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Wiedersehen mit Likörfabrik Wiedersehen mit Likörfabrik: Zahnaer Devisenbringer

Von Ute Otto 11.04.2019, 10:23
Cornelia Schulze und Wolfgang Habedank hatten eingeladen.
Cornelia Schulze und Wolfgang Habedank hatten eingeladen. Ute Otto

Zörnigall - Vier Jahre, nachdem in der Likörfabrik Zahna die letzte Flasche vom Band gelaufen ist, treffen sich rund 60 ehemalige Mitarbeiter des einstigen Traditionsbetriebes in der Zörnigaller Gaststätte „Schön Birke“. Ausgegangen war die Initiative von Cornelia Schulze und Wolfgang Habedank.

So bitter seinerzeit das Ende für zuletzt 60 Mitarbeiter war - Cornelia Schulze gehörte zu denen, die das Licht ausgemacht haben - es ist ein Wiedersehen voller positiver Erinnerungen. „Es war eine schöne Arbeit, dank der Kollegen. Wir haben auch mal geschimpft, aber wir haben zusammengehalten“, sagt Rosita Kranepuhl.

Damit spricht sie auch den Frauen am Tisch der „Eierlikörfraktion“, wie Wolfgang Habedank sagt, aus dem Herzen. Der Zahnaer Eierlikör - 1898 als Schutzmarke „Eiercognac“ eingetragen - war laut Habedank, der als Betriebshandwerker in der Fabrik gearbeitet hat und zugleich Chronist in Zahna ist, der „Devisenbringer“.

Tasse Kaffee für Messegold

Helene Rokitte, 78 Jahre, hat noch an der Rinne gesessen, über der die Eier per Hand aufgeschlagen wurden, „immer zwei gleichzeitig“, bis dann um 1970 die drei Maschinen angeschafft wurden. 24.000 Stück pro Stunde schaffte eine Maschine.

Das Eiweiß wurde in Bäckereien weiter verarbeitet, später gab es in der Likörfabrik eine eigene Sprüheiweißproduktion. Sonderschichten haben sie gefahren vor Weihnachten und Ostern.

1888 baute der Berliner Franz Hellwig am damaligen Köpnicker Weg in Zahna eine Fruchtsaftfabrik mit Dampfbetrieb. Für die Produktion kaufte er Obst aus den Gärten, aber auch Waldbeeren auf. 1895 erweiterte Hellwig die Fabrik um die Cognacbrennerei. Während der beiden Weltkriege und in den Hungerzeiten danach produzierte die Fabrik Obstkonserven, Sauerkonserven und Sauerkraut. 1945 war die Fabrik an Franz Neiss verkauft worden, der floh in den Westen, das Unternehmen wurde treuhänderisch geführt. Bis 1969 wurden neben Fruchtlikören auch Wein und Sekt hergestellt, die Produktion von Emulsionslikören begann 1969. Eine Million Liter Eierlikör wurden 1983 in den Westen exportiert. 1989 arbeiteten sechs Hochleistungslinien. Nach 1990 gab es mehrere Umstrukturierungen. Noch 2007 wurde in neue Maschinen investiert. 80 verschiedene Produkte wurden in Zahna abgefüllt. Im Januar 2015 wurde die Produktion überraschend eingestellt und die meisten Maschinen nach Polen verkauft. Quelle: Wolfgang Habedank

Für knapp zwei D-Markt, das haben die Frauen an den Etiketten gesehen, ist die Flasche Eierlikör im Westen verkauft worden. In der DDR hat der Zahnaer „Advokat“ 18,75 Mark gekostet, das ist im Wittenberger Haus der Geschichte nachzuprüfen.

Mehrfach ist der Zahnaer Eierlikör auf der Leipziger Messe ausgezeichnet worden. „Für uns gab’s dafür eine Tasse Kaffee, mehr nicht“, sagt Helga Rokitte. „Wir waren eine dufte Truppe“, erinnert sich Hela Lindeholz an den Alltag, aber auch an viele gemeinsame Unternehmungen und Feiern.

375 Beschäftigte hatte der Betrieb 1990, als die VEB Fläminger Spirituosenfabrik privatisiert wurde und in den Verbund der „drinks&food“ GmbH von Jürgen Bouchette übernommen wurde. Bis 1992 sank die Belegschaft auf 107 Mitarbeiter, da waren Spülabteilung, Eieraufschlägerei und die Trockeneiweiß-Herstellung schon geschlossen.

„Bouchettes waren geschickte Kaufleute und nur unter diesem Gesichtspunkt haben sie das Unternehmen geführt“, sagt Rüdiger Hoppe, der von 1997 bis 2001 Betriebsleiter war. Zuvor war der Westberliner bei Verpoorten, das Metier war ihm also nicht fremd.

Die Frauen der Eierlikörfraktion loben den ehemaligen Chef in den höchsten Tönen. „Er ist auch in den entlegensten Bereich gekommen und hat jedem Mitarbeiter die Hand gegeben“, erzählt Hela Lindeholz.

Staunen über Improvisation

„Ich habe da oft zwischen Baum und Borke gestanden“, sagt der Rentner, der privat in Zahna hängen geblieben ist, heute. „Der Baum war der oberste Chef, die Borke die Belegschaft.“ Weil ihm die Spannung so zugesetzt habe, sei er 2001 gegangen. Dass die Firma den Bach runter gehen würde, habe er damals jedoch nicht ahnen können.

Dass er Hochachtung hatte vor den Betriebshandwerkern, erzählt Rüdiger Hoppe. „Die DDR hat Hochleistungsmaschinen aus dem Westen gekauft, aber keine Wartungsverträge dazu und keine Ersatzteile. Die Betriebshandwerker hatten ein erstaunliches Improvisationstalent.“

Die Verbundenheit der Mitarbeiter mit ihrem Betrieb, so wie er sie in Zahna noch kennen gelernt habe, „das ist heute in der Wirtschaft verloren gegangen“. Er habe sich gefreut über die Einladung, und es sei schön zu hören, „dass man nicht schlecht gelitten war“. (mz)