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Lehrer im Alltag Lehrer im Alltag: Einzelkämpfer im Rampenlicht

Von Johannes Dörries 23.11.2003, 14:59

Halle/Magdeburg/MZ. - Humor soll sie haben, Stress aushalten, freundlich sein, konsequent, flexibel, engagiert und verständnisvoll - drei Lehrerinnen einer Sekundarschule in Halle sammeln Eigenschaften für die ideale Kollegin. Für den Lehrer oder die Lehrerin, die der Schule nach dem schlechten Abschneiden beim Pisa-Test aus der Misere helfen könnte.

Und sie wissen: Der Schulalltag sieht oft anders aus, grau, nervenaufreibend und turbulent. Das Resultat sind Schüler, Schulen, und Lehrer, die nicht nur bei dem internationalen Pisa-Vergleich schlecht abschnitten. Dass sich das ändern soll, ist wenig strittig. Die Suche nach Ansatzpunkten hat längst begonnen. Und immer wieder geraten die Lehrer ins Visier: Sie sollten sich ändern, besser unterrichten, sich mehr um die Schüler kümmern. Lang ist zugleich die Liste der Vorurteile, gebündelt formuliert einst von Gerhard Schröder: "Faule Säcke" seien sie.

Falsch, sagen vor allem die Betroffenen. "Natürlich gibt es Schwarze Schafe", räumt Thomas Lippmann ein, Chef der Lehrergewerkschaft GEW in Sachsen-Anhalt. Das Klischee halte der Überprüfung in der Praxis nicht stand. Es trage aber dazu bei, dass sich in den Schulen wenig bewege. "Die Lehrer stehen immer alleine da", klagt Lippmann. "Alle müssen mit ins Boot, wenn sich etwas bewegen soll," sagt er.

"Änderung muss flankiert und unterstützt werden," formuliert Werner Helsper, Professor und Schulforscher an der Uni Halle. Er stellt zufrieden fest, dass die Debatten um die Schule lebhafter geworden sind nach Pisa. Klar ist für ihn: "Die Lehrer sind nicht für alles zuständig und verantwortlich." Sie ins Zentrum der Forderungen zu stellen, "verschärft die Probleme und führt zu De-Professionalisierung". Ein Vorgang, unter dem letztlich alle leiden. Denn Lehrer, die sich einigeln in Routine, für die lauert die "Gefahr der Erstarrung". Wichtig sei indes Kreativität, Abwechslung im Unterricht, eine Vielfalt der Methoden. Und Helsper plädiert für Schulen, die Kooperation, Diskussion und den Austausch der Lehrer untereinander fördern.

Die drei halleschen Lehrerinnen sehen sich in einem solchen Rahmen: Ihre "Sekundarschule Feiimfelde" ist mit 180 Schülern relativ klein, das Lehrerkollegium mit 15Kollegen überschaubar. So schwärmt Karin Weber, Englischlehrerin und eine der drei, von Gesprächen über Unterricht, Schüler und Lernstoff. Da werde vieles transparent, was im Unterricht stattfindet. Wenn es mal schlecht läuft, "gibt es immer jemanden, bei dem ich Dampf ablassen kann", sagt ihre Kollegin Ines Brühmann.

Das ist häufig anders, beschreibt Lippmann: "Viele fühlen sich als Einzelkämpfer." Der Gewerkschafter wünscht sich das anders: Das Beobachten des Unterrichts, in anderen Ländern längst bewährte Praxis, "müsste so gepflegt und trainiert werden, dass es nicht als Last empfunden wird, dass kein Druck entsteht".

"Es werden Forderungen an die Lehrer gestellt, die sie nicht erfüllen können", beschreibt Renate Girmes die Situation. Die Professorin bildet an der Uni Magdeburg Lehrer aus, ihr Schwerpunkt: Wissens- und Lernmanagement. Sie sieht den Schwarzen Peter nicht bei den Lehrern. Viele Probleme entstünden, weil die Schule in ihrer jetzigen Organisationsform nicht das leisten könne, was von ihr verlangt wird. Aber Schule sei veränderbar, sagt Girmes: "Der Konsens in der Gesellschaft ist da, wir müssen es einfach tun."

Girmes setzt auf eine veränderte Haltung bei den Pädagogen: Sie sollten die Schule stärker zu einem Ort der Kommunikation machen. Zum Ort, "an dem Generationen miteinander darüber sprechen, wie sie die Welt sehen". Der Lehrer habe dabei nicht die Aufgabe, auf alle Fragen eine Antwort zu wissen. "Er ist nur eine Stimme in der pluralen Welt." Einer, der sich befragen lässt. "Kinder schätzen Lehrer, die ihnen Informationen bieten", sagt Girmes. "Wer so ihre Achtung gewinnt, der hat auch Autorität."

Regina Brachvogel, die dritte der halleschen Lehrerinnen, legt Wert auf "lebhaften Unterricht" und einen guten Draht zu den Kindern. "Es wäre gut, neben dem Unterricht mit den Schülern anderweitig zu arbeiten. So könnten wir sie von der Straße holen." Ideen hat sie, "aber wir, die Lehrerinnen, haben zu wenig Einfluss. Wir werden viel zu selten gefragt. Das ärgert mich."