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DDR-Ministerpräsident DDR-Ministerpräsident: Der letzte Kampf des Hans Modrow

Von Steffen Könau 01.03.2018, 11:00
 Hans Modrow (links), damals DDR-Ministerpräsident, im Jahr 1990 bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Helmut Kohl.
 Hans Modrow (links), damals DDR-Ministerpräsident, im Jahr 1990 bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Helmut Kohl. dpa

Leipzig - Der kleine Herr mit dem weißen Haar schmunzelt. „Meine Hoffnung ist, dass mehr als 70 000 DDR-Bürgern dasselbe Recht auf Einsicht in ihre BND-Akten eingeräumt wird, wie es Menschen haben, die von der Staatssicherheit der DDR überwacht worden sind“, sagt er.

Aber Hoffnung und Erwartung, das sind zwei verschiedene Dinge. Die Betonung liegt auf Hoffnung. „Meine Erwartung ist ein bisschen anders“, sagt der frühere SED-Bezirkschef von Dresden, zeitweise Hoffnungsträger der DDR-Bevölkerung und spätere DDR-Ministerpräsident.

Früherer SED-Bezirkschef klagt vor Gericht auf Akteneinsicht

Modrow steht vor dem großen Saal des Bundesverwaltungsgerichtes (BVG) in Leipzig, einem lichtdurchflutetem Gang, in dem sich Menschen drängen. Ältere zumeist, Frauen und Männer, die den früheren Spitzenfunktionär mit „Hallo, Hans“ begrüßen.

Es ist wie ein Klassentreffen der Generation, die mit dem Ende der DDR ihren Staat verloren hat. Modrow kann die guten Wünsche gut gebrauchen, denn gleich wird er seinen letzten großen Kampf kämpfen, gegen den Bundesnachrichtendienst (BND), einen übermächtigen Gegner, der mit vier Anwälten und höheren Beamten angerückt ist.

Es geht um Akten, um Archive, um Geheimhaltung und Listen von Dokumenten bei den beiden Klagen, die Modrow vor zwei Jahren eingereicht hat. Zuvor hatte ihm der BND Einsicht in ihn betreffende Unterlagen verwehrt. Akten, von denen Hans Modrow vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich erfahren hatte. Akten, von denen der BND bestätigte, dass sie existieren.

Hans Modrow durch BND  beobachtet

Seit 1951 hatten die BND-Vorläuferorganisation Gehlen, der BND selbst und das Bundesamt für Verfassungsschutz den damaligen Jungfunktionär im Visier. Modrow galt als interessante Figur in der Nomenklatura der SED, ein frisch wirkender FDJ-Kader, über den die bundesdeutschen Dienste mehr erfahren wollen.

Dazu beließen es die Agenten aus Pullach nicht bei Zeitungslektüre. Über einen Mann, der im BND-Code „Tarnname Lippert“ hieß, und eine Quelle mit dem Tarnnamen „Herbst“ waren die Schlapphüte aus dem Westen ganz nah dran an dem damals gerade von der Komsomol-Hochschule in Moskau zurückgekehrten Mittzwanziger. Die BND-Quelle beobachtet Modrow nicht nur, sie führt den SED-Nachwuchsmann zeitweise sogar als sogenannte uneingeweihte Unterquelle. „Da wusste er wohl nichts von seinem Glück“, sagt Ingo Kraft, der Vorsitzende Richter der 6. Kammer des BVG.

Ordnung für ein komplexes Verfahren

Modrow nickt. Der inzwischen 90-Jährige sitzt in der ersten Reihe neben seinem Anwalt Otto Jäckel und hört zu, wie Richter Knut Möller versucht, das komplizierte Verfahren zu ordnen. Da sind einerseits Ansprüche Modrows auf Einsicht in Archive, andererseits Auskunftsersuchen zu noch nicht archivierten Vorgängen. Modrow will alles wissen, oder doch möglichst viel.

Der BND will nichts sagen, oder doch wenigstens möglichst wenig. Für den früheren SED-Politiker und heutigen Ehrenvorsitzenden der Linken geht es um eine politische Entscheidung, die aus seiner Sicht Zehntausende ehemalige DDR-Bürger betrifft, die von bundesdeutschen Diensten überwacht wurden. Für die Behörde stehen Quellenschutz und die Geheimhaltung geheimdienstlicher Methoden im Mittelpunkt.

Der BND hat seine Argumentation über die Jahre, die die Auseinandersetzung schon außergerichtlich läuft, verändert. Anfangs bekam Modrow kaum Informationen. Neun Seiten habe man nur gefunden, hieß es. Je hartnäckiger der frühere Volkskammer- und spätere Bundestags- und EU-Parlamentsabgeordnete nachfragte, desto länger wurden die Listen mit Material, das in den Archiven auftauchte. Modrow bekam Papiere, allerdings weitgehend geschwärzt.

Berichterstatter Möller liest reihenweise sogenannte Signaturen aus einer Datenbank namens „Faust“ vor, „Aufbewahrungseinheiten“, in denen der Name Modrows erscheint. Teilweise handelt es sich um Altbestände aus den 50er Jahren, teilweise datieren die Papiere aus der Wendezeit, teilweise reichen die Aufzeichnungen bis in die 2000er Jahre. Ein Teil des Bestandes ist vom BND für die Abgabe ans Bundesarchiv ausgewählt worden. Andere Teile liegen bereits dort und fallen unter die Vorgaben des Bundesarchivgesetzes. Die sehen vor, dass Dokumente erst öffentlich gemacht werden dürfen, wenn sie älter als 30 Jahre sind.

Doch Ingo Kraft sieht im Komplex, der sich mit Modrows Wunsch nach Einsicht in diese Bestände beschäftigt, keine Möglichkeit, zu seinen Gunsten zu entscheiden. Die Frist ist festgeschrieben, Ausnahmen gibt es nicht.

Andererseits will das Gericht auch nicht der Argumentation des BND folgen, der angibt, Modrows Auskunftsanspruch bereits vollumfänglich erfüllt zu haben. Allein der Umstand, dass der Dienst noch im laufenden Verfahren immer wieder neue Signaturen nachgemeldet habe, spreche gegen diesen Bescheid. „Wir haben es hier mit einem sehr dynamischen Prozess zu tun“, sagt der Richter, der bei der Verhandlungsführung penibel im Verwaltungsrecht bleibt.

Modrow, in dunkelgrauem Jackett, Polohemd und rotem Schal, ist niemand, der den Krawall sucht. Er spricht leise, mit heiserer Stimme, aber sehr bestimmt. Er sehe sich als Zeitzeuge, der zeigen wolle, dass im vereinigten Deutschland weiter „mit zweierlei Maß gemessen und zweierlei Recht zugestanden“ werde. Da die DDR nicht mehr klagen könne, „ist das nun Aufgabe von Personen wie mir“.

Und entscheiden muss das Hohe Gericht, das nach Kompromissen sucht. Es gebe einerseits keinen Anspruch Modrows, pauschal alle personenbezogenen Daten vom BND ausgehändigt zu bekommen. Andererseits, so Ingo Kraft, könne der sich nicht pauschal auf Geheimhaltungsgründe zurückziehen. „Sie wollten auf den Formalitäten herumreiten“, beschreibt der Vorsitzende Richter, was er von der Schwärzungsstrategie des BND hält, für die einer der Beamten vor Gericht ein Beispiel gibt. Weil es nicht gelungen sei, per Internetrecherche herauszufinden, ob der Mann mit dem Tarnnamen „Herbst“ tot sei, gehe man davon aus, dass der Informant aus den 50er Jahren noch lebe. So sei dessen Persönlichkeitsrechte zu schützen. Und Modrow dürfte keine Akteneinsicht bekommen.

Das gehe so nicht, zeigt das Gericht an, in welche Richtung es urteilen könnte. „Man darf sich nicht in Allgemeinheiten flüchten“, stellt Richter Thomas Heitz klar. Der BND-Tisch tuschelt, einer der Vertreter des Dienstes sagt dann: „Wir wissen jetzt, was wir zu tun haben“. Es gebe Möglichkeiten, bei der Auskunftserteilung „nachzuschärfen“. Zumindest dort, wo die Archivfristen bereits abgelaufen seien. Modrow müsse nur sagen, wo genau seine Interessen lägen.

Modrow benennt drei Kernfragen

Das macht er anschließend, indem er drei Themenkomplexe benennt: Was beobachtete der BND, als er Ende der 50er Jahre für einen Sitz im Westberliner Abgeordnetenhaus kandidiert habe? Welche Erkenntnisse hatte Pullach über seine ihm stets zugesprochene Rolle als Honecker-Nachfolger und ein von der Staatssicherheit angeblich vorbereitetes Hochverratsverfahren gegen ihn? Und wie nah kam der BND ihm auf Auslandsreisen, nach denen er wegen seiner Kontakte zu hochrangigen Regierungsmitgliedern anderer Staaten von seinen Genossen in der Berliner SED-Zentrale immer wieder wegen Kompetenzüberschreitung kritisiert wurde?

Die BND-Vertreter wechseln Blicke. Zwei Monate brauche man, heißt es dann. Kein Urteil, sondern ein Vergleich. Hans Modrow schmunzelt wieder, als er seine Aktentasche packt. Seine Hoffnung sei, dass sich der BND an die Abmachung halte, sagt er. Aber erwarten könne der Dienst, „dass wir uns hier wiedersehen, falls das nicht so sein sollte“.

Über den Kampf um die Akten hat  Robert Allertz ein Buch geschriebe
Über den Kampf um die Akten hat  Robert Allertz ein Buch geschriebe
dpa