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Motocross-WM in Teutschenthal Motocross-WM in Teutschenthal: Kleiner Ort ganz groß

Von Katrin Löwe 24.09.2013, 18:33
Bei den Motocross-Rennen im Talkessel geht es heiß her. An diesem Wochenende erwartet Fans ein besonderer Höhepunkt in Teutschenthal.
Bei den Motocross-Rennen im Talkessel geht es heiß her. An diesem Wochenende erwartet Fans ein besonderer Höhepunkt in Teutschenthal. Archiv/Löffler Lizenz

Teutschenthal/MZ - Andreas Kosbahn schläft derzeit mit Zettel und Stift neben dem Bett. Es ist seine Variante, nichts zu vergessen, was ihm abends oder mitten in der Nacht einfällt. Ein Sportwochenende wie das kommende mit 70000 Besuchern aus Deutschland und der ganzen Welt in einem Ort, der ohne Eingemeindungen auf 6000 Einwohner kommt: Manchem beim MSC Teutschenthal hat die Organisation der Motocross-Teamweltmeisterschaft – Höhepunkt der weltweiten Motocross-Szene schlechthin – Riesenrespekt, wenn nicht gar etwas Angst eingeflößt.

„Jeder Schauspieler hat Lampenfieber, wenn er auf die Bühne geht“, sagt MSC-Geschäftsführer und Rennleiter Kosbahn (37) heute. Um ihn herum schieben Planierraupen die letzten Teile der 1 500 Meter langen Strecke zurecht. Tausend Details - von Notstrom über medizinische Versorgung bis zum mobilen Geldautomaten - waren und sind bis zum Wochenende im „Talkessel“ zu klären.

Mit den Jahren Profis geworden

Für den 250 Mitglieder starken Verein erfüllt sich mit dem „Motocross of Nations“ ein Traum. Einer, an den nach der Gründung 1966 nicht zu denken war. Der DDR-Motorsportverband hatte damals nach einer Alternative für eine Straßenrennstrecke gesucht: die Halle-Saale-Schleife, die dem Bau von Halle-Neustadt weichen musste. Den ersten Wettkampf im „Talkessel“, erzählt Vereinschef Joachim Jahnke, sahen damals 5000 Fans. 1971 folgte die Weltmeisterschaftspremiere, kurz bevor auch im Motocross der Eiserne Vorhang fiel.

Inzwischen gilt der Club längst als WM-erfahren. Seit einem Rennen der Klasse 500 Kubik im Jahr 1993 („Das mussten wir in sechs Wochen aus dem Boden stampfen!“) richtet er regelmäßig Weltmeisterschaftsläufe mit bis zu 40000 Zuschauern aus, wenn auch noch nie eine Mannschafts-WM. Die Organisation wurde im Laufe der Jahre professioneller, der Aufwand riesig. Seit 2009 arbeitet Kosbahn deshalb hauptamtlich im Verein – anders waren auch die Titelkämpfe mit einem Kostenaufwand von rund einer Million Euro nicht mehr zu managen. Der Teutschenthaler Verein sei aber einer der wenigen, die WM-Wettkämpfe vor allem ehrenamtlich stemmen, sagt Kosbahn. Tausende Arbeitsstunden leisten MSC-Mitglieder jährlich, wenn es darum geht, die Strecke instand zu halten, freie Trainingswochenenden abzusichern, Jugendliche auszubilden oder auch ein neues Clubhaus zu bauen. Momentan haben sie schlicht aufgehört, die Stunden zu zählen.

Er sei fasziniert, wie der Club „auf ein Fingerschnipsen Massen bewegt“, lobt Bürgermeister André Herzog. Nicht zuletzt mit Hilfe von Sponsoren, die Baufahrzeuge und Material bereitstellen, auch im wörtlichen Sinne: Tausende Kubikmeter Erde wurden jetzt bewegt, um die Strecke neu herzurichten, Naturtribünen zu erhöhen, Feldwege für die Anfahrt zu präparieren. Mit 7000 Pkw und noch einmal so vielen Campingwagen rechnen die Organisatoren. „Hier wird es aussehen, als hätte Holland die Tore geöffnet“, witzelt Herzog. Landwirte haben die Fruchtfolgen ihrer Äcker verändert, damit 30 Hektar als Park- und Campingplätze bereitstehen. Hätte es mehr Regen gegeben, wäre sogar die A143 als Parkfläche gesperrt worden.

An der Strecke sind neue Mobilfunkmasten aufgestellt, damit das Netz unter den Telefonaten tausender Besucher nicht zusammenbricht. Nicht nur Teilnehmer- und Besucherzahlen sollen Rekorde brechen: 350 Journalisten werden erwartet, so viele wie nie. Viele im Verein, dessen harter Kern bei rund 50 zum Teil in dritter Generation engagierten Mitgliedern liegt, haben Urlaub genommen. Seit gut einer Woche sind Dutzende täglich vor Ort, stellen Zäune auf, sorgen für Beleuchtung im Umfeld, verlegen Leitungen an der Stecke und auf den Campingplätzen, beantworten tausende Anfragen. „Man will sich ja auch nicht blamieren“, sagt Jahnke. Nach der Wende hätten bis zu 200 Mann am Würstchenstand angestanden – und wenn die Würstchen alle waren, waren sie eben alle. „Damals war das nicht so anspruchsvoll.“ Heute undenkbar. Mehrere regionale Cateringfirmen sind nun mit im Boot.

Studien des Motocross-Verbandes sprechen laut Kosbahn von 30 Millionen Euro Wirtschaftskraft, die bei einer WM wie dieser in der Region bleibt – angefangen von Mietwagenverleih an Flughäfen bis hin zur örtlichen Versorgung. Auch in Teutschenthal rechnen Unternehmer damit, dass ihnen die Besucherflut ein paar Euro in die Kassen spült. An freie Hotelzimmer ist in der Region seit Monaten nicht mehr zu denken. Selbst die Bungalows im Freibad sind ausgebucht.

Die Geschäfte im Ort dürfen diesmal auch sonntags öffnen. Bärbel Semmler vom Edeka-Markt nahe der Strecke wird das nutzen. „Wir haben mit unseren Lieferanten tägliche Lieferungen vereinbart“, sagt sie – normal sind sie dreimal pro Woche. Nicht nur Cola und Wasser sind reichlich auf Vorrat da. Das Personal rede schon seit einem Jahr von dem Event, „am liebsten würden alle am Sonntag kommen.“ Als der Umbau ihres Marktes geplant wurde, sei ihr vor allem eines wichtig gewesen, sagt Semmler: Dass er rechtzeitig vor der WM fertig wird. Er wurde es.

Sonderschicht in Backstuben

Auch bei Bäckereien werden Sonderschichten geschoben. Die Vorräte sind um ein Drittel erhöht, ihre Kinder kommen und können im Notfall mit einspringen, erzählt Bäckerin Andrea Beßler. In den vergangenen Jahren hätten sich die Umsätze im Vergleich zu normalen Wochenenden etwa verdoppelt. Ähnliches berichtet auch Bäcker Thoralf Schäl. Statt sieben Mitarbeitern am Samstag werden diesmal zehn das ganze Wochenende im Einsatz sein. Nachts um eins geht es los, selbst an zusätzliche Laugenbrezeln – in Teutschenthal kaum gefragt – ist gedacht. Beide Bäckereien beliefern auch die Campingplätze. „Natürlich profitieren wir – das ist schön“, so Schäl.

Die WM, sagt Bürgermeister Herzog, wird Teutschenthal nicht wie einen Orkan überrollen, sondern „für eine frische Brise sorgen“. Und für ein Image als Sportgemeinde, in der nicht nur jede Menge Kontakte geknüpft werden. Die Grundschule trägt inzwischen den Namen der Rennstrecke, ältere Schüler helfen beim Aufräumen, Gemeindearbeiter beim Vorbereiten.

Für den Motocross, sagt Vereinschef Jahnke, ist Teutschenthal am Wochenende „der Nabel der Welt“. Rund die Hälfte der Besucher wird aus dem Ausland kommen. „Und wir werden zeigen, dass die Entscheidung richtig war, die WM hier auszurichten.“ Auch wenn sie dem 75-Jährigen und seinen Mitstreitern schlaflose Nächte bereitet.

Eine kleine Saalekreis-Gemeinde ist am Wochenende Gastgeber der wohl größten Sport-Veranstaltung seit Jahren in Sachsen-Anhalt. Zum „Motocross of Nations“ im Teutschenthaler Kessel werden mindestens 70.000 Fans erwartet. Der Veranstalter MSC Teutschenthal hat selbst in Neuseeland Tickets verkauft. Die Team-WM gilt als Höhepunkt der Motocross-Saison.
Eine kleine Saalekreis-Gemeinde ist am Wochenende Gastgeber der wohl größten Sport-Veranstaltung seit Jahren in Sachsen-Anhalt. Zum „Motocross of Nations“ im Teutschenthaler Kessel werden mindestens 70.000 Fans erwartet. Der Veranstalter MSC Teutschenthal hat selbst in Neuseeland Tickets verkauft. Die Team-WM gilt als Höhepunkt der Motocross-Saison.
Schulz Lizenz
MSC-Präsident Joachim Jahnke (rechts) trifft letzte Absprachen mit den Technikern Thomas Treffkorn und Gerry Herzog (links) an der neuen Startmaschine.
MSC-Präsident Joachim Jahnke (rechts) trifft letzte Absprachen mit den Technikern Thomas Treffkorn und Gerry Herzog (links) an der neuen Startmaschine.
Eckehard Schulz Lizenz
Aufbauarbeiten am Ziel der Motocross-Strecke
Aufbauarbeiten am Ziel der Motocross-Strecke
Eckehard Schulz Lizenz