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Allen Krisen getrotzt Warum im Familienbetrieb in Friedrichsbrunn eine Geburtstagsfeier diesmal etwas ganz Besonderes ist

Wie die Familie es geschafft hat, eine schwere und verlustreiche Zeit zu überstehen.

Von Detlef Valtink 07.10.2021, 10:00
Sind froh, die Krisenzeiten überstanden zu haben: Fredo Fitz (v. li.), Uwe Mechel, Katharina, Johanna und Sagitta Fietz.
Sind froh, die Krisenzeiten überstanden zu haben: Fredo Fitz (v. li.), Uwe Mechel, Katharina, Johanna und Sagitta Fietz. Foto: Detlef Valtink

Friedrichsbrunn/MZ - Den Kopf hat die Familie Fietz nie in den Sand gesteckt. Obwohl es viel Gründe gegeben hat, einfach aufzugeben und alles hinzuwerfen.

Im Jahr 2018 begann es damit, dass auf der Durchgangsstraße in Friedrichsbrunn die Bagger das Sagen hatten und nicht mehr die Autos der Touristen, auf die die Familie angewiesen ist. Und die garantierten, dass die Gaststätte und Pension „Zur Unterklippe“ die Einnahmen abwarfen, die die Existenzgrundlage bilden. Bis tief in das Jahr 2019 hinein mussten die Friedrichsbrunner mit Baulärm und Staub klarkommen, anstatt sich über gut gelaunte Gäste und erholungssuchende Großstädter zu freuen. Als man dachte, über den Berg zu sein, kam die Corona-Krise.

„Mindestens 70 Prozent des sonstigen Umsatzes ist uns über diese lange Zeit verloren gegangen“

Mit der ersten Schließung mussten Buchungen storniert, Anzahlungen erstattet und die Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt werden. Nach dem zähen Neustart dann der nächste Lockdown und wieder die Ungewissheit, was aus dem Familienbetrieb wird. „Alles war weggebrochen – das Tagestourismusgeschäft, die Familienfeiern und die einnahmerelevanten Feiertage von Ostern, über Weihnachten bis hin zu Silvester.

„Mindestens 70 Prozent des sonstigen Umsatzes ist uns über diese lange Zeit verloren gegangen, und wir haben sämtliche, über die Jahre aufgebauten Reserven verbraucht“, zieht Katharina Fietz, die die Geschäfte des Familienbetriebes führt, eine traurige Bilanz. Ohne den Zusammenhalt in der Familie, das bedingungslose Aufeinander-verlassen-können und die treue Stammkundschaft wären die Türen schon längst für immer verschlossen, sind sich Katharina und ihre Eltern Sagitta und Fredo Fietz sicher.

Fredo, Katharina und Sagitta Fietz zum Start in der „Unterklippe“ in Friedrichsbrunn vor 30 Jahren.
Fredo, Katharina und Sagitta Fietz zum Start in der „Unterklippe“ in Friedrichsbrunn vor 30 Jahren.
Repro: Valtink

Dabei wäre solch ein Schicksal nicht einmal ein Ungewöhnliches. Laut Statistischem Bundesamt setzte das Gastgewerbe im Jahr 2020 39 Prozent weniger um als 2019. So hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Sachsen-Anhalt im Juli mitgeteilt, dass etwa 80 Betriebe im Land schließen müssen oder Insolvenz angemeldet haben. Das ist jedes zehnte Unternehmen im Verband, der etwa 800 größere Gaststätten und Hotels im Land vertritt. Mit weiteren 40 Schließungen oder Insolvenzen von Gaststätten und Hotels wird bis Ende des Jahres gerechnet.

Solch ein Schicksal will die Friedrichsbrunner Familie nicht erleben. Denn sie feierte am 3. Oktober nicht nur den Tag der Deutschen Einheit sondern auch einen ganz besonderen Geburtstag. Auf den Tag genau vor 30 Jahren hatten Sagitta und Fredo sich entschieden, zu neuen Ufer aufzubrechen, nachdem ihr bisheriger Arbeitsort – das Betriebsferienheim des VEB Wohn- und Gesellschaftsbau Sangerhausen – wie vieles nach der Wende sang- und klanglos dichtgemacht wurde. „Wir hätten das Objekt für 700.000 Mark kaufen können. Das war uns aber viel zu heftig“, erinnert sich der heute 74-jährige Fredo Fietz. Er begab sich auf Arbeitssuche und musste feststellen, dass man mit Mitte 40 selbst als gelernter Koch bereits ein Auslaufmodell war. So reifte der Entschluss, das Wohnhaus umzubauen, und es startete mit 22 Sitzplätzen das Projekt „Unterklippe“. Nicht ganz ohne Risiko – gab es doch da noch 16 Gaststätten in Friedrichsbrunn.

Jeden Schritt wohlüberlegt

„Aber es lief prima, und 1994 haben wir die Gaststätte auf 60 Plätze erweitert und einen Biergarten gebaut“, so Fredo Fietz. Bereits zwei Jahre später kam der Umbau des Außenbereiches zur Hauptstraße dazu. Friedrichsbrunn boomte als Touristen-Hotspot, und die Familie wollte nicht hinterherhinken. 1997 wurden acht Ferienhäuser gebaut. Jeder Schritt war wohlüberlegt, gründlich durchdacht und gut vorbereitet, so Fredo Fietz. Wie auch die nächste große Veränderung: 2009 übernahm Katharina die Geschicke des Hauses. Für Fredo eine sehr schöne Etappe, wenn auch keine große Überraschung. Hatte doch seine Tochter schon mit elf Jahren keine Hemmungen, sich vor 30 Gästen aufzubauen und Papas „alte“ Witze zu erzählen. Das Gastronomen-Gen war ihr also in die Wiege gelegt. Auch bestand schon früh Klarheit darüber, mit welchem Konzept die Gäste einen Wiedererkennungswert verinnerlichen sollen.

Auf der Suche nach Personal

So stand fest, dass beispielsweise eigene Fischgerichtskreationen eine Rolle spielen müssen. War Fredo Fietz doch einst Seemann und leidenschaftlich gern zur See gefahren. Und was liegt im Harz nicht näher, als auch mit Wildgerichten zu punkten? Dann gibt es noch die Sagenabende, wo neben kulinarischen Köstlichkeiten auch jede Menge Harzer Geschichte „aufgetischt“ wird. Das kommt daher, dass Fredo in seiner knapp bemessenen Freizeit Büttenreden schreibt und einfach „Bock“ darauf hat, mit Menschen in Kontakt zu treten. „Persönliche Beziehungen sind mir unheimlich wichtig“, so der 74-Jährige.

Der Fischkutter, das Wahrzeichen der Gaststätte,  wurde im Jahr 2000 aus Greifswal in den Harz transportiert.
Der Fischkutter, das Wahrzeichen der Gaststätte, wurde im Jahr 2000 aus Greifswal in den Harz transportiert.
Repro: Valtink

Und das Leben gibt ihm Recht. So kommen heute die Kinder der ersten Hausgäste mit ihren Familien nach Friedrichsbrunn. Und auch viele, die im Haus eine Beschäftigung oder Ausbildung hatten, schauen immer wieder vorbei. 16 Lehrlinge haben ihren Berufsweg in der „Unterklippe“ angefangen. Gern hätten es mehr sein dürfen, doch seit gut zehn Jahren waret man vergeblich auf Bewerbungen. „Wir haben geworben und vieles ausprobiert, aber ohne Erfolg“, weiß Katharina Fietz.

Das hat die Familie mittlerweile verschmerzt. Dagegen nicht, dass mit der Coronakrise einige Mitarbeiter abgewandert sind und woanders ihre Brötchen verdienen. „Wir konnten das nicht ausgleichen - weder in der Küche noch im Service noch bei den Reinigungskräften. Es gibt einfach kaum noch jemanden, der in der Gastronomie arbeiten möchten“, hat Katharina Fietz erfahren müssen. Sie vermag auch nicht abzuschätzen, wie lange sie und die Familie das noch aushalten. „Auch wir haben unsere Leistungsgrenzen“, so die Chefin und: „Trotzdem heißt es nach diesen Krisen, wieder schnell auf die Füße zu kommen, um auch den nächsten runden Geburtstag feiern zu können.“