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Prozess wegen Raub und Körperverletzung Verteidiger streuen Zweifel an Vernehmung von vier Zeugen aus Thale

Pflichtverteidiger kritisiert die Vorlage der Fotos möglicher Täter. Drei junge Männer und eine Frau sind am Landgericht Magdeburg angeklagt.

Von Benjamin Richter 10.06.2021, 13:56
In der Mausstraße in Thale soll sich am Abend des 31. Oktober 2020 ein Raubüberfall ereignet haben.
In der Mausstraße in Thale soll sich am Abend des 31. Oktober 2020 ein Raubüberfall ereignet haben. (Foto: B. Richter)

Thale/Magdeburg - Was ist am Abend des 31. Oktober vergangenen Jahres in der Mausstraße in Thale passiert? Fest steht, dass ein Mann dort Verletzungen erlitt, die eine Versorgung durch den Rettungsdienst nötig machten.

Drei junge Männer und eine Frau, denen die Staatsanwaltschaft Halberstadt vorwirft, dem Geschädigten sein Handy geraubt und ihn mit Tritten gegen Kopf und Schultern misshandelt zu haben, müssen sich derzeit vor dem Landgericht Magdeburg verantworten.

Die Strafverhandlung hat bereits Anfang Mai begonnen; an den vergangenen beiden Verhandlungstagen standen ein gewaltsamer Raub in der Rosstrappenstraße in Thale und ein räuberischer Diebstahl in einem Discounter in Hasselfelde, die ebenfalls auf das Konto der drei jungen Männer gehen sollen, im Fokus der Beweisaufnahme.

Als Zeugen waren am Mittwoch Angehörige der jungen Familien geladen, die den mutmaßlichen Raubüberfall am Reformationstag beobachtet hatten - und in die Gewaltorgie verwickelt worden seien, als sie versucht hätten einzugreifen, wie ein 35 Jahre alter Familienvater schilderte.

„Wir waren da mit unseren Kindern unterwegs und die haben ‚Süßes oder Saures‘ gerufen. Halloween eben.“

Vater aus Thale als Zeuge vor Gericht in Magdeburg

„Wir waren da mit unseren Kindern unterwegs“, berichtete er im Zeugenstand, „und die Kinder haben ‚Süßes oder Saures‘ gerufen. Halloween eben.“ Auf einmal hätten sie gesehen, wie zwei junge Männer - der Zeuge sprach von den „Hauptangeklagten“ - auf einen anderen, der auf der Seite am Boden lag, eingeprügelt und eingetreten hätten. Ein weiterer junger Mann und eine Frau hätten danebengestanden und zugeguckt.

Für den 35-Jährigen und einen Bekannten - genauer den Freund der Schwägerin der Schwester seiner Frau - habe festgestanden, dass sie Zivilcourage zeigen und dazwischengehen müssten. Bis zum ersten Faustschlag gegen den Bekannten durch einen der „Hauptangeklagten“ habe es nicht lange gedauert, der Bekannte habe dann zurückgeschlagen.

Als sein Gegenüber ein Klappmesser hervorgeholt habe, sei sein Bekannter zurückgewichen, erinnerte sich der Zeuge, der zur selben Zeit mitten auf der Straße gestanden habe, an seine Beobachtungen. Der junge Mann habe das rund 25 Zentimeter lange Messer geworfen, es sei auf der Erde gelandet.

Aus dem „hinteren Bereich“ seiner Bekleidung, fuhr der 35-Jährige fort, habe der zweite Gewalttäter in der Truppe eine Machete gezogen und damit vor den jungen Müttern und Vätern herumgefuchtelt. Als sie gemerkt hätten, dass der Bekannte die Polizei anrief, seien die vier zu Fuß geflüchtet - nicht ohne den Familien „schöne Grüße aus Dresden“ zu bestellen, womit der Zeuge nichts habe anfangen können.

Den Ausspruch habe sich auch seine Frau nicht erklären können, erklärte diese als nächste Zeugin. Mit ihren Bekannten und den Kindern sei sie in rund 100 Metern Entfernung zu den Gewaltszenen stehengeblieben, habe ihre weinende Tochter auf den Arm genommen.

Gesichtszüge habe sie nur von einem der jungen Männer ausmachen können, als der mit einer Machete an ihr vorbei- und auf ihren Bruder und die Schwägerin zugegangen sei. Gesagt habe er etwas wie: „Was wollt ihr?“ An Details könne sie sich nach dem guten halben Jahr nicht mehr erinnern, gab die 31-Jährige an.

Pflichtverteidiger hatte Widerspruch gegen Zeugenaussage eines Polizisten eingelegt

Richterin Anne-Marie Seydell half ihr mit dem Protokoll der polizeilichen Vernehmung im November auf die Sprünge: „Warum beschützt ihr einen Drogendealer?“, habe einer der jungen Männer die Eingreifenden demnach gefragt, und der mit der Machete Bewaffnete habe gesagt: „Du Fotze, dich kriege ich auch noch.“

Apropos Vernehmung: An dieser übten die Anwälte der Angeschuldigten erneut harsche Kritik und machten auf mutmaßliche Verfahrensfehler aufmerksam. Pflichtverteidiger Tobias Reulecke hatte als Rechtsbeistand des Angeklagten Andreas E. schon am vorigen Verhandlungstag Widerspruch gegen die Zeugenaussage eines Polizeibeamten eingelegt, weil dieser seinen Mandanten vor der Befragung nicht vorschriftsgemäß über sein Recht aufgeklärt habe, einen Pflichtverteidiger hinzuzuziehen.

Diesmal war es die sogenannte Wahllichtbildvorlage, bei der Zeugen Fotos mit der Frage vorgelegt werden, ob sie darauf einen Täter erkennen können, die nach Ansicht der Anwälte nicht korrekt abgelaufen war. Tatsächlich berichteten am Mittwoch die ersten vier Zeugen übereinstimmend, dass sie ein Bild des Tatverdächtigen Oliver K. - dessen Namen sie vom Opfer erfahren hatten - zuerst bei dem sozialen Netzwerk Facebook gesehen hätten. Ob dann überhaupt ein Foto des nun Angeklagten in einer der vorgelegten Mappen zu sehen gewesen sei, stellte zumindest einer der Zeugen infrage.

Staatsanwalt sagte gründliche Aufklärung der Abläufe bei den Fotovorlagen zu

Der 29-Jährige, ebenfalls Familienvater, fügte hinzu, dass ihm, nachdem er bei den Fotos eine Auswahl getroffen hatte, der ihn vernehmende Polizist die Namen der Tatverdächtigen genannt habe. Darüber hinaus, wies Strafverteidiger Alexander Funck als Anwalt von Oliver K. auf einen weiteren Kritikpunkt hin, seien die Bilder den Zeugen gleichzeitig und nicht sequenziell, also einzeln nacheinander, gezeigt worden.

Letztere Verfahrensweise hatte der Bundesgerichtshof jedoch bereits im Jahr 2000 als Standard beschlossen, um zu verhindern, dass Zeugen die dem Täter am meisten ähnelnde Person auswählen. „Das erschwert die Aufklärung extrem“, sagte Funck, und Reulecke entrüstete sich: „Das ist offensichtlich in Halberstadt noch nicht angekommen.“ Staatsanwalt Michael Bierwagen sagte eine gründliche Aufklärung der Abläufe bei den Lichtbildvorlagen im Polizeirevier Harz zu. Die Verhandlung wird am Mittwoch, 30. Juni, fortgesetzt. (mz)