger Geld, Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld werden zurückgefahren.

Schmidt wirft den Kassen Untätigkeit vor. . .

Kasten: . . .was eine Unverschämtheit ist. Die Politik hat etwa mit Zugeständnissen an die Pharmaindustrie selbst dafür gesorgt, dass die Einsparungen geringer als möglich ausfallen. Bleiben wir bei den Zuzahlungsbefreiungen. Wir hatten vergangenes Jahr 60 000 chronisch Kranke. 2004 haben wir durch die von Frau Schmidt maßgeblich beeinflusste neue Definition eines chronisch Kranken wie gesagt 150 000. Aber es ist nicht etwa die Zahl der Kranken gestiegen. Die Chroniker-Regelung ist nicht medizinisch begründbar, sondern ist nach allen Seiten auslegbar. Die Politik hat die Auswirkungen nicht bedacht oder will sie nicht sehen.