Leichtathletik in Piesteritz Leichtathletik in Piesteritz: So weit die Füße Siegfried Marschner tragen

Wittenberg - Als Siegfried Marschner loslegt, in seinem Fotoalbum zu blättern, fangen seine Augen an zu glänzen. „Das hier ist Jürgen May, Ex-Weltrekordler über 1 000 Meter. Hier ist Siegfried Herrmann. Er hielt den Weltrekord über 3 000 Meter. Der Letzte im Feld bin ich“, betont Marscher, der heute seinen 80. Geburtstag feiert. Es klingt fast wie eine Entschuldigung, dass es für ihn aus sportlicher Sicht nicht zur absoluten Spitze gereicht hat. Für sein Alter hat sich der noch aktive Leichtathlet super gehalten. Kein Bauch, schlank und rank sitzt er da. Der Sport bestimmt nach wie vor seinen Alltag. 25 Liegestütze und die Übungen an der im Flur befindlichen Reckstange gehören zum allmorgendlichen Ritual.
„Vater“ des Fläminglaufs
Der Leichtathlet aus Passion hat von 1981 bis 2004 als Abteilungsleiter die Geschicke beim SV Grün-Weiß Piesteritz gelenkt. Als „Vater“ des Fläminglaufs war er 25 Jahre dessen Cheforganisator. Viele nationale Laufveranstaltungen im Volkspark gingen auf sein Konto. „Nicht soviel Schmus um meine Person“, sagt er und betont, dass er es nicht liebt, im Vordergrund zu stehen. An seinem Jubiläum kommt er nicht darum herum. Wenn Marschner über sein Leben spricht, kommen viele Erinnerungen hoch. Wie so viele seiner Generation erlebte er noch die Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges mit. 30 Kilometer östlich von Görlitz stand sein Heimathaus. Bei den Bombenangriffen auf Dresden wurde seine Familie evakuiert. Über viele Stationen gelangte Marschner nach Döbeln, wo er als 18-Jähriger mit der Leichtathletik in Berührung kam. Bei Lok Döbeln wurden die ersten Kontakte nach Wittenberg geknüpft. Manfred Kuschel (Lok Wittenberg) war es, der eng mit den Döbelner Leichtathleten kooperierte. Man traf sich zu Crossläufen im Volkspark. Die Wettkampfdistanzen waren 800 Meter bis 25 Kilometer lang. Auch der Marathon zählte zu seinen Laufdisziplinen.
1973 bekam der studierte Maschinenbauingenieur und seine Familie eine Wohnung plus Arbeitsplatz in Wittenberg. Erste sportliche Netzwerke wurden geknüpft. „Manchmal musste mich meine Frau Rose in meinem sportlichen Eifer ausbremsen“, bekennt im Nachhinein schmunzelnd der Jubilar. Wer nahezu 60 Jahre aktiv ist, bei dem stellt sich die Frage: Was habe ich an Laufschuhen verbraucht? „Bei mir waren es etwa 40 Paar und dazu noch 15 Paar Spikes. Die ersten besaß ich übrigens bereits 1953. Drei Paar sind noch davon in Nutzung“, verweist Marschner stolz auf seinen Schuhbestand. Zu DDR-Zeiten waren gute Sportschuhe eine Rarität. „Sie wurden sorgfältig behandelt und hielten lange. Über Umwege aus der damaligen CSSR beschafften wir uns welche“, erinnert er sich.
Wer rastet, der rostet
Mit 80 etwas kürzer treten? Diese Frage beantwortet der Jubilar mit „jein“. Dreimal in der Woche verschlägt es Marschner in den Volkspark. „Sechs bis sieben Kilometer lockeres Lauftraining lasse ich mir nicht nehmen“, lautet sein knapper Kommentar. Mit Wettkämpfen hat er 2009 aufgehört. Sein würdiges Finale war der Rennsteiglauf. 20 Mal absolvierte Marschner den beliebtesten Landschaftslauf Deutschlands, darunter fünfmal die Marathondistanz. Seine Bestzeit liegt bei 3:16 Stunden. Erzielt 1975 im Berliner Plänterwald. Trotz nahezu absolvierten 400 Wettkämpfen hat er die Übersicht. In seinem Trainings- und Wettkampfbuch ist alles akribisch aufgezeichnet. 75 400 Kilometer stehen zu Buche. Im Ausland ist er nach der Wende nur einmal gelaufen. „In Österreich bei einem Berglauf mit 1 000 Höhenmetern im Kleinen Walsertal. Das war ein echter Knüller.“
Trotz aller Freude auf seinen „Runden“ liegt dem Jubilar etwas schwer im Magen. Der beliebte Volkspark, einstige repräsentative Crossstrecke, gleicht derzeit einem Dschungel. Dieser Zustand ärgert ihn maßlos. Sein Geburtstagswunsch lautet daher: Die Wiederherstellung eines wettkampftauglichen Strecke im Volkspark. (mz)