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"Ich bin der Verrückte" "Ich bin der Verrückte": Warum Günter Funke alte Traktoren rettet

Von Ralf Böhme 31.03.2016, 06:56

Rottelsdorf - Ein Scheunentor am Ende der Welt. Es steht offen. Irgendwo in dem großen alten Ziegelbau plärrt ein Radio. Aber es ist kein Mensch zu sehen, dafür eine Unmenge altes Blech: Trecker, Lastwagen, Krane, Raupen. 100 Jahre ostdeutsche Landtechnik.

Für manche ist das hier vielleicht nur ein Schrottplatz. Andere, die genauer hinsehen, ahnen das Ungewöhnliche, die Sensation. Denn Vergleichbares gibt es zwischen Kap Arkona und Fichtelberg nicht noch einmal. Oldtimer-Fans, Historiker und Entwickler aus ganz Deutschland schätzen Rottelsdorf (Mansfeld-Südharz) als Bastion der Schlepperfreunde.

Leidenschaft: Agrar-Oldtimer

Hinten im Halbdunkel ist ein Fahrerhaus nach vorn gekippt. Zweimal hingeschaut, etwas bewegt sich. Im schwachen Licht einer kleinen Lampe, im Halbschatten, werkelt jemand. Günter Funke? Ja, ja, ja - dieser leicht zerknirscht wirkende Dreiklang soll wohl signalisieren: Ja, der Funke ist da, aber eigentlich fehlt ihm jetzt die Zeit. Dann rutscht ihm auch noch ein Schraubenschlüssel aus der Hand. Ein, zugegeben derber, Fluch kommt ihm leicht über die Lippen. Es folgt eine Pause, dann ein Redeschwall. Verschwitzt, den Termin habe er einfach verschwitzt, sagt er und ein reumütiges Lächeln huscht ihm über das Gesicht.

Ein Techniker wie Funke muss sich nicht entschuldigen, sondern sich und anderen die Welt erklären. Nichts da mit Schussligkeit. „Nein, es gibt einen sehr, sehr triftigen Grund, der mich an der Maschine aufhielt.“ Alles liegt offenkundig an einem ziemlich gut versteckten Regler für die Blinkanlage. Dieses kleine Teil sei auszubauen, müsse repariert werden. Sonst rattere der Wagen im Frühjahr nicht vom Hof. „Aber das Ganze ist eben nicht ganz einfach“, erzählt Funke. Man müsse immer erst einmal verstehen, wie in einem alten Auto alles mit allem zusammenhängt, sagt er und schiebt nachdenklich seine in die Jahre gekommene Mütze auf dem Kopf vor und zurück.

Funke: „Ich bin der Verrückte“

Schließlich windet sich der überraschend gelenkige Mann, der längst jenseits der 60 ist, aus dem verwinkelten Motorenraum. Was folgt, ist ein überaus kräftiger Handschlag - man ist im Mansfelder Land, hier ist so etwas noch üblich. „Da bin ich, ich bin der Verrückte, der alte Schlepper sammelt“, sagt Funke dabei. Nun lacht er sogar, greift nebenbei nach einem fleckigen Lappen. Damit wird Finger für Finger abgewischt. Und wie die Rostflecken, Fettspuren und Dreck nach und nach weggerieben sind, lässt der Mann im blauen Schlosseranzug den Blick in sein Reich schweifen - hinauf bis in das wuchtige Gebälk seiner Scheune, die eine einmalige Sammlung beherbergt.

Noch intakte Traktoren vor dem Autofriedhof bewahren

Nicht nach Stroh oder Mist riecht es hier, ein Hauch von Maschinenöl liegt in der Luft. Funke genießt das sichtlich. Witzig bemerkt er: „Benzin, Diesel und Öl, das ist mein Deo.“ Der Beginn seiner Leidenschaft für Agrar-Oldtimer liegt schon 20 Jahre zurück. Anfangs haftet ihr noch überhaupt nichts Spektakuläres an. Funke: „Mir ging es einfach nur gegen den Strich, dass nach dem Mauerfall vielerorts technisch noch intakte Traktoren auf Autofriedhöfen landeten.“ Sein selbst gesetztes Ziel: Wenigstens das, was in Rottelsdorf und Umgebung zu retten sei, müsse erhalten bleiben.

Nachbarn und Freunde im Dorf, das kaum 300 Einwohner zählt, habe er überredet, für dieses Ansinnen gewinnen können. Der extra dafür gegründete Verein „Rottelsdorfer Schlepperfreunde“ feiert in diesem Sommer sein 20-jähriges Bestehen. Rund 30 Mitglieder machen mit, darunter auch fünf Jugendliche. Funke: „Es fand sich vieles, weil die meisten Leute früher neben ihrer Arbeit noch eine kleine Nebenwirtschaft betrieben.“ Funke beispielsweise, eigentlich auf dem Bau zu Hause und heute Busfahrer, erinnert sich an gute Zeiten der privaten Schweinemästerei. „Das Futter habe ich selbst angebaut, ein alter Traktor war dabei unentbehrlich.“

Genauso blickt der Rottelsdorfer auf seine nach und nach angeschafften Pkw zurück. Von keinem habe er sich jemals trennen können. Vor allem ein „Moskwitsch“, ein robustes sowjetisches Fabrikat mit einer wunderbaren Federung und starken Heizung, ist ihm ans Herz gewachsen. Dass er jedes Quartal einmal eine spezielle Rostvorsorge betreiben muss, versteht der Fan nicht als Last, sondern als Lust. Der Motor sei ein früher Beleg deutsch-russischer Kooperation, er stamme von BMW.

Die Liebe zum Original

Was ihn begeistert, das sind die traditionelle Mechanik und Elektrik: „Wenn ich mich in ein Problem hinein denke, ist fast jede Reparatur in Eigenleistung möglich.“ Ersatzteile seien aber oft nicht billig, aber er lerne in der Szene unheimlich viele tolle Leute kennen. Um die Kosten für Originalteile oder aufwendige Neuanfertigungen komme man natürlich nicht herum, so Funke. Das gilt ihm zufolge erst recht für betagte Schlepper jeglicher Art. Da spare man nicht, lege drauf. Eine perfekte, glänzende Optik ist für ihn allerdings eher zweitrangig. „Ich liebe das Original, deshalb bleibt auch meistens die erste Farbe drauf, trotz Schrammen.“

So ist das auch bei einer Rarität des Traktorenbaus, dem Allradschlepper „Tutra“, mit 60 PS und Spezialgetriebe für schwere Böden konzipiert. Erkennungsmerkmale, sagt Funke während er ins Fahrerhaus steigt und startet, sind die extra lange Motorenschnauze und seine vier gleich großen Räder. Mehr als 50 Jahre sei dieser Ungar aus dem Werk „Roter Stern“ in Csepel schon alt. Dabei handelt es sich um ein Relikt der internationalen Planwirtschaft. 1964 - eine Episode mit 4 000 Importfahrzeugen, genau zwischen den ersten einfachen Nachkriegsmodellen wie „Brockenhexe“ oder „Famulus“ aus Nordhausen und der seinerzeit modernsten DDR-Entwicklung, dem 1967 aufgelegten ZT 300 aus Schönebeck.

Ohne Übertreibung, über solche Themen kann Funke abendfüllende Vorträge halten. Gefragt sind sie unter anderem am Sachsenring. Dort findet alljährlich das große Russen-Treffen statt. Ursprünglich nur für russische Fahrzeuge gedacht, ist es mittlerweile ein Kulttermin für alle schweren Traktoren-Marken. Videos von den Vorführungen erreichen im Internet oft mehr als eine halbe Million Klicks. Schon allein dafür lädt der Rottelsdorfer seinen „Tutra“ gerne auf einen damit voll ausgelasteten Pritschenwagen. Diese Fuhre zuckelt dann, wie er sagt, bei Tempo 70 in Richtung Oberlungwitz bei Hohenstein-Ernstthal. Seine drei gleichfalls technikbesessenen Kinder, Enrico, Kathleen und Niko sind wahrscheinlich mit von der Partie. Anfang Mai ist es wieder soweit, dann geht es los: „Auf zum Russen-Treffen!“