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Made in Kelbra Made in Kelbra: So wurde aus Muscheln ein wichtiges Mode-Accessoire

Von Julius Lukas 05.08.2019, 10:00
Unter dem Label „Galant“ und „Format“ wurden in Kelbra Knöpfe hergestellt. Wie vielfältig das Sortiment war, zeigt Helga Michael bei einer Führung.
Unter dem Label „Galant“ und „Format“ wurden in Kelbra Knöpfe hergestellt. Wie vielfältig das Sortiment war, zeigt Helga Michael bei einer Führung. Frank May/dpa

An den Geruch in den Knopffabriken kann sich Heike Gesang noch genau erinnern. „Mein Großvater arbeitete in einer und ich habe ihn oft besucht“, erzählt die 62-Jährige aus Kelbra (Mansfeld-Südharz).

Wenn sie in die staubigen Fertigungsräume gekommen sei, habe es verbrannt gerochen. „Wie, wenn man etwas ganz stark reibt“, erinnert sich Gesang.

Die Knopfherstellung, sie ist in den Köpfen der älteren Bewohner von Kelbra noch verankert. Immerhin war die Stadt im südlichen Vorharz einst eine Hochburg der Knopf-Produktion. 1923 arbeiteten 776 Einwohner in diesem Handwerk - damals ein großer Teil der Bevölkerung.

Kelbra und Knöpfe, das gehört zusammen - bis heute. „Und deswegen musste diese Tradition natürlich auch in unserem Heimatmuseum eine Rolle spielen“, sagt Helga Michael, die wie Heike Gesang zum Kreis der ehrenamtlichen Museumsführer gehört. Und so entstand eine Ausstellung, die wohl ihresgleichen in Deutschland sucht: das Knopfmachermuseum, mit einer Knopfsammlung, die geschätzte 100.000 Einzelstücke umfasst.

Import aus Übersee

Solche Spezialmuseen gibt es einige in Sachsen-Anhalt. Diese Orte, die sich mitunter ganz kuriosen Themen widmen, bewahren die bunte Tradition einer Region. „Das ist bei uns auch deswegen wichtig“, sagt Helga Michael, „weil in Kelbra das Knopfmacher-Handwerk seit einiger Zeit bereits ausgestorben ist.“

In die Stadt am Fuße des Kyffhäusers gebracht, hatte die Kunst Johann Zierfuß. Der war eigentlich Nadler. Er stellte also Nadeln und Drähte her. Um 1815 ging Zierfuß auf Wanderschaft. In Wien stieß er auf das Handwerk und erlernte es. Damals wurden Knöpfe aus Perlmutt hergestellt - der Schale einer Muschel. „Um die Rohlinge auszustanzen, benutzte man Maschinen mit Fußantrieb“, erzählt Heike Gesang. Ein Holz-Exemplar aus dem Jahr 1870 steht auch in der Kelbraer Sammlung.

„Die Knöpfe aus der Kalkschale zu fräsen, war richtige Knochenarbeit“, sagt Helga Michael. Während der Wintermonate, wenn es in der Landwirtschaft wenig zu tun gab, besserten sich die Feldarbeiter damit ihr Einkommen auf. Und Frauen und Kinder waren damit beschäftigt, die Knöpfe auf Kleidung aufzunähen. „Das war keine einträgliche Arbeit“, sagt Helga Michael. Für 4.300 aufgenähte Knöpfe gab es eine Reichsmark - so viel kostete damals ein halbes Kilo Butter.

Johann Zierfuß, der die Knopfmacherei nach Kelbra brachte, arbeitete allerdings selbst nie in diesem Handwerk. Viel mehr spezialisierte sich der Nadler auf die Beschaffung des Rohstoffs, also der Muscheln. Die kamen mit Schiffen aus Übersee. Einer der Importeure war die Familie Hagenbeck, die auch den berühmten Hamburger Tierpark gründete.

„Deren Schiffe, mit denen sie exotische Tiere transportierten, wurden für eine bessere Lage im Wasser mit Muscheln beschwert“, erzählt Heike Gesang. In den Übersee-Gebieten gab es die Kalkschalen zuhauf. Schnell allerdings sei aus dem Handel mit den Meeresprodukten ein Geschäft geworden.

In Kelbra machte man aus den Übersee-Importen ein wichtiges Mode-Accessoire - und manchmal auch Kunst. Heike Gesang läuft zu einer Vitrine, in der eine regenbogenfarbene Schale liegt. „Das ist Abalone - die mag ich am meisten“, sagt sie. Aus dem funkelnden Material hat sie sich sogar eine Halskette machen lassen.

Not macht erfinderisch

Mit der Verarbeitung der Muscheln war aber in den 1960er Jahren Schluss. Die einst einzelnen Fabriken wurden in der DDR verstaatlicht und dem Kombinat in Bad Frankenhausen zugeschlagen. Dort firmierten sie unter den Labeln „Galant“ und „Format“. „Weil die Devisen knapp waren, konnten keine Muscheln mehr importiert werden“, erzählt Helga Michel. Doch, wie so oft in der DDR-Wirtschaft, machte die Not erfinderisch - und die Handwerker verarbeiteten zu Knöpfen, was eben da war: Holz, Kunststoffe aller Art und sogar die Plexiglasscheiben eines abgestürzten Flugzeugs wurden verwertet.

Nach der Wende allerdings wurde das Kombinat geschlossen. Das Handwerk ging in Kelbra verloren. Um es in Erinnerung zu halten, gibt es die Ausstellung im Heimatmuseum und Aktionen, wie den aktuellen Kreativwettbewerb. Bei dem sollen Kinder und Jugendliche mit Knöpfen Kunstwerke gestalten.

Und bewahrt wird das Erbe Kelbras auch noch auf einer andere Weise. „Im Kelbraer Boden findet man noch heute Muschelteile“, erzählt Heike Gesang. Das seien die Reste der einstigen Produktion, die man im Straßen und Wegebau verwendete. „Meine Enkel suchen die immer und freuen sich dann, wenn sie solch einen Schatz gefunden haben.“ (mz)