MDR und Stasi MDR und Stasi: Endstation im Tagebau
Halle/MZ. - Es war eine furchtbare Woche. Als Karl-Heinz Dreizehner vergangenen Donnerstag in der Mitteldeutschen Zeitung las, dass der bekannte MDR-Journalist Horst Mempel einen Studenten wegen versuchter Republikflucht ins Gefängnis gebracht haben soll, kam alles wieder hoch. Die Bilder von der Verhaftung, die Erinnerung an Dunkelzellen, die nächtlichen Verhöre. Gestern Morgen hat sich Karl-Heinz Dreizehner entschlossen, den Brief abzuschicken: "Nach der Wende war ich total überrascht, dass Horst Mempel das entscheidende Material für meine Verhaftung geliefert hat."
Es ist eine Geschichte aus dem Jahre 1956, aus der Hoch-Zeit des Kalten Krieges. Dreizehner, damals 18Jahre alt, beginnt an der Universität Halle ein wirtschaftswissenschaftliches Studium. Einer der Freunde in seiner Seminargruppe: Horst Mempel. Nächtelang diskutieren die Kumpels, spielen Skat und ziehen durch die Kneipen der Saalestadt.
Doch im Studium eckt Dreizehner immer öfter an. Zu kritisch seine Fragen nach dem Ungarn-Putsch, zu aufmüpfig die Bemerkungen im Seminar. Die Folgen spürt er schnell. Dreizehner fällt so oft durch die Marxismus/Leninismus-Prüfung, dass er exmatrikuliert wird. Er beschließt, das zu tun, was ein Kommilitone schon hinter sich gebracht hat: die DDR zu verlassen und an der Freien Universität in Westberlin ein neues Studium zu beginnen. Dreizehner lässt sich sogar immatrikulieren.
Doch die Flucht mit dem Zug zu Ostern '59 endet am Bahnhof Königs Wusterhausen bei Berlin. "Als ich ausstieg, bin ich sofort verhaftet worden", erinnert sich der 62-Jährige. Innerhalb von Stunden bringt ihn ein Auto in Halles "Roten Ochsen". Zwei Wochen Dunkelhaft, die ersten Wochen überhaupt keine Vernehmungen, später nur noch nachts. "Manchmal glaubt man, wahnsinnig zu werden", sagt Dreizehner. Seine Strafe: Wegen Staatshetze, Verleumdung und versuchter Republikflucht wird er zu zwei Jahren und neun Monaten Zuchthaus verurteilt.
Dass in der Verhandlung vor dem Bezirksgericht Halle sein "Freund" Horst Mempel zunächst als Zeuge geladen und dann plötzlich doch nicht vonnöten ist, fällt Dreizehner nicht auf. Er ahnt auch nicht, dass sich der Zehnkämpfer Mempel bei der Staatssicherheit als Geheimer Informator "Brien" verpflichtet hat - ausgerechnet angelehnt an den Namen des US-amerikanischen Zehnkämpfers O'Brien. Dreizehner hat keine Vorstellung davon, dass sein vermeintlicher Freund noch nach der Verhaftung Dreizehners Eltern besucht und davon detailliert der Stasi berichtet hat. Er kann sich nicht vorstellen, dass das MfS den Einsatz Mempels lobend erwähnt und dass der als Sportreporter und Inoffizieller MfS-Mitarbeiter bei der Redaktion der halleschen SED-Zeitung "Freiheit" unterkommt. Dass Mempel auch beim Fernsehen in Berlin die Kollegen bespitzelt. All das erfährt Dreizehner nur teilweise, als er 1992 seine Stasi-Akte lesen kann.
Nach 1959 lernt Dreizehner erst einmal die Gefängnisse der Region kennen. Halle, Dessau, Naumburg und Regis-Breitingen, wo er im Tagebau arbeiten muss. "Ich habe noch Glück gehabt", sagt er heute. "Als 1960 der DDR-Präsident Wilhelm Pieck starb, bin ich vorzeitig amnestiert worden." Es folgen mühevolle Jahre, in denen er langsam wieder Tritt fasst. "Ich wollte damals nur noch meine Ruhe." Politisch aktiv wird Dreizehner erst während der Wende. Schon 1989 tritt der Parteilose bei den Sozialdemokraten ein, für die er bis 1999 im Stadtrat sitzt.
Dreizehner will keine Rache, aber er will auch kein Vergessen. Er versteht nur nicht den MDR, den Mempels Vergangenheit nicht interessierte. Und es wäre ihm wichtig gewesen, wenn sich der bisherige MDR-"Biwak"-Moderator bei ihm gemeldet hätte. Er hat es nicht getan. Dreizehner hat das nicht mehr wirklich überrascht.