Gastarbeiter in der DDR Gastarbeiter in der DDR: Mosambikaner getötet: Auf zehn Kilometern Körperteile gefunden

Coswig - Der Mann bricht das Gespräch abrupt ab. „Entschuldigung“, sagt der 55-Jährige. Der ehemalige Boxer aus der Ersten Bundesliga kämpft mit den Tränen und verliert diesen Fight. „Ich kann mich noch an jedes Detail erinnern“, schluchzt Ibraimo Alberto. Es geht um die Ereignisse vom 30. Juni 1986. Albertos bester Freund Antonio Manuel Diogo wird brutal ermordet.
Beide Männer gehören zu den insgesamt 22.000 Gastarbeitern aus Mosambik, die eigentlich eine Ausbildung in der DDR erhalten sollten. Sie fliegen 1981 gemeinsam „in das Land der Götter, doch die Götter wollten uns töten“, schreibt Alberto in seiner Autobiografie.
Die beiden jungen Männer werden schon am Flughafen getrennt. Alberto wird Metzger, Diogo arbeitet in Betrieben in Coswig und Dessau. An jenem 30. Juni 1986 besucht Diogo seinen Landsmann in Berlin.
Killer-Quartett wartet im Zug
„Berlin“, sag dazu Alberto, „war in der DDR etwas ganz Besonderes. Wir verbrachten vergnügliche Stunden miteinander, spielten mit Freuden Fußball und haben getanzt.“ Gegen Nachmittag setzte Diogo sich in einen Zug, der ihn in knapp zwei Stunden zurück nach Anhalt bringen sollte.
Ibraimo Alberto ist neun Jahre alt, als er glaubt, sterben zu müssen. Es sind noch 500 Meter bis zu seinem Elternhaus, einer Holzhütte, mitten im mosambikanischen Dschungel. Auf dem schmalen Weg durch das Dickicht sitzt ein Löwe und starrt den kleinen Jungen an. Fast sein ganzes Leben lang glaubte Alberto, 55 Jahre alt, dass es keine Gefahren gibt, mit denen er nicht fertig werden könnte. Er überlebte die portugiesische Kolonialzeit in Mosambik, wanderte mit 18 Jahren in die ehemalige DDR aus. In Ost-Berlin arbeitete er Anfang der 80er Jahre als Fleischer, nebenbei boxte Alberto. Durch den Sport kam er nach Schwedt. Er war ein guter Boxer, schaffte es bis in die Bundesliga. Nach der Boxkarriere studierte Alberto Sozialarbeit. Dann kam die Wende. Er floh vor den Rechtsradikalen nach Karlsruhe, lebt heute wieder in Berlin. Der Sohn eines Medizinmannes hat viel erlebt: die Sklavenzeit, die „Ausbeutung“ der Gastarbeiter in DDR und den Rechtsradikalismus im Osten Deutschlands. Er hat darüber eine lesenswerte Biografie geschrieben. „Warum um alles in der Welt war ich es, einer unter Abertausenden Sklavenkindern, die irgendwo im Dschungel lebten, der aus diesem Gefängnis ausbrechen konnte?“, fragt er sich noch heute.
Seiner Heimat hält er die Treue. „Vielleicht erscheint es seltsam, wenn ein Ex-Sklave seinem Ex-Leibherrn ein Hemd von Hugo Boss überreicht.“ In Deutschland gründet er eine Familie: „Der Dschungeljunge aus dem Nirgendwo hatte eine weiße Göttin geheiratet! Ich konnte mein Glück kaum fassen.“
„Ich habe ihn noch zum Bahnhof gebracht“, berichtet Alberto. Es ist ein Abschied für immer. Diogo kommt nicht mehr in Coswig an. „Er wurde zunächst vermisst. Ich habe erst vermutet, er sei sofort auf Arbeit gegangen“, erzählt Alberto.
Später sei er über einen tödlichen Arbeitsunfall informiert worden. „Was wirklich passiert war, drang nie ans Licht der Öffentlichkeit, da die Behörden der DDR alles taten, die Sache unter den Teppich zu kehren. Neonazis, die es offiziell nicht geben durfte, waren im Zug gewesen. Sie schlugen Manuel zusammen und banden seine Beine mit einem Strick zusammen. Dann hängten sie ihn aus dem Zug und ließen ihn auf die Gleise fallen“, so Alberto. Nach seinen Angaben handelte es sich um vier junge Männer im Alter bis zu 32 Jahren.
Die Beamten haben auf einer Strecke von zehn Kilometern Körperteile von Diogo gefunden, sein Kopf sei erst Tage nach dem Mord entdeckt worden. Die Transportpolizei - heute Bundespolizei - vermerkt: „Höhe Bahnhof Borne wurde männliche Leiche aufgefunden. Kopf und Beine abgefahren. Es handelt sich um eine Person mit dunkler Hautfarbe“.
„Man konnte Manuel nur aufgrund seiner Papiere identifizieren“, sagt Alberto. „Zwar wurden die Täter geschnappt und wanderten in den Knast, doch in den Medien wurde der Fall totgeschwiegen. Auch Manuels Eltern erfuhren Jahrzehnte nicht, was passiert war. Wie mir berichtet wurde, schickte die DDR einen Sarg nach Mosambik mit der dringenden Anweisung, ihn nicht zu öffnen. Vermutlich, weil er leer war“, so Alberto.
Bei toten Ausländern schaltete sich in der DDR das Ministerium für Staatssicherheit in die Untersuchungen ein und vermerkte, Diogo habe „den Zug während der Fahrt verlassen und wurde überfahren. Hinweise auf eine Straftat liegen nicht vor“.
„Wir selbst haben die Ermittlungsergebnisse der DDR-Seite in Frage gestellt und waren überzeugt davon, dass es sich anders zutrug, als sie uns erzählt haben“, berichtet Pedro Taimo, damals im Arbeitsministerium von Mosambik für die Vertragsarbeiter in der DDR zuständig.
Weiter fordert António Muchanga, der Sprecher der größten mosambikanischen Oppositionsbewegung Renamo: „Ich bin überzeugt, dass die Todesfälle unserer Landsleute noch nicht vollständig aufgeklärt wurden, und da wir nicht wissen, ob die Schuldigen bestraft worden sind, appelliere ich an die deutschen Behörden und an die Bundesregierung, diese Fälle aufzuklären und uns über die Ergebnisse der Ermittlungen zu informieren.“
Treffen mit dem Lokführer?
Der Verein Belziger Forum hat vor wenigen Tagen am Bahnhof der Kurstadt - in der Nähe des Tatortes - eine Gedenkfeier für Diogo abgehalten. Am 12. Juli wird Alberto ab 19 Uhr im „Der Winkel“ in Bad Belzig sein Buch „Ich wollte leben wie die Götter“ vorstellen. Und natürlich spielt sein Freund Diogo eine Rolle in dem Werk.
„Meinem Co-Autoren ist da aber ein Fehler unterlaufen“, so Alberto. Im Druck-Erzeugnis wird die Tat fälschlicherweise in den November verlegt. Alberto, der erst am Sonntag aus seiner Heimat in Berlin gelandet ist, wird aber in Bad Belzig weiter recherchieren. „Wenn alles klappt“, sagt er der MZ, „werde ich die Lokführer vom Todeszug treffen.“
Und dann wird der Boxer, der im Ring gegen die Weltmeister seiner Sportart - unter anderem beim Chemie-Pokal in Halle - fightete, wieder kämpfen - mit den Tränen. (mz)
