Martina Gedeck Martina Gedeck: "Ich sauge Schatten auf"
Berlin/MZ - Martina Gedeck wählt gern einen ganz bestimmten Ort, um Interviews zu geben. Es ist der Brandenburgische Hof, ein kleines Hotel in einer Seitenstraße in Berlin-Wilmersdorf. Hier gibt es keine Paparazzi, die ihr hinterherjagen und das Personal, sagt sie, behandle sie mit Respekt. Sie trägt eine hoch geschlossene Bluse mit einer Brosche, eine dunkle Hose und die Haare hochgesteckt, wie in vielen ihrer Filme. Sie setzt sich auf die Sofakante und beantwortet jede Frage hochkonzentriert. Fällt man ihr ins Wort, beendet sie unbeirrt ihren Gedanken.
Mit Martina Gedeck sprachen Martin Scholz und Anja Reich.
Frau Gedeck, Sie sind im Alter von neun Jahren von Niederbayern ins damalige Westberlin gezogen, wo Sie immer noch wohnen. Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Gedeck: Das Weggehen aus Bayern war sicher ein Einschnitt in meinem Kinderleben, auch wenn ich das damals noch nicht so empfunden haben mag. Meine Kindheit in Bayern, das war die Freiheit in der Natur. Auf dem Land zu sein, das habe ich extrem stark gebraucht. Ich war ein sehr kraftvolles Kind, und so ein Lebensdrang, so eine Lebenskraft braucht einen Ort, wo sie sich ereignen kann. In der Natur habe ich Freiheit und Freisein erlebt. Und dieses Gefühl von Freiheit habe ich mit hinüber genommen in mein Erwachsenenleben.
Nun ist die Natur in Berlin ja eher nicht so üppig wie in Niederbayern.
Gedeck: Das stimmt, in Berlin finde ich das eigentlich nirgendwo. Aber darum geht es nicht. Ich kann dieses Gefühl auch in einem Hotelzimmer abrufen. Und das muss ich auch. Denn ich lebe ein sehr nomadisches Leben, mache eigentlich jede Woche eine Reise. Dass ich zwei Monate am Stück an einem Ort bin, kenne ich nicht. Das heißt: Ich muss meine Sachen bei mir haben und mich unabhängig machen von äußeren Dingen. Meine Kontinuität war und ist meine Familie. Sie ist auch meine Heimat. Deswegen bin ich seit langem in Berlin verwurzelt, weil meine Eltern, meine Geschwister alle hier leben. In Berlin habe ich aber noch etwas anderes gefunden, und finde es immer noch, wenn ich hier bin: dieses Unübersichtliche, Unwägbare, und Verschwommene. Die Stadt kriegt man nicht so leicht in den Griff. Kein Mensch kann sagen: Ich habe Berlin begriffen. Und dieses Gefühl ist sehr nah am Leben an sich dran. Deswegen fühle ich mich hier wohl, und inzwischen bin ich auch zu alt, eine Stadt nochmal so richtig für mich erschließen zu können. Wenn man 20 ist und nach Paris, London oder New York geht, kann man das anders durchleben. Für mich wäre das heute eher fremd.
Nach dem Erfolg von „Bella Martha“ und „Das Leben der Anderen“ waren Sie als Schauspielerin international gefragt und haben auch in Amerika gespielt, unter anderem unter der Regie von Robert de Niro in „Der gute Hirte“. Haben Sie sich dort zu Hause gefühlt?
Gedeck: Ich habe dort immer gerne gelebt und gearbeitet. Das hat auch damit zu tun, dass in Amerika ein Film das höchste Kulturgut ist. Wenn du dort einen Film machst, bist du ein großer Künstler und bekommst den Respekt der ganzen Welt. Von Kleindarstellern bis zu Kabelträgern sind alle sehr, sehr stolz, sie alle werden als Teil eines großen Ganzen behandelt. You are one of the chosen few, wenn du dabei bist.
Das klingt, als wäre Amerika ein Sehnsuchtsland für Sie.
Gedeck: Für mich wäre es das gewesen. Als Filmland ist Amerika für mich ein Mekka. Mir gefällt vor allem diese Mentalität, Dinge neu auszuprobieren. Man sieht das an den TV-Serien. Sich so etwas wie „Mad Men“ auszudenken, ist eine ungeheuerliche Leistung – wie das geschrieben ist, wie die Schauspieler spielen dürfen, wie klug es ist, wie man einfach visionär denkt und trotzdem das Heute spiegelt. Einfach grandios! Das wird in Deutschland nicht genug gefördert. Der Blick in die deutsche Vergangenheit, die ganze kulturelle Last, die Klassik und die Alten Meister, das ist zwar ein großer Schatz, aber es ist auch eine Last. Der Apparat ist bei uns sehr behäbig, gerade in Film und Fernsehen merkt man, wie wir immer ein bisschen hinterherhinken.
Warum haben Sie die Kontakte in die USA nicht intensiviert, nachdem Sie schon einen Fuß in der Tür hatten?
Gedeck: Das liegt nicht in meiner Macht. Das ist einfach so. Die Amerikaner sind sich selbst genug. Es gibt dort so viele tolle, talentierte Schauspieler, da müsste dann jemand kommen und sagen: Ich will genau diese Person aus „Das Leben der Anderen“. Und in gewisser Weise ist es bei mir ja genau so passiert. Ich habe Angebote wie „The Door“ bekommen, mit Helen Mirren, einem Film, der leider untergegangen ist. In „Nachtzug nach Lissabon“ habe ich an der Seite von Jeremy Irons gespielt. Das ist kein Zufall. Dahinter steckt immer ein mächtiger Agent, der sagt: „Wen gibt es denn in Deutschland?“
Sie hätten jetzt auch fast Raissa Gorbatschowa an der Seite von Michael Douglas und Christoph Waltz gespielt.
Gedeck: Ja. Das ist natürlich eine sehr präsente, ausgestellte Rolle. Und sowohl Michael Douglas als auch Christoph Waltz hätten sagen müssen: „Ja, wir wollen die Martina Gedeck im Boot haben.“
Und das haben sie nicht gemacht?
Gedeck: Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, woran es gelegen hat. Das wird mir nicht mitgeteilt. Es hieß nur, dass man nicht zu viele deutsche Schauspieler in diesem Film besetzen wollte.
Könnte es sein, dass Sie US-Agenten von Ihrer Statur her zu groß erscheinen? In Hollywood werden ja oft eher kleinere Frauen-Typen bevorzugt.
Gedeck: Nein, ich bin nicht zu groß. Das ist nicht der Grund. Es muss einfach passen. Und dann müssen am Ende viele, viele Leute einverstanden sein. Da gibt es so viele Geldgeber und andere einflussreiche Leute, die da mitsprechen. Aber ich trauere der Rolle der Raissa nicht hinterher. Ich habe viele tolle Sachen gemacht. Die Karriere von Christoph Waltz, die können wir nicht alle wiederholen.
Eine Zeitschrift hat Sie einmal von zehn verschiedenen Fotografen porträtieren lassen, Sie sollen sich die Bilder angeguckt und sich darauf gar nicht wiedererkannt haben. Was war Ihnen so fremd daran?
Gedeck: Das ist schon länger her, 1998. Es waren sehr schöne Bilder dabei. Bei Jim Rakete zum Beispiel sitze ich unterm Vollmond auf einem Stück Treibholz, und das Stück Holz geht fast über in meinen Körper. Das hat sowas ganz Dunkles, Archaisches. Der bekannte Fotograf Konrad R. Müller hat mich mit einer Zigarre in der Hand fotografiert.
In Gerhard-Schröder-Pose.
Gedeck: Ja, aber ich wusste damals nicht, was Zigarren in der Hand einer Frau bedeuten, ich halte sie in aller Unschuld und genau das gibt dem Porträt große Kraft. Andere Fotografen haben mich dagegen sehr verkleidet und teilweise verschwand ich hinter diesen Bildern. Im Film ist das oft ähnlich. Technik und Licht können einen sehr verändern. Bei mir ist es wohl auch so, dass ich eine Physiognomie habe, die den Schatten aufsaugt.
Sie saugen den Schatten auf?
Gedeck: Ja, ich wusste es auch nicht, bis mich ein französischer Kinobesitzer darauf aufmerksam gemacht hat. Bei manchen Menschen ist es offenbar so, dass bei der Umwandlung der Dreidimensionalität in die Zweidimensionalität Schatten verschwinden. Es hat mit der Landschaft des Gesichts zu tun, mit den Rundungen. Die Art, wie man mich schminkt oder fotografiert, kann mich sehr verändern. Das ist die vielbeschriebene Wandlungsfähigkeit.
Das kann man zurzeit ganz gut im Kino und im Fernsehen beobachten: Sie sind in drei neuen Filmen zu sehen: als Optikerin in „Nachtzug aus Lissabon“, als Kriminalpsychologin in „Bastard“ und Anfang Mai im ARD-Film „Die Auslöschung“ als Restauratorin, die ihren demenzkranken Freund pflegt. Welche dieser Rollen war Ihnen am liebsten?
Gedeck: Ich glaube, die Restauratorin aus „Auslöschung“. Diese Figur hat so eine Fülle, ist so lebenszugewandt. Der Film spielt über zehn Jahre, und da gibt es viele verschiedene Stadien, die sie durchlebt.
In allen diesen Rollen spielen Sie Frauen, die sich kümmern, um Männer kümmern oder um Kinder. Ist das ein typischer männlicher Blick auf Frauen in einer Filmwelt, die ja auch sehr männlich dominiert ist?
Gedeck: Für mich unterscheiden sich Figuren vor allem darin, ob sie Täter oder Opfer sind, also im weitesten Sinne. Das ist sehr grob gefasst, aber das sind die beiden Muster. Nehmen Sie Christa Maria Sieland im „Leben der Anderen“, sie ist ein Opfer.
Spielen Sie lieber Opfer oder Täter?
Gedeck: Am liebsten abwechselnd. Die Frau in dem Film „Die Wand“ ist eine ausgelieferte Person, die sich aber verwandelt in eine Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt. Bei der „Auslöschung“ ist es andersherum. Zum Anfang ist sie im Besitz ihrer Unabhängigkeit und zum Schluss, als die Demenzkrankheit bei ihrem Freund voranschreitet, ist sie völlig ausgeliefert.
„Bastard“, in dem eiskalt agierende Kinder die Macht über ihre Eltern übernehmen, ist das Erstlingswerk von Carsten Unger, einem 35-jährigen Regisseur. Auch Ihre Erfolge „Das Leben der Anderen“ und „Bella Martha“ waren Debütfilme. Was reizt Sie an der Arbeit mit jungen Filmemachern?
Gedeck: Sie sind sehr mutig und lassen sich nicht ins Bockshorn jagen.
Was meinen Sie mit mutig?
Gedeck: Sie haben den Mut, mich anzusprechen und ich arbeite einfach gerne mit Leuten zusammen, die etwas wollen, die etwas zu sagen haben.
Begegnen diese jungen Regisseure Ihnen, der erfahrenen Schauspielerin, dann mit Ehrfurcht und Respekt?
Gedeck: Das ist unterschiedlich, im Fall von „Bastard“ war es so.
Ist Respekt gut für die Arbeit?
Gedeck: Ich glaube an eine gewisse Distanz bei der Arbeit. Aus der Distanz entsteht viel Kreativität. Die Räume, aus denen ich schöpfe, sollen nicht jedem bekannt sein. Wenn ich spiele, ist es oft so, dass Sachen plötzlich von selber kommen, dass ich mich öffne für Dinge, die passieren. Ich sage dann, das fühlt sich jetzt richtig an. Aber Carsten Unger selbst hat auch ganz genaue Vorstellungen. Er hat gesagt, er möchte, dass meine Figur der Kriminalpsychologin cool ist, dass sie Humor hat.
Ihre ersten Sätze richtet sie an einen männlichen Kollegen, mit dem sie im Regen steht: „Sie stehen auf meinen Schuhen“ und „Sie geben mir jetzt Ihren Regenschirm“.
Gedeck: Das steht genau so im Drehbuch. Aber dann gibt es auch Szenen wie die, als ich in der Aula vor mehr als hundert Schülern stehe und das ist nicht angenehm, da oben so allein, und diese Unsicherheit merkt man ihr an.
Sprechen Sie jetzt von der Schauspielerin oder von sich selbst?
Gedeck: Ich habe mich in der Szene nicht als Martina Gedeck unsicher gefühlt. Ich habe in dem Moment aber schon gemerkt, wie es sein kann, vor so vielen Schülern zu stehen, so ausgeliefert zu sein. Mit dieser Anarchie umzugehen, die einem unvermittelt entgegenkommt.
Wenn Ihnen Respekt so wichtig ist, haben Sie sicher auch die Diskussion um Katja Riemanns Auftritt in einer NDR-Vorabend-Talk-Sendung mit Interesse verfolgt.
Gedeck: Ja, ich fand es erstaunlich, wie über sie hergefallen wurde. Man darf ja dabei nicht vergessen: Katja Riemann war und ist immer noch das, was man eine Rebellin nennt – als Schauspielerin und als öffentliche Person. Sie wird lebendig darüber, dass sie etwas entgegensetzt, dass sie hinter den Dingen etwas vermutet, für das es sich lohnt zu kämpfen. Und dieses Rebellische ist eine ganz große Kraft. Deswegen ist sie ja auch so grandios als Schauspielerin. Man kann jetzt nicht sagen: Jemand ist genial, aber in unserer Sendung darf er diese und jene Eigenschaften nicht mitbringen. Nur ist der Typus Rebell in unserer heutigen Zeit leider überhaupt nicht gefragt. Man muss sich bitte schön nichts anmerken lassen, sich anpassen.
Und schlecht vorbereitete Moderatoren, die Fragen nach den Haaren stellen, lächelnd über sich ergehen lassen?
Gedeck: Ach, die Frage finde ich gar nicht so schlimm. Ich habe auch ein Foto von Katja aus diesem Film gesehen und mich gefragt: Sind das jetzt ihre eigenen Haare? Ich glaube, der Moderator wollte einfach wissen, was sich da in der Maske abgespielt hat. Aber weil Katja nun mal eine Rebellin ist, sagte sie: „Das ist ’ne Perücke. Wollen wir jetzt über Perücken reden? Okay!“ Sie nimmt den Kampf auf. Das ist das Tolle an ihr. Sie hat ja eine Wahnsinnskraft. Sie ist eine unserer besten Schauspielerinnen. Das sieht hier nur kaum jemand. Was glauben Sie, was Greta Garbo und Bette Davis Journalisten um die Ohren gepfiffen haben? Das ist aber gut so, das muss ein Moderator aushalten – und das zumindest hat der NDR-Moderator ja auch getan. Vor allem aber muss das Publikum es aushalten. Im Grunde müssten die Leute sagen: Super, endlich passiert mal was, endlich ist es mal kontrovers.
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