Die Wende 89 MfS-Offizier Peter Romanowski über die Wende 89 - Blick zurück ohne Zorn

Halle (Saale) - Peter Romanowski erlebte das Ende der DDR als Offizier in MfS-Uniform - und als Abschied von einer viel zu lange gehegten Illusion, wie er heute sagt.
Manches kommt ihm wie gestern vor. Und manches, sagt Peter Romanowski, „ist inzwischen ganz weit weg“. So lange der heute 70-Jährige zu DDR-Zeiten beim Ministerium für Staatssicherheit diente, so lange trägt er mittlerweile keine Uniform mehr. Die Erinnerungen aber sind natürlich noch da, gerade die an die letzten bewegten Monate des Oberstleutnants und
Abteilungsleiter des MfS in Sommer und Herbst 1989.
„Es war damals spürbar, dass keine politische Führung mehr da ist“, beschreibt Romanowski. Eine Situation, auf die auch Schild und Schwert der Partei nicht vorbereitet sind. Selbst unter den Offizieren wird Kritik laut, Formulierungen wie „das senile Politbüro“ fallen - und bleiben ohne Konsequenzen. Bei Treffen mit Inoffiziellen Mitarbeitern legt Romanowski in diesen Wochen manchmal den Kugelschreiber weg. „Die Leute haben sich nur noch bei mir ausgekotzt.“
Zerfallserscheinungen, die sich nicht mehr ignorieren lassen, schon gar nicht von einem wie Peter Romanowski, der immer fest an die grundsätzliche Richtigkeit des Weges der DDR geglaubt hat. „Bei mir war ja der Bruch mit dem unnötigen Wahlbetrug im Mai gekommen“, erinnert er sich. Zu offensichtlich waren die Zahlen gefälscht, zu plump versuchte die Parteispitze, sich im 40. Jahr der DDR noch einmal feiern zu lassen. „Nach meinem Überblick lag das unverfälschte Ergebnis bei 93 oder 95 Prozent“, sagt der studierte Chemielehrer und Jurist, „und das hätte doch auch gereicht“.
Weltferner Allmachtsdrang in der DDR
Aber nein, in einer Mischung aus vorauseilendem Gehorsam von unten und weltfernem Allmachtsdrang von oben organisiert sich das System ein letztes Geburtstagsgeschenk. „Da wurde auf Teufel komm raus manipuliert und das so dilettantisch, dass die Opposition keine Mühe hatte, das nachzuweisen.“ Die Empörung konnte der Stasi-Offizier Romanowski nachvollziehen, gleichzeitig habe er sich damals aber noch damit getröstet, „dass das keine geschlossene Opposition war“. Die meisten hätten Änderungen in der DDR gewollt, wenige nur deren Abschaffung. „Man hätte reden können.“
Stattdessen wird ignoriert und drangsaliert. Als Peter Romanowski nach einem drei Wochen langen Wanderurlaub durch die Berge Bulgariens Ende September in die Neubauwohnung nach Halle-Neustadt zurückkehrt, ist die DDR ein anderes Land. Die breite Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist mit Händen zu greifen. „Meine Mitarbeiter waren total verunsichert, die einen machten es sich leicht und schimpften auf Konterrevolutionäre, die anderen versuchten, zu verstehen, was die Leute antreibt.“
Bei den großen Demonstrationen in der Region ist Romanowski mit vor Ort, in Zivil natürlich. „Bei der großen Demo in Dessau waren es 15.000 oder 20.000 Leute, die ihren Protest friedlich auf die Straße brachten“, beschreibt er. Ärger machen nur einige von der SED geschickte Genossen, als sie versuchen, Kindern ihre Friedenskerzen wegzunehmen und damit den Zorn der Demoteilnehmer wecken.
„Also bin ich zusammen mit einem Pfarrer, der mich kannte, dazwischengegangen, damit das nicht eskaliert.“ Beim Sturm auf die Stasi-Zentrale in Halle helfen auch persönliche Beziehungen, Gewalt zu verhindern. „Ich bekam einen Anruf aus der Kirche, dass die Leute zu uns unterwegs sind, daraufhin habe ich meinen Männern die Pistolen weggenommen.“
Im Ministerium rumort es längst. Bei einer Parteiwahl in der Bezirksbehörde Halle kommt es erstmals zu Diskussionen. MfS-Mitarbeiter schlagen eigene Kandidaten vor. Und die werden am Ende auch noch gewählt - nicht wie üblich die von oben vorgeschlagenen Genossen. „Das war für die Staatssicherheit eine Revolution“, schmunzelt Romanowski, „Wahlen, bei denen gewählt wurde“. Er ist unter den drei Leuten, die zum SED-Parteitag nach Berlin fahren. Der Hallenser glaubt auch in diesen Tagen noch immer, dass eine Erneuerung des Staates und seines Ministeriums möglich ist, mit der das MfS das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen kann. Gleichzeitig aber sieht er in Berlin, wie seine Genossen mit ihren Spitzenleuten umgehen, die nun für alle Fehlentscheidungen verantwortlich sein sollen. „SED-Bezirkschef Achim Böhme stand verloren herum, als ob er die Cholera hätte.“
Keiner habe mit dem ehemals so mächtigen Mann gesprochen, keiner habe ihn gegrüßt. Böhme reagiert völlig perplex, als Romanowski ihm die Hand entgegenstreckt. „So ist das in der kommunistischen Weltbewegung“, sagt er heute, „wenn Leute fallengelassen werden, dann so, dass auf ihnen herumgetrampelt werden kann.“
Romanowski wollte kein Wendehals sein
Ein Schlüsselerlebnis. Die innerliche Distanz des überzeugten Kommunisten Romanowksi zur DDR, die er bis dahin als seinen Staat begriffen hat, wächst. „Plötzlich verkauften sich Funktionäre von Staat und Partei als Widerstandskämpfer oder Opfer“, erinnert er sich, „aber da musste ich doch manchmal widersprechen.“
Romanowski will sich nicht als Wendehals von der Bühne stehlen, auch wenn er erkennt, dass es für die Staatssicherheit keine Erneuerung und kein Weiterso geben wird. Stattdessen sitzt er mit in den Opfergesprächen, die Pfarrer Ulrich Schlademann anbietet. „Ich habe da von Schicksalen erfahren, da habe ich mich geschämt.“
Auch wenn Peter Romanowski versichert, dass es Verfolgung und Zerstörung von Familien, wie sie in den 50er und 60er Jahren gang und gäbe waren, zu seiner Zeit nicht mehr gegeben habe, fühlt er sich mitverantwortlich. Das Problem der DDR sei es gewesen, dass jede Kritik als Angriff auf die Partei aufgefasst wurde, meint er. Kritiker, die etwa auf Umweltprobleme hinweisen wollten, wurden so zu Staatsfeinden. „Damit haben wir selbst einen harten Kern von jungen Leuten erzeugt, die den Staat mit ihren originellen Methoden am Bart gezogen haben“, formuliert Romanowski heute. Wobei er zugibt: „Das habe ich früher natürlich nicht ganz so entspannt gesehen.“
Am Ende steht die Quittung, und so ist es in diesem Herbst 1989 eigentlich keine Hoffnung mehr, die da mit der DDR stirbt, und nicht das Ende eines Traums, dem man nachtrauert. „Für mich war es mehr der Abschied von einer Illusion, die man viel zu lange gehegt hat“, sagt Peter Romanowski. (mz)