Die Lücke ist gefüllt Die Lücke ist gefüllt: Zahnarzt in Kelbra findet endlich Nachfolgerin

Kelbra - Da sage noch einer etwas gegen Schwiegermütter. Zumindest Martina Zollweg hat keinen Grund zur Beschwerde. Verdankt sie ihrer doch immerhin die eigene Zahnarztpraxis in Kelbra (Mansfeld-Südharz). Am 1. Juli hat die 37-Jährige sie in Besitz genommen und dadurch viele Menschen sehr glücklich gemacht. Da ist zunächst der Vorbesitzer Dr. Wolf Treppschuh. Der 65-Jährige hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, dass nach seinem Ruhestand in der Rothenburgstraße weiterhin Zähne gezogen, Löcher gefüllt und Prothesen angepasst werden.
Da sind die vier Mitarbeiterinnen, die schon befürchtet hatten, sich eine neue Arbeitsstelle außerhalb ihres Heimatortes suchen zu müssen. Und da sind nicht zuletzt die etwa 3.000 Patienten aus Kelbra und Umgebung, die die Sorge hatten, für eine zahnärztliche Behandlung künftig weite Wege zurücklegen zu müssen - weil von den ehemals vier Praxen im Ort nun auch die dritte dichtgemacht hat.
Welche Rolle spielt dabei aber die Schwiegermutter von Martina Zollweg? Nun, sie hat im Dezember 2017 einen Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung gelesen, in dem Wolf Treppschuhs jahrelange erfolglose Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin für seine modern ausgestattete Zahnarztpraxis am Fuße des Kyffhäusergebirges geschildert wurde. Und sie schickte eine WhatsApp-Nachricht an die Schwiegertochter: „Wäre das nicht was für Dich?“ Auch ein guter Freund machte sie - am selben Tag - auf die Praxis aufmerksam.
Martina Zollweg war zu diesem Zeitpunkt Zahnärztin bei der Bundeswehr. Zuletzt stationiert im thüringischen Sondershausen, wo sie Feldwebel- und Unteroffiziersanwärtern auf den Zahn fühlte. Sie hatte nach dem Abitur die Möglichkeit eines Bundeswehr-Studiums genutzt, saß als Soldatin im Hörsaal der Ludwig-Maximilians-Universität München und erhielt - unter anderem in den Semesterferien - zusätzlich eine militärische Ausbildung. „Das hatte den Vorteil, dass ich von Anfang an finanziell unabhängig war, denn der Bund hat das gesamte Studium finanziert“, erzählt sie.
Im Gegenzug habe sie sich verpflichtet, 18 Jahre bei der Truppe zu bleiben. Im Dezember 2017 war davon noch ein Jahr übrig. Zeit also, sich Gedanken zu machen, wie es danach weitergehen soll. Dass sie mit einer Niederlassung liebäugelte war klar. Die 18 Jahre beim Bund waren gewissermaßen Martina Zollwegs Wanderjahre, die sie von einem Standort zum nächsten geführt hatten. Doch nun wollte die Mutter einer 15-jährigen Tochter sesshaft werden. Und ihr eigener Herr sein. Doch wo? In der näheren Umgebung von Schochwitz (Saalekreis), wo Martina Zollweg zu Hause ist, bot sich nichts an. Warum also nicht Kelbra? 14 Tage überlegte die Zahnärztin, dann rief sie bei Wolf Treppschuh an. Die beiden verabredeten ein Treffen. Danach nahm die Sache ihren Lauf.
Ende des vergangenen Jahres praktizierten in Sachsen-Anhalt 1 481 Zahnärzte und Kieferorthopäden. Ihr Durchschnittsalter betrug etwa 54 Jahre. 864 der Zahnärzte und Kieferorthopäden waren bereits älter als 55 Jahre. 27 hatten das 70. Lebensjahr bereits überschritten. Es ist also absehbar, dass viele der Mediziner demnächst in den Ruhestand gehen.
Nach Einschätzung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalts und des Landesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen gibt es derzeit keine Unterversorgung im zahnärztlichen bzw. kieferorthopädischen Bereich. „Mittelfristig lassen Prognosen jedoch darauf schließen, dass eine Verschlechterung der Versorgungssituation und eine lokal begrenzte, drohende Unterversorgung nicht auszuschließen ist“, heißt es. Menschen im ländlichen Raum müssten dann mitunter längere Wege zu ihrem Zahnarzt in Kauf nehmen. Die momentane Entwicklung werde die wohnortnahe Versorgung beeinträchtigen. Eine flächendeckende Versorgungsstruktur werde aber Bestand haben.
Zudem zeigt man sich überzeugt, dass Zahnärzte weiter bereit sein werden, sich in ländlichen Regionen niederzulassen und die dortige Versorgung zu gewährleisten, wenn sie vor Ort entsprechende Bedingungen vorfänden - sprich: Kinderbetreuung, wohnortnahe Schulen, attraktiven Nahverkehr und leistungsfähigen Internetzugang.
Derzeit lässt sich laut KZV ein anhaltender Trend zur Tätigkeit als angestellter Zahnarzt beobachten. Deswegen bemühe man sich, Anreize zu schaffen, dass junge Ärzte Praxen in ländlichen Regionen übernehmen. Verwiesen wird auf Kooperationen zwischen KZV und der Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Martin-Luther-Universität. Ziel ist es, die die Niederlassung von Absolventen in Sachsen-
Anhalt zu unterstützen. Dazu wurde eine Fortbildungsveranstaltung „Praxiseinstieg - der Weg in die Niederlassung“ etabliert. Zudem gibt es bei der KZV für Niederlassungswillige einen Beratungsservice.
Studenten der Zahnmedizin wird in Praxen eine Famulatur ermöglicht. Die Zahnärztekammer vermittel hierbei zwischen den interessierten Studenten und Zahnarztpraxen, die das Projekt unterstützen. Des weiteren planen die zahnärztlichen Berufsvertretungen die Einrichtung einer Koordinierungsstelle. Sie soll zentraler Ansprechpartner für Nachwuchskräfte sein.
Ab März 2018 schnupperte sie immer donnerstags für drei Stunden Praxisluft in Kelbra. Mit Erlaubnis der Bundeswehr. Praxisräume und -ausstattung hatten sie längst überzeugt. Doch würde sie mit dem Personal auskommen? Würden die Patienten sie annehmen? Schließlich saßen auf dem Behandlungsstuhl nun keine Soldaten mehr, sondern auch Kinder und viele ältere Menschen. „Es hat alles super gepasst“, resümiert Martina Zollweg. „Die Patienten sind sehr offen und froh, dass es hier weitergeht.“
Im Januar dieses Jahres, nach dem Ende ihrer Dienstzeit, stieg Martina Zollweg dann ganz in die Praxis ein. Lernte von Wolf Treppschuh, wie zum Beispiel die Abrechnung funktioniert, leitete alles Administrative in die Wege. Seit dem 1. Juli ist sie nun die Chefin. Wolf Treppschuh findet es geradezu heroisch, dass sie jeden Morgen 68 Kilometer Autofahrt von Schochwitz bis nach Kelbra in Kauf nimmt. Aber Martina Zollweg winkt nur ab. Immerhin ist ihr Arbeitsweg nun gut 20 Kilometer kürzer geworden. Und über die A 38 sei Kelbra schnell zu erreichen. Ein Umzug war keine Option - obwohl der Bürgermeister eine Wohnung in Aussicht gestellt hatte. „Mein Mann und ich haben in Schochwitz Familie und Freunde. Da wollen wir nicht weg“, sagt sie.
Dass sie als Landzahnärztin vielseitig gefordert ist, dass sie vom Zähneziehen über kleinere Operationen bis hin zur Prothetik alles beherrschen muss, schreckt sie nicht. Da sei der Bund, wo sie immerhin elf Jahre Berufserfahrung sammeln konnte, eine gute Schule gewesen. Zudem habe sie viele Fortbildungen absolviert - zuletzt noch eine in Sachen Kinderzahnheilkunde, um auch auf die kleinsten Patienten eingehen zu können.
„Frau Zollweg ist fit in allen Sachen“, attestiert ihr denn auch Wolf Treppschuh. Und sollte es einmal schwierig werden, dann ist er weiter an ihrer Seite. Denn so ganz möchte er den Bohrer doch noch nicht aus der Hand legen. „Ich kann mir nicht vorstellen, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen oder mich nur um die mittlerweile drei Enkelkinder zu kümmern“, sagt er. „Ein paar Stunden in der Woche werde ich noch mitarbeiten.“ Und weil das so ist, können auch in Zukunft Hausbesuche bei älteren Patienten realisiert und Altenheime in gewohnter Weise versorgt werden. Trotzdem bleibt Wolf Treppschuh mehr Zeit eben für die Enkel oder die geliebten Mountainbike-Touren.
In die Freude über die gelungene Praxisübergabe mischt sich bei dem Zahnmediziner trotzdem ein bisschen Wehmut. Schließlich habe er die Praxis selbst konzipiert, den Bau begleitet, sie dann gut 30 Jahre lang geführt und ein fast familiäres Verhältnis zu seinen Mitarbeitern aufgebaut. Da trennt man sich nicht leichten Herzens. Auch wenn alles in gute Hände kommt.
Er weiß zudem, dass viele Zahnärzte - nicht nur im Landkreis Mansfeld-Südharz - sein Schicksal teilen. Von den 1 481 Zahnärzten uns Kieferorthopäden Sachsen-Anhalts sind knapp 60 Prozent älter als 55 Jahre. Viele suchen seit langem Nachfolger. Längst nicht bei allen nimmt die Sache so ein glückliches Ende. (mz)
