Tiere des Jahres Tiere des Jahres: Susi verstärkt die Schutztruppe gegen den Wolf

Prettin - Das mulmige Gefühl im Magen wird Frank Seide einfach nicht los. „Immer wenn ich zu meiner Herde fahre, startet der Film mit den schrecklichen Bildern“, sagt der Hobbyschäfer aus Prettin, der bei mehreren Wolfsangriffen knapp 30 Schafe verloren hat. Der 59-Jährige zieht die Reißleine, holt sich einen ausgebildeten Herdenschutzhund der Rasse Pyrenäenberghund und kann seit zwei Monaten wieder durchschlafen.
Der vierbeinige Bodyguard aus dem Herdenschutz-Zentrum Wiesenburg hat auf der neun Hektar großen Weidefläche bei Lindwerder sofort das Kommando übernommen. „Wir sind ein eingespieltes Team“, sagt der Hobbyschäfer, der die Qualitäten des Hundes sehr schätzt. Dieser läuft in der Nacht sein Revier ab, setzt am Zaun Duftmarken und nimmt der Herde die Angst.
Seide erzählt mit hörbarem Stolz in der Stimme, dass der Hund vor kurzem seine „Gesellenprüfung“ mit Bravour bestanden hat. Rehe sind in die Koppel eingedrungen und haben den Elektrozaun an mehreren Stellen beschädigt. „Er hat die komplette Herde zusammengehalten“, so der 59-Jährige, der sich nach dem Fest einen zweiten Pyrenäenberghund aus Wiesenburg holt.
Vierbeiniges Familienmitglied
„Susi wartet schon“, sagt Mario Lindenborn, der die 14 Wochen alte Welpen-Dame mit mutig und aufgeschlossen charakterisiert. In Vorbereitung auf ihre künftigen Aufgaben habe „Susi“ an der Seite erfahrener Artgenossen verschiedene Nutztiere kennengelernt und schnell gezeigt, dass viel Schutzinstinkt vorhanden ist. „Sie schlägt auch außerhalb des Grundstücks an. Egal, ob Zwei- oder Verbeiner vorbeilaufen“, so der 49-jährige Leiter des Herdenschutzzentrums, der vor Ort auch ein Tierheim betreibt.
Prinzipiell sei es nicht ratsam, den Welpen gleich auf der Koppel einzusetzen. Die kleine Hündin muss zunächst in den Alltag des Schäfers integriert werden. Dazu gehören Auto- und Einkaufsfahrten, der Umgang mit anderen Nutztieren oder Verhaltensregeln im Haus. Im Frühjahr 2019 darf der Welpe beim großen Pyrenäenberghund in die Lehre gehen. Für die Klassifizierung ist Swen Keller von der Interessengemeinschaft Herdenschutz plus Hund aus Aken zuständig.
Zu diesem Zeitpunkt ist „Susi“ bereits zwei Jahre. Lindenborn erzählt, dass er ein wenig traurig sei, dass der Hund Ende des Jahres nach Sachsen-Anhalt wechselt. Doch dies sei der Lauf der Dinge. Insgesamt habe er 30 Vierbeiner mit Schutzinstinkt an Nutztierhalter abgegeben. „Wichtig ist“, meint er, „dass wir Kontakt halten. Ich freue mich über jedes Bild.“ Seide verspricht, dass er das wachsame Familienmitglied peu à peu an sein neues Umfeld gewöhnen wird. Der Kontakt mit allen Nutztieren gehört dazu. Nichts übers Knie brechen, lautet die Maxime.
Nachwuchs nach dem Fest
Der Erfolg hat auch seine Schattenseiten. Denn die drei Wolfsangriffe innerhalb der Deckzeit haben sein Bemühen, reinrassige Rhönschafe zu züchten, massiv konterkariert. Auf der neun Hektar großen Weidefläche bei Lindwerder stehen Heidschnucken, Schwarzköpfe und Rhönschafe, Seide muss abwarten, wie die Lämmer aussehen. „Nach Weihnachten geht es los“, sagt er und verrät, dass die „Lämmerzeit“ etwas ganz Besonderes ist.
ADie „Kleinen“ bleiben im Winter bei der Herde. Es sei denn, der Frost beißt ordentlich zu. Der Prettiner geht davon aus, dass die Böcke trotz des eher vitaminarmen Futters ihre Arbeit ordentlich erledigt haben und die Mutterschafe viel Nachwuchs zur Welt bringen. Später wird ausgesiebt und die Jungs von den Mädchen getrennt. „Damit keine Inzucht entsteht“, erklärt der Hobbyschäfer.
Das Jahr 2018 hat bei dem Prettiner Spuren hinterlassen - physisch wie psychisch. Er ist mehrfach mit seiner Herde umgezogen, hat schlaflose Nächte am Fließband durchlebt, tote Schafe gezählt und permanent mit der Angst gelebt: Wann schlägt der Wolf wieder zu? „Es ging ans Limit“, blickt er zurück. Momentan herrscht Ruhe. Der vierbeinige Bodyguard macht seinen Job vorbildlich. Seide ist kein Fan von Schreckens-Szenarien. Doch gegen den Angriff eines Rudels hat der Pyrenäenberghund keine Chance.
Für das kommende Jahr wünscht sich der Prettiner neben privatem Glück vor allem Ruhe in der Herde und weniger Stresssituationen. Die drei Angriffe sind zwar sehr medienwirksam gewesen, doch permanent im Fokus zu stehen, sei nicht sein Ding. Etwas hat sich Seide geschworen: Wenn Aufwand und Nutzen nicht mehr übereinstimmen, ist Feierabend mit dem Hobby. Denn Schafe gehören nicht in den Stall. (mz)