Hochwasser vor 15 Jahren Hochwasser vor 15 Jahren: Deichbruch bleibt bei Einwohnern von Prettin unvergessen

Prettin - Helga Welz hat den Knall, verursacht durch den Deichbruch bei Dautzschen, nicht vergessen. „Ich wollte es als Rentnerin eigentlich ruhig austrudeln lassen“, sagt die damalige Bürgermeisterin der Stadt Prettin, die innerhalb von Stunden im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Das Jahrhunderthochwasser 2002 bezeichnet Helga Welz (parteilos) als „Höhepunkt“ ihrer 16-jährigen Amtszeit.
Die Bürgermeisterin muss nach dem Deichbruch am 18. August im sächsischen Dautzschen Entscheidungen im Sekundentakt treffen. Evakuieren, Organisieren, Improvisieren bestimmen wochenlang ihren Tagesablauf. „Als das Wasser angerauscht kam, habe ich am Engpass Lichtenburger Tor gestanden“, erinnert sich Welz und erzählt, dass die Fluten alles mitgerissen haben - Hundehütten, Fahrradständer, Bretter.
Helfer aus aller Welt kommen nach dem Hochwasser nach Prettin
In den nächsten Tagen kommt die nächste „Flut“. Freiwillige aus aller Welt helfen mit, die entstandenen Schäden zu beseitigen. „Es waren sogar Leute aus Pakistan dabei“, blickt die ehemalige Bürgermeisterin zurück. In der Not rücken die Menschen zusammen. Das hat die heute 76-Jährige damals deutlich gespürt. Die Solidarität ist aus ihrer Sicht einmalig gewesen.
Der damalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), hat bei Welz in der Katastrophenzeit ebenfalls einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Bevor der Ministerpräsident zu mir ins Rathaus gekommen ist, hatte er seine Stadtrunde in Gummistiefeln hinter sich. Dem konnte ich einfach nichts vermachen“, betont die 76-Jährige, die große Stücke auf Böhmer hält. Dieser habe in Sachen Fluthilfe viele Türen in Magdeburg geöffnet.
In der Hitliste der negativen Erinnerungen steht der Öl-Gestank, der durch Prettin geweht ist, mit ganz oben. Als das Hochwasser anrückt, haben viele Leute ihre Tanks im Keller zuvor mit Öl befüllen lassen, um ein Umkippen zu verhindern. Doch die Flut kennt keine Gnade und reißt alles mit.
„Feuerwehrleute aus Erfurt haben in großen Becken das Öl vom Wasser getrennt, um eine Umweltkatastrophe zu verhindern“, so Welz, die den Kameraden aus Thüringen für diese Einsätze noch heute dankbar ist. Wenn die Ex-Bürgermeisterin vor der Hochwassersäule im Stadtpark steht, fasst sie den Stein ganz vorsichtig an. „Der Höchststand am 18. August 2002 war 9,80 Meter. Aktuell liegt der Pegelstand der Elbe bei 80 Zentimetern“, sagt sie und lässt den Satz länger auf sich wirken.
Engagierter Gastwirt aus Prettin gibt Lebensmittelvorrat der Feuerwehr
Gastwirt Steffen Zinsser, der am Rand des Stadtparks das „Gemeinschaftshaus“ betreibt, kann sich an den „Tag X“ ebenfalls genau erinnern. Der 51-Jährige hat am Vorabend des Dammbruchs seinen ganzen Lebensmittelvorrat der Feuerwehr mitgegeben, damit diese bei ihren Einsätzen rund um die Uhr nicht hungern muss, und ist dann mit Eltern plus Bruder in Richtung Annaburg geflüchtet. Von hier aus ging es weiter nach Jessen, wo sie bei Bekannten ihr Quartier aufgeschlagen haben.
„Dann ging das Gerücht um, dass in Prettin Plünderungen stattfinden“, erinnert sich Zinsser, der nur mit einer kurzen Hose bekleidet seine Gaststätte zwei Tage nach der „Flucht“ in Augenschein nimmt. „Der Saal war ein großer Swimmingpool“, erzählt der Gastwirt, der diesen erst 2004 wieder einweiht. Trotz der Katastrophe lässt sich der 51-Jährige nicht aus dem Gleichgewicht bringen, besorgt Lebensmittel und fängt an, für die Prettiner und ihre Helfer Eintöpfe zu kochen.
„Bei schwerer Arbeit darf keiner hungern“, ergänzt er und betont, dass er kein zweites Hochwasser mehr erleben will. „Noch so ein Ding dieser Größenordnung und ich bin hier weg.“ Doch die Elbedeiche von damals sind mit den heutigen nicht zu vergleichen. Millionen flossen über Jahre in ihre Sanierung.
Eingespieltes Team
Chefin Monika Steinecke und Mitarbeiterin Petra Semisch haben am Vorabend der Flutkatastrophe auch nichts dem Zufall überlassen, ihren Laden „Blumen und Pflanzen“ in der örtlichen Lindenstraße beräumt und die Türen mit Sandsäcken verbarrikadiert. Doch das Wasser kennt keine Gnade, strömt durch den Laden und reißt die aufgestapelten Säcke mit. „Das Wasser stand im Geschäft 15 Zentimeter hoch“, so Steinecke, die vier Tage später wieder hinter der Ladentheke steht.
Da sie keine Versicherung gegen Elementarschäden besitzt, ist die Angst, sich zu verschulden, im ersten Moment groß. „Doch die Soforthilfe hat schnell gegriffen“, sagt die 66-Jährige, die ihren Laden schnell wieder auf Vordermann bringt. „Wir können froh sein, dass wir in dieser Zeit eine so engagierte Bürgermeisterin wie Helga Welz hatten“, ergänzt Petra Semisch, die wie Steinecke mit Hochachtung vom ehemaligen Oberhaupt der Stadt spricht. „Wir stehen 21 Jahre zusammen hinter dem Ladentisch. ,Silberne Hochzeit’ wollen wir noch feiern“, meine beide. Ohne Hochwasser und Katastrophen! (mz)

