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Wittenberg Wittenberg: Der Weltrekord-Ansager

Von Rainer Schultz 23.10.2012, 17:27

Wittenberg/MZ. - "Als Sprecher Emotionen zeigen? Das war in den 70er und 80er Jahren nicht üblich. Sachlich, nüchtern und fachlich fundierte Informationen den Zuschauern bieten war unsere Aufgabe. Und daran hielten wir uns." Der dies sagt, ist der Wittenberger Horst Reinecke (Jahrgang 1931). Einer, der auf eine lange Sprecherkarriere zurückblickt und nahezu alle internationalen Größen der Leichtathletik ankündigen durfte.

Emotionen außer der Reihe

In seinem akribisch geführten Sprecherbuch stehen sie, all die Großereignisse, aber auch die nationalen Wettkämpfe. Dazu zählten Leichtathletik-Länderkämpfe, Junioreneuropameisterschaften und DDR-Meisterschaften. "Einmal", so erinnert er sich, "musste ich über meinen Schatten springen und konnte für einen Sprecher unüblich meine Begeisterung nicht im Zaum halten." Das war am 29. Juli 1987 vor 60 000 Zuschauern im Leipziger Zentralstadion, als sich bei 78,90 Metern der Speer von Petra Felke in den Boden bohrte. "Ich brüllte es förmlich ins Mikrofon: Weltrekord. Am gleichen Tag durfte ich den Juniorenweltrekord von Ilke Wyludda im Kugelstoßen mit 20,10 Meter verkünden."

Als Horst Reinecke all diese Details schildert, fällt ihm noch so manche Anekdote ein. "Die Junioreneuropameisterschaften in Cottbus 1985 waren eine echte Herausforderung. Es zählt eigentlich zum Reglement, die Ansagen mehrsprachig durchzuführen. Die Verbandsoberen wollten darauf verzichten. Wir als Sprecher hingegen setzten die Mehrsprachigkeit durch." Es gab jedoch ein Problem. Woher auf die Schnelle jemanden finden, der als französischer Ansager agierte? "Die Lösung war eine Französischlehrerin aus Cottbus, die zwar keine Leichtathletikkenntnisse besaß, diese knifflige Aufgabe dennoch mit Bravour meisterte."

Horst Reinecke wollte nach dem Abitur 1950 Sportjournalist werden. Sein Lehrer meinte dazu: "Lerne erst mal einen Beruf!" Am Ende wurde es ein kaufmännischer. Leiter Betriebswirtschaft und schließlich Hauptbuchhalter im VEB Wittol waren seine beruflichen Stationen. Von 1946 bis 1961 jagte er bei Einheit Wittenberg dem Fußball nach und war wegen seiner Schnelligkeit beim Gegner gefürchtet. Dies trotz eines körperlichen Handicaps - ihm fehlt von Geburt an die rechte Hand.

"Faszinierend war für mich mein erster Sprecher-Länderkampf 1972 in Leipzig, DDR gegen Großbritannien. Zwei der damals größten Leichtathletiknationen der Welt vor 40 000 Zuschauern ansagen; ich gebe zu, da hatte ich schon ein wenig Lampenfieber", so Reinecke. "Wenn ich mich manchmal von meinem Sprecherplatz bei internationalen Kämpfen umblickte, saßen hinter mir unauffällig gekleidete Herren, deren Interesse weniger der Leichtathletik galt, sondern dem, was der Sprecher sagte." Reinecke, der nicht Mitglied der SED war, dessen fachliche Kompetenz aber dieses "Manko" ausglich, hatte ein gutes Verhältnis zu den Rundfunkreporterkollegen, wie Werner Eberhard. Man unterstützte sich. "Eberhard sagte mal zu mir: Haste was Besonderes für mich Oberbuchhalter? Ich komme gerade vom Eishockey und muss erst mal auf Leichtathletik umpolen." Oberbuchhalter war Reineckes Spitzname. Auch zu Dirk Thiele (Euro-Sport) und Wolfgang Hempel (DDR-Reporterlegende) pflegte er ein freundschaftliches Verhältnis. Heinz-Florian Oertel hingegen war zwar freundlich, aber eher distanziert.

Kartengruß aus Montreal

Gern erwähnt der Wittenberger das Leichtathletikolympiateam von 1976, das ihm einen Kartengruß aus Montreal sandte. Selbst Olympiasieger Cierpinski versäumte es nicht, Grüße aus Japan zu schicken. Natürlich war auch in Wittenberg die Stimme von Horst Reinecke zu hören. Die Olympiaqualifikation im Marathonlauf oder die DDR-Cross-Meisterschaften im Volkspark zählten zu den Höhepunkten. Rückblickend spricht all dies für ein bewegtes und erfülltes Leben, das er mit seiner Frau Margot, vier Kindern, sieben Enkel und vier Urenkeln teilt.