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Leipziger Luxus Leipziger Luxus: Das "Astoria" soll wieder öffnen - nach 22 Jahren Leerstand

Von Alexander Schierholz 27.07.2018, 08:00
Das Hotel Astoria wurde 1915 in Leipzig eröffnet und war bis 1997 geöffnet.
Das Hotel Astoria wurde 1915 in Leipzig eröffnet und war bis 1997 geöffnet. imago stock&people

Leipzig - Als die Queen sich ihre Schuhe auszog, da war selbst der sonst so eloquente Ulrich Trampler einen Moment sprachlos. Sie kam also rein vom Balkon des Alten Rathauses zu Leipzig, gemeinsam mit zwei Hofdamen, sie entledigte sich ihrer Pumps, ganz lässig.

Und Trampler? Stand einfach da, mit seinem Silbertablett, darauf Tee in Meißner Porzellan, Darjeeling. Erst ihr Gatte, Prinz Philip, löste die Situation, in bestem Deutsch: „Ihrer Majestät tun die Füße weh!“

33 Jahre lang arbeitete Ulrich Trampler im Leipziger Luxushotel „Astoria“, die erste Adresse der Stadt, direkt neben dem Hauptbahnhof. 1963 fing er als Kellnerlehrling an, er arbeitete sich hoch, studierte, zum Schluss seiner Karriere war er Erster Restaurantchef.

Die Queen war sein berühmtester Gast, obwohl sie gar nicht im „Astoria“ abgestiegen war, damals, am 22. Oktober 1992. Sie war nur für einen Tag auf Leipzig-Besuch gekommen, das „Astoria“ aber musste sie und ihren Tross bewirten.

Das Astoria bekommt 500 Betten, Restaurant, Bar und Spa

Vier Jahre nach der Queen-Visite war Schluss in einem der berühmtesten Hotels Ostdeutschlands. Am Silvestertag 1996 schlossen sich die Türen, für immer, so schien es. Doch nun soll das „Astoria“ wieder öffnen.

Die Berliner Immobiliengruppe „Intown“, die in Halle-Neustadt eine der Hochhaus-Scheiben saniert, will das von 1913 bis 1915 erbaute Grandhotel sanieren und zu einem 500-Betten-Haus umbauen - samt Konferenzräumen, Restaurant, Bar und Spa.

Vorher hatten über die Jahre mehrere Interessenten die Finger vom „Astoria“ gelassen - zu kompliziert, zu teuer. Das Haus steht im alten Leipziger Gerberviertel, der Boden dort ist von Kanälen durchzogen. Um die beiden Kellergeschosse trocken zu halten, liefen deshalb über Jahrzehnte rund um die Uhr Pumpen - bis das Hotel dicht machte.

Mittlerweile steht der zweite Keller komplett unter Wasser, der erste teilweise. Der verantwortliche Architekt Roland Wolff spricht von „erheblichen Korrosionsschäden“ an den Fundamenten. Die Sanierung dürfte kompliziert werden. Die Planer wollen das zweite Untergeschoss verfüllen. Um das erste herum soll eine Art wasserdichte Wanne aus Stahlbeton gebaut werden.

In der DDR brummte es vor allem zweimal im Jahr im „Astoria“ - im Frühjahr und im Herbst, wenn in Leipzig Messe war. Das Haus war „Regierungshotel“, hier stieg die DDR-Führung ab. Und mit ihr Kombinatsdirektoren und Chefs großer West-Unternehmen.

Ulrich Trampler kannte sie alle - und sie kannten ihn. Seine Kontakte brachten ihm über die DDR-Jahre eine damals heiß begehrte Vier-Raum-Wohnung im Plattenbau, einen Lada, ein Telefon und ein TV-Gerät ein. „Beziehungen waren alles“, sagt er.

Ein Relief aus Meißner Porzellan erinnert an alten Glanz

Mehrere Restaurants, Bars und Cafés - das „Astoria“ war nicht nur eine Institution in Leipzig, sondern auch eine Luxus-Insel im Arbeiter- und Bauernstaat. Heute erinnern nur noch große leere Säle an die einstige Pracht. Von außen wirkt das Hotel heruntergekommen, innen ist es eine Ruine.

Bauschutt auf dem Fußboden, herausgerissene Wände, nackte Ziegel. Die Böden waren mit rotem und schwarzem Marmor ausgelegt, die Wände mit Schiefer verkleidet - davon ist kaum etwas übrig geblieben.

An den einstigen Glanz erinnern noch ein Wand-Relief aus Meißner Porzellan und die Nachtbar mit originaler Ausstattung - halbrunde Sitznischen, runde Deckenelemente, alles in rot, schwarz und weiß gehalten.

Diese Einbauten wollen die Investoren möglichst erhalten, wie auch andere Bauelemente und Wandgemälde, die bereits geborgen wurden. Doch ansonsten muss umgebaut werden: „Für eine heutige Hotel-Nutzung ist das Haus nur bedingt geeignet“, sagt Leipzigs Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau. So seien die Zimmer zu klein, die Decken zu niedrig.

Ulrich Trampler ist 74 Jahre alt und eine elegante Erscheinung. Mit seinem blauen Anzug, passendem Hemd, braunen Schuhen und leicht gebräuntem Teint wirkt er seltsam deplatziert in dem alten Hotel.

Dennoch führt er, ausgerüstet mit Schutzhelm und Warnweste, durch das Haus, als wäre er gestern erst hier gewesen. Die Küche, geflieste Wände, löchrige Oberlichter. Trampler hat alles noch genau vor Augen: Hier die kalte Küche, dann die warme, hinten die Spülküche, Konditorei und Fleischerei.

Zu DDR-Zeiten seien „halbe Kühe und Schweine“ angeliefert worden, schildert er. Drei Fleischer und ihre Gehilfen kümmerten sich um die Weiterverarbeitung. Weiter geht es durch Gänge und Hallen, irgendwo weist ein vergessenes Schild den Weg zu einer Rezeption, die es längst nicht mehr gibt.

Trampler hat im „Astoria“ Minister, Scheichs und Stars bewirtet. Für besondere Anlässe standen dem Ersten Restaurantchef und seinen 50 Mitarbeitern Silber und Kristall für 100 Personen zur Verfügung, das Silber aus dem Westen, aus Solingen. Angeschafft auf Beschluss des DDR-Ministerrates, wie Trampler erzählt. Für ihr Leipziger „Regierungshotel“ ließ die DDR etwas springen.

Trampler ist eine wandelnde Anekdoten-Maschine. Er braucht nur in einem bestimmen Raum stehen oder ein Stichwort zu bekommen, schon legt er los. DDR-Zeit, frühe 1990er Jahre, er springt munter hin und her. Foyer, drei Fahrstühle, die Türen mit Brettern vernagelt.

„Hier hat David Hasselhoff sich mal den Kopf gestoßen, als er aus dem Fahrstuhl kam.“ Überhaupt die Stars: Peter Maffay signierte Trampler eine Schallplatte. Udo Jürgens setzte sich bei einer Belegschaftsfeier ans Klavier. Im Bademantel? Weiß Trampler nicht mehr.

Die Stasi war im Astoria immer dabei

Restaurant „Galerie“, mit Blick zum Innenhof, in dem sich zwei Schuttberge türmen. „Wenn Messe war, bekam Schalck-Golodkowski immer einen runden Tisch in der Ecke am Fenster.“

Schalck wer? Ach ja, der Mann, der über ein Firmen-Imperium („Kommerzielle Koordinierung“) für die DDR insgesamt 28 Milliarden an Devisen erwirtschaftete. Lud die DDR die Welt nach Leipzig zur Messe ein, durfte er nicht fehlen im „Astoria“.

Die Stasi dagegen, die war immer da, auch außerhalb von Messe-Zeiten. Zimmer 101, erstes Obergeschoss, ganz hinten, dort hatte der Geheimdienst sich einquartiert, rund um die Uhr. „Jeder wusste das“, sagt Trampler.

Er selbst bekam es auch außer Haus hin und wieder mit den Spitzeln zu tun. Manchmal musste er servieren, wenn Manfred Hummitzsch, Stasi-Chef im Bezirk Leipzig, in einer Villa am Rosental Gäste empfing.

Trampler erinnert sich: Einmal, in den 1980ern, war Günter Guillaume da, der einstige DDR-Spion im Bundeskanzleramt, über den 1974 Willy Brandt gestürzt war und der später in der DDR als „Kundschafter des Friedens“ gefeiert wurde.

Trampler war von der Stasi zum Schweigen verdonnert worden. Er hielt sich dran, sagt er. „Das hätte doch niemanden interessiert.“ Nur seiner Frau hat er erzählt, wer da wieder in der Villa zu Gast gewesen war.

Nach Weihnachten 1996 war Schluss im Astoria

Die Stasi war schon ein paar Jahre Geschichte, als auch für das „Astoria“ das Aus kam. Das Weihnachtsgeschäft 1996 machten sie noch mit, dann war Schluss.

In den letzten Tagen des Hotels ging Ulrich Trampler noch einmal durch alle Räume, seine persönliche Abschiedsrunde. „Da standen mir die Tränen in den Augen“, sagt er, „aber danach war es gut.“ Er kam anderswo in Leipzig in der Gastronomie unter, zehn Jahre noch, „dann hat es gereicht“.

Für Ulrich Trampler und viele seiner einstigen Kollegen lebt das „Astoria“ weiter. In jedem Jahr am 5. Dezember, dem Tag, an dem das Haus 1915 eröffnet worden war, treffen sie sich, um in Erinnerungen zu schwelgen. Wenn es nach Trampler geht, bald wieder an ihrer alten Arbeitsstätte. 2020 soll das Hotel wiedereröffnet werden. (mz)

„Mein Reich“ - Ulrich Trampler in der Nachtbar
„Mein Reich“ - Ulrich Trampler in der Nachtbar
Andreas Stedtler
An die einstige Pracht des Hotels erinnern nur noch große leere Säle.
An die einstige Pracht des Hotels erinnern nur noch große leere Säle.
Andreas Stedtler