BSC 1930 Siebigerode BSC 1930 Siebigerode: Lehrstunde mit einem Bullen

siebigerode - Für die Kreisligafußballer vom BSC 1930 Siebigerode hat sich ein Traum erfüllt. Die abstiegsbedrohte Mannschaft bekam am Sonntag von einem früheren Bundesliga-Profi und Nationalspieler eine Lehrstunde erteilt. Ingo Hertzsch heißt der Mann, der dem Verein eine Sternstunde, aber dem Organisator Nico Kasper auch ein bisschen ein mulmiges Gefühl bescherte. Denn der 37 Jahre alte Sachse hat nicht nur 227 Mal ein Bundesliga-Trikot getragen, sondern er ist auch Fanbeauftragter von RB Leipzig. Jenem Zweitligisten, der gerade in letzter Zeit immer wieder Attacken von gewalttätigen Fußballfans ausgesetzt ist.
„Bei uns ist zum Glück alles friedlich geblieben“, so BSC-Spieler Nico Kasper, der die ungewöhnliche Trainingsstunde mit Hertzsch organisiert hat. Er habe zwar im Internet einen Hinweis auf Störenfriede entdeckt, doch aufgetaucht ist keiner, war der 36-jährige Unternehmensberater froh. Seit dem siebenten Lebensjahr kickt er für Siebigerode. Inzwischen wohnt er mit Frau und Kind in Halle und ist Vorstand einer Aktiengesellschaft in Mannheim. Dennoch schnürte er jedes Wochenende die Töppen für seinen Heimatverein.
Nach dem Aufstieg in die Kreisliga West kämpft der BSC um den Klassenerhalt. Um den Abstieg zu verhindern, hatte Kasper im Herbst im Internet nach professioneller Hilfe gesucht. „Dabei bin ich auf die Fußballschule bei RB gestoßen“, erzählt er in einer Trainingspause. Er setzte einfach eine E-Mail direkt an Ingo Hertzsch nach Leipzig ab mit der Bitte um Unterstützung und erhielt prompt Antwort.
„Ich fand den Hilferuf sympathisch“, sagte Hertzsch, für den solch eine Trainingsstunde im Mansfelder Land auch eine Premiere war. Natürlich gehe es dabei auch um Imagepflege, räumt er ein. Der Vorstand der „Roten Bullen“ gab wohl auch deshalb sein Okay zu der Aktion. Ein Tag vor Weihnachten landete die Zusage im Postfach von Nico Kasper. „Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, nur insgeheim gehofft, dass es klappt“, freute er sich.
Ingo Hertzsch ist in Meerane (Sachsen) geboren. Erste fußballerische Schritte unternahm er beim Callenberger SV, ehe er nach Chemnitz ging. 1997 begann seine Bundesliga-Laufbahn beim HSV. Zweimal stand er als Spieler des Klubs in der Nationalelf. Nach Stationen bei Leverkusen, Eintracht Frankfurt, Kaiserslautern und Augsburg beendete Hertzsch 2013 seine Laufbahn bei RB Leipzig.
Der Siebigeröder nahm Kontakt zu Hertzsch auf und klärte mit ihm auch die finanziellen Modalitäten, „die für uns eher nebensächlich waren“, so die beiden Protagonisten der Hilfsaktion. Schnell hatte man sich auf den 29. März als Termin für die Trainingsstunden verständigt. Im Verein löste die Nachricht große Zustimmung aus. „Die Initiative ist auch ein Beispiel dafür , wie wertvoll es für den Amateurfußball sein kann, wenn mit RB Leipzig ein Bundesligaklub in der Region beheimatet ist“, so Daniel Feuerberg, der Abteilungsleiter Fußball des BSC Siebigerode.
Als Verein eines kleinen Ortes müsse man etwas bieten, um attraktiv für Nachwuchsspieler und Fans zu sein. „Die Aktion zeigt, dass hier vieles möglich ist“, so Feuerberg. Eine Meinung, die auch jene teilen, die am Sonntag als neugierige Zaungäste den Auftritt des Ex-Profis verfolgten. „Wir sollten froh sein, dass sich finanzkräftige Leute bei uns in Mitteldeutschland für den Fußball engagieren“, findet auch Marco Sachweh (43).
Er hat viele Jahre für den BSC gespielte und läuft auch heute noch auf, wenn Not am Manne ist. Er kann jedenfalls nicht verstehen, dass bestimmte Fangruppen „solchen Hass auf RB haben“. Dem kann Hagen Lachmann nur beipflichten. Der Siebigeröder spielt derzeit in Helmsdorf, doch der Anhänger des Hamburger SV wollte sich die Chance nicht entgehen lassen, ein Idol aus besseren Zeiten des Klubs hautnah zu erleben.
Noch heute schwärmt Lachmann von jenem 4:4 des HSV in der Champions-League im September 2000 gegen Juventus Turin. Er habe von diesem Spiel zu Hause noch eine Video-Kassette. „Und wenn ich mir das Spiel heute ab und zu wieder anschaue, bekomme ich jedes Mal wieder Gänsehaut“, erzählt der eingefleischte HSV-Fan bei der Fachsimpelei mit Hertzsch in der Mittagspause. In diesem Moment kann man beobachten, wie auch die Augen von Ingo Hertzsch anfangen zu leuchten. Der Zustand seines alten Klubs „schmerzt mich sehr“, gibt er unumwunden zu. Er wünscht sich, dass man eines Tages unter Fußballfans auch ganz normal so über RB sprechen kann. (mz)
