Alkohol-Exzess Westerhausen: Elfjähriger rettet zwei Komatrinkern das Leben

Westerhausen - Eine Stunde lang hat sie auf dem Acker nach ihrem Sohn gesucht. „Er war kaum ansprechbar und völlig unterkühlt“, sagt die Mutter eines der beiden Jungen - 12 und 14 Jahre alt -, die sich am Mittwoch mit zwei Flaschen Wodka in die Besinnungslosigkeit tranken. Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt im Quedlinburger Harzklinikum gehe es ihrem Sohn wieder gut. Er habe vorher noch nie Alkohol getrunken. Sie hoffe nun, dass der Alkohol-Exzess ein einmaliger Ausrutscher bleibt.
Zwölfjähriger kauft Wodka in NP-Supermarkt in Westerhausen
Wie aber konnte ein Zwölfjähriger an zwei Flaschen Schnaps kommen? Das fragen sich jetzt die Menschen in Westerhausen. Nach Angaben von Polizeisprecher Uwe Becker hat der Jüngere der beiden den Alkohol in einem Westerhäuser Supermarkt gekauft - obwohl er nach dem Jugendschutzgesetz dafür sechs Jahre zu jung ist. Die Mutter bestätigt das und sagt, dass hier nicht zum ersten Mal Alkohol an Minderjährige verkauft worden sei.
Verkauf von Alkohol an Kinder: Edeka verspricht Aufklärung
Die Leiterin des betroffenen NP-Supermarktes will sich gegenüber der MZ nicht äußern. Die Pressestelle der Edeka, zu der der Discounter NP gehört, bedauert den Verkauf des Wodkas an die Kinder.
„Erst heute haben wir von dem Vorfall erfahren und werden diesen konsequent aufklären“, teilte eine Unternehmenssprecherin am Freitag mit. „Bitte seien Sie versichert, dass dieses Fehlverhalten ein Einzelfall ist und die Edeka Minden-Hannover die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und den Jugendschutz sehr ernst nimmt.“
Von NP sei alles getan worden, um den Jugendschutz zu gewährleisten, heißt es von der Edeka-Pressestelle. Neben der Schulung des Personals für den Verkauf bestimmter Produktgruppen gebe es „unterstützende Hilfsmittel für das Kassenpersonal“. So werde bei Tabak, Wein, Sekt, Spirituosen und Bier ein entsprechender Warnhinweis am Kassenbildschirm angezeigt, und ein akustisches Signal sei zu hören. Die Polizei leitete ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Mitarbeiterinnen des Geschäfts wegen fahrlässiger Körperverletzung und Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz ein.
Elfjähriger rief mit dem Handy Hilfe
Beide Jungen wurden schließlich durch das couragierte Handeln ihres elfjährigen Begleiters gerettet. Nachdem sie die Flaschen auf einem Acker in Richtung Börnecke geleert hatten, seien sie einfach umgefallen, so Polizeisprecher Uwe Becker. Doch der Elfjährige rief mit dem Handy des Zwölfjährigen Hilfe herbei. „Er hat ihnen das Leben gerettet“, sagt die Mutter.
Dass sich die Jungen tatsächlich in Lebensgefahr befunden haben, bestätigt Kinderärztin Astrid Lagatz aus der Kinderklinik des Harzklinikums der MZ. Wenn betrunkene Kinder ohnmächtig seien und sich dann übergeben müssten, werde es gefährlich. Denn dann könnten sie das Erbrochene einatmen, was zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns führen könne. „Dadurch kann der Jugendliche zu einem Pflegefall werden“, sagt Astrid Lagatz. Die beiden Jungen in Westerhausen hätten aber auch auf dem Acker erfrieren können, wenn niemand Hilfe geholt hätte.
Kinder mit Alkoholproblemen
Ein einmaliges Komatrinken gehe zwar meist ohne ernste Schäden aus, aber sie habe auch schon Kinder behandelt, die durch einen dauerhaften Alkoholkonsum bereits Leberveränderungen aufwiesen, sagt die Kinderärztin. Kommen Kinder mit Alkoholproblemen zu ihr ins Krankenhaus, dann schalte die Klinik das Jugendamt und die Suchtberatung ein.
Ein Fall wie der in Westerhausen ist „zum Glück eher ein Einzelfall“, sagt Hans-Dieter Sommer, Suchtberater beim Arbeiter-Samariter-Bund. Das bedeute aber nicht, dass das Thema Alkoholkonsum bei Kindern in der Region keine Rolle spiele, erklärt Sommer.
Drei bis fünf Fälle pro Jahr
So kämen durchaus Kinder im Alter um 14 Jahre zu ihm in die Beratungsstelle in Quedlinburg, bei denen sich schon eine Alkoholsucht entwickelt habe. Hans-Dieter Sommer spricht von drei bis fünf Fällen pro Jahr. Manches der Kinder habe schon mit neun Jahren erstmals Alkohol zu sich genommen. Meist aber geschehe das mit dem „Probierverhalten“ im Alter von etwa 13 Jahren. „Eine Sucht kann sich da sehr schnell entwickeln, viel schneller als bei einem Erwachsenen.“ (mz)