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Streit mit dem Amt Streit mit dem Amt: So hart lässt das Jobcenter einen Familienvater auflaufen

Von Michael Hübner 06.07.2017, 09:43
Die Familie Dunkel fühlt sich in Rahnsdorf wohl.
Die Familie Dunkel fühlt sich in Rahnsdorf wohl. Thomas Klitzsch

Rahnsdorf - Yves Dunkel ist ein Mann, der Chancen beim Schopf packt. Der 44-Jährige, der durch seine Tätigkeit das umstrittene Konzept von Zeitarbeitsfirmen - „Heuern und Feuern“ - am eigenen Leibe spürt, will endlich etwas Festes. Als Familienoberhaupt trägt er Verantwortung für zwei kleine Kinder und kümmert sich um seine schwerstkranke Frau.

Im Klartext: Er braucht ein geregeltes Einkommen. Dass dabei ausgerechnet das Jobcenter zum Dauerrivalen wird, ahnt der Mann nicht im Geringsten. Bisher hat er nie Probleme mit Ämtern gehabt. Das soll sich aber noch gewaltig ändern. Dabei geht es eigentlich nur um eine Überbrückung bis zur ersten Lohnzahlung.

Zum Termin fehlt die Beraterin

Die Geschichte fängt aber zunächst gut an. Der Zeitzer wird in Wittenberg bei der Jobsuche fündig, findet auch ein neues Zuhause in Rahnsdorf. Der Umzug wird akribisch vorbereitet und geht dann doch eher - am 15. Juni - von statten, weil sein neuer Arbeitgeber dringend Personal benötigt.

Eigentlich passt alles. Seine Mädels - Zoe (zwei Jahre) und Colleen (sieben Jahre) - und Frau Manuela - „Ich mag Land mehr als Stadt“ - fühlen sich wohl. Doch im Moment überwiegt der Ärger. Dafür sorgt das Jobcenter. Dunkels Bilanz fällt negativ aus: „Nach sechs Gesprächsterminen beim Amt hat es immer noch kein Geld gegeben. Schuld waren unter anderem falsche Formulare und Ansprechpartner.“

Das Jobcenter hat vor Gericht schlechte Karten. Allein gegen Ablehnungsbescheide bei Bedarf für Unterkunft und Heizung wurde bis Ende August 2016 - aktuellere Zahlen liegen der MZ nicht vor - 105 Mal erfolgreich geklagt. Weiteren zwölf Menschen gelingen Teilerfolge gegen die Behörde und 76 Verfahren enden in einem Vergleich. Hinzu kommen 198 erfolgreiche Widersprüche. Das ist ein dramatischer Anstieg. 2015 verlor die Behörde 54 Fälle, 2013 waren es 17. Die Kosten für die Rechtsstreitigkeiten belaufen sich jährlich auf 800.000 Euro. Hinzu kommen die Kosten für externe Rechtsberater. 2013 wird - ohne Ausschreibung - eine Kanzlei aus Delmenhorst für 750.000 Euro beauftragt.

Die Papiere - die Leistungsbezüge sind unstrittig - habe er stets vom Jobcenter erhalten und schon im Eingangsbereich werde ja jeder an den zuständigen Mitarbeiter vermittelt. „Das geht alles sehr schnell“, so Dunkel. Manchmal ist es gar viel zu schnell. Die Familie wird am 27. Juni um 11 Uhr ins Jobcenter bestellt. Sie dürfen sofort wieder heimfahren.

Weder die Beraterin noch ihre Stellvertreterin sind vor Ort. „Ich habe schon mit Nachdruck gesagt, dass ich zwei kleine Kinder zu ernähren und eine schwerstkranke Frau zu versorgen habe“, erzählt Dunkel.

Ablehnungen zur Begrüßung

Schon die Kontaktaufnahme verläuft ungewöhnlich. „In Zeitz konnten wir alles per Mail erledigen. Die Entscheidungen fallen in zwei oder drei Tagen. In Wittenberg ist persönliches Erscheinen eben Pflicht“, berichtet Dunkel. Und so ist er - nicht ganz freiwillig - mehrfach in Wittenberg. Zum ersten Mal absolviert er die 240 Kilometer - von Zeitz hin und zurück - am 8. Mai und ist überrascht. „Ich wurde gefragt, warum ich mir ausgerechnet hier einen Job suche“, erzählt er.

Die Antwort ist schnell zu finden - in der Statistik der Arbeitsagentur. Es gibt Hunderte freie Stellen. Jeder, der Arbeit sucht, ist im Landkreis herzlich willkommen. Dafür plant die Kreispolitik große Aktionen - erstmals soll im Dezember ein Rückkehrertag Arbeitskräfte in die Region locken. Dunkel hat seine Begrüßungsschreiben fein säuberlich abgeheftet. Es sind Ablehnungsbescheide. Dabei geht es um die Miete.

Laut Angemessenheitsgrenze werden die Kosten aber um 30 Cent unterschritten. Und die Mietkaution wird verweigert, weil die Frau im Einwohnermeldeamt nicht registriert ist. Der negative Bescheid kommt am 9. Juni - eine Woche vor dem Umzug. Die 43-Jährige, die in Zeitz lebt, soll eine Meldebescheinigung für Rahnsdorf, wo sie bald leben wird, schon mal vorlegen.

Aber das ist alles offensichtlich „Vorgeplänkel“. In Wittenberg wird Familie Dunkel offiziell erst am 16. Juni registriert. An diesem Tag beginnt für das Jobcenter die Zeitrechnung. Die Mitarbeiter erzählen eine andere Version der Geschichte. Demnach seien erst am vergangenen Freitag die Unterlagen vollständig abgegeben worden.

Am Dienstag war die Anordnung des Geldes geplant - das erfolgt im Vier-Augen-Prinzip. Auch diese Hürde wird gemeistert: Am Mittwoch wird das Geld angewiesen. „Wir waren also super schnell“, heißt es aus dem Jobcenter. Freilich, das wird auf die MZ-Anfrage bestätigt, ist in Notfällen auch eine Barauszahlung möglich. Familie Dunkel zählt - trotz der dramatischen Situation - nicht dazu.

Die Unterstützung kommt von anderer Seite. „Uns haben Bekannte geholfen. Wir saßen nicht auf dem Trockenen“, so Dunkel, der aber die Tage bis zum ersten Lohn zählt. Jetzt gibt es noch davor das Geld vom Amt. Doch ein Happy End ist das nicht. Im August gibt es eine Fortsetzung.

Die Leistungsbezüge müssen durch die Arbeitsaufnahme neu berechnet werden. „Dazu fehlen aber noch Unterlagen“, heißt es aus dem Jobcenter zur MZ. „Das ist mir völlig neu“, sagt Yves Dunkel. (mz)