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Qualvolle Reise für Angehörige Qualvolle Reise für Angehörige: Arbeiterwohlfahrt will für Demenz sensibilisieren

Von Sabine Wesner 20.09.2017, 08:06
Es gibt griechischen Salat: In der Seniorenresidenz Kemberg wird gemeinsam Gemüse geschnippelt. Eine Beschäftigung, die auch bei Demenzkranken im fortgeschrittenen Stadium beliebt ist und bei den meisten gut klappt.
Es gibt griechischen Salat: In der Seniorenresidenz Kemberg wird gemeinsam Gemüse geschnippelt. Eine Beschäftigung, die auch bei Demenzkranken im fortgeschrittenen Stadium beliebt ist und bei den meisten gut klappt. S. Wesner

Kemberg - „Das ist doch nicht meine Tochter. Meine Tochter ist acht Jahre alt und gerade in der Schule“, sagt die ältere Dame und blickt - ohne den geringsten Ausdruck des Erkennens - auf die jüngere Frau, die sich zu ihr und der Pflegerin an den Frühstückstisch gesetzt hat. Eine 50-Jährige, die eigens aus Oranienbaum nach Kemberg in die Seniorenresidenz „Marie Juchacz“ gekommen ist, beobachtet diese von Pflegekräften gespielte Szene, atmet tief durch und sagt: „Oh mein Gott, das kenne ich“.

Der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt hat am Dienstag zu einem von zwei Aktionstagen im Rahmen der bundesweiten Woche der Demenz nach Kemberg eingeladen, in Wittenberg ist ebenfalls ein Aktionstag geplant.

Zahl der Demenzkranken in Deutschland steigt

„Wir wollen mit der Aktion auf die Krankheit Demenz aufmerksam machen und die Öffentlichkeit sensibilisieren“, erklärt Michaela Pabst. „Derzeit gibt es in Deutschland 1,6 Millionen Demenzkranke. Fachleute erwarten, dass es 2060 doppelt so viele sein werden. Tendenz steigend“, sagt die Leiterin der Pflegeeinrichtung, in der zwei Drittel der 43 Bewohner dement sind. Sie spricht von einer großen Herausforderung für die Gesellschaft.

Am 21. September, dem Welt-Alzheimer-Tag, findet in der Tagespflege des Kreisverbandes der Arbeiterwohlfahrt, Pfaffengasse 22, in Wittenberg von 10 bis 11.30 Uhr ein zweiter Demenz-Aktionstag statt. Gespräche, Mitmachangebote und Infos zum Paf-Projekt stehen auf dem Programm, zu dem alle eingeladen sind.

Für Michaela Pabst und ihre 34 Mitarbeiter ist der Aktionstag eine Premiere. Neben einem Vortrag, Mitmachangeboten und einer Führung durch die Pflegeeinrichtung konnten Besucher mehr über den Alltag mit Erkrankten erfahren. „Demenz ist die Krankheit des Vergessens und des unwiederbringlichen Verlusts von Erinnerungen und Fähigkeiten“, sagt die Heimleiterin. Für Erkrankte und Angehörige sei es eine lange, schwierige und qualvolle Reise.

„Demenz kann jeden treffen. Und das nicht erst ab 65 Jahren. Auch Kinder und jüngere Erwachsene können erkranken“, sagt Michaela Pabst. Es gibt keine Heilung. Nur Therapien, mit der das Fortschreiten der Demenz verzögert werden kann, erfahren die Besucher. Bei einem Vortrag wird auch das Programm „Paf - Pflegebedürftige aktiv fördern“ zur Steigerung der Mobilität von Heimbewohnern vorgestellt.

Respekt gegenüber Demenzkranken ist wichtig

Es sei wichtig, die Betroffenen respektvoll zu behandeln und in den Alltag einzubeziehen. Bewegung, Spiele, Rätsel, gemeinsam das Essen vorbereiten und Kommunikation auf Augenhöhe tragen viel zum Wohlbefinden der Betroffenen bei. „Bloß weil sie dement sind, heißt das nicht, dass sie keine Wünsche, Gefühle und Ängste haben. Es sind immer noch Menschen, die, auch wenn sie aus unserer Sicht Unsinn erzählen oder die Orientierung verlieren, nicht von oben herab behandelt werden möchten“, sagt Pabst. In der Gesellschaft gebe es noch große Befindlichkeiten. „Viele sind unbeholfen, andere fühlen sich sogar bedroht“, verweist sie auch auf die Bürde für die Angehörigen.

Das kann die Oranienbaumerin bestätigen. „Seit acht Jahren hat meine Mutter Demenz. Sie zu pflegen wird immer schwieriger. Nachts ist es eine Herausforderung“, sagt sie. Sie ist froh, dass sie sich in Kemberg informieren konnte und einige Tipps bekommen hat, wie das Alltagsleben erleichtert werden kann. (mz)