Schiedsrichterin aus Bad Harzburg Schiedsrichterin aus Bad Harzburg: Riem Hussein pfeift die Profifußballer zurecht

Bad Harzburg - Wer mit Riem Hussein durch Bad Harzburg läuft, trifft auf viele freundlich grüßende Menschen. Jedenfalls ist es an diesem Montagmittag so. Hier ein nettes „Guten Tag“, da ein „Wie geht es Ihnen?“. Die 35-Jährige ist keine Unbekannte in dem hübschen Kur-Städtchen am Harzrand. Und das nicht nur wegen ihrer Arbeit als Apothekerin in dem Ort. Sondern: Sie ist auch die Frau, die es im Fußball weit gebracht hat - weshalb auch schon Leute in die Apotheke kamen, die gar kein Medikament wollten. Sondern ein Autogramm.
Riem Hussein war früher selbst Spielerin, die größere Bekanntheit erlangte sie aber in einer anderen Rolle auf dem Platz: als Schiedsrichterin. Die promovierte Pharmazeutin leitet seit rund zehn Jahren Spiele in der Frauen-Bundesliga, hat auch schon ein DFB-Pokalfinale der Frauen gepfiffen. Sie ist Unparteiische der FIFA, wird bei internationalen Partien eingesetzt. Und, wenn nötig, weist sie auch die Männer auf dem Rasen zurecht: Seit dieser Saison ist Riem Hussein Schiedsrichterin in der dritten Liga der Herren - und damit die zweite Frau im deutschen Fußball neben Bibiana Steinhaus, die Spiele im Profi-Bereich der Männer leitet.
Keine Probleme auf dem Rasen
Eine Frau, die den Männern auf dem Fußballplatz sagt, wo es langgeht. Da stellt sich unweigerlich die Frage nach der Autorität: Ist es schwieriger, sich als Schiedsrichterin zu behaupten? Riem Hussein sieht das ganz entspannt. „Ich habe das Gefühl, dass es keinen Unterschied für die Spieler und Trainer macht. Der Umgang ist sehr respektvoll“, erzählt die sympathische 1,62-Meter-Frau in Jeans und grauem Kapuzenshirt, die ihre Mittagspause für das Interview in einem Lokal ein paar Gehminuten von der Apotheke entfernt nutzt. „Ich habe noch nie einen Kommentar in dieser Richtung gehört“, fügt sie hinzu, und meint lässig: „Das ist für mich gar kein Thema.“
Wobei, natürlich gebe es auch Unterschiede. Das Spieltempo sei höher als im Frauenfußball, „man muss deshalb mehr Entscheidungen über einen kürzeren Zeitraum treffen“, sagt Riem Hussein, die bereits seit mehreren Jahren in der Regionalliga der Männer pfeift. Bis zu fünf Mal pro Woche trainiert sie, um die nötige sportliche Leistung zu bringen.
Eher zufällig als Schiedsrichterin entdeckt
Der Sport spielte für die Tochter palästinensischer Auswanderer schon immer eine große Rolle. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr betrieb sie Leichtathletik auf Leistungsniveau - „Mittel- und Langstrecke und ein bisschen Mehrkampf“. Sie mischte zudem schon früh auf dem Rasen mit: „Ein Sandkastenfreund von mir ging immer zum Fußball. Irgendwann, ich war sechs, bin ich mal mitgegangen - und war dort das einzige Mädchen“, erzählt sie.
In Deutschland sind laut einer Statistik des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mehr als 71.000 Schiedsrichter in den verschiedenen Klassen und Ligen tätig und leiten die jährlich rund 1,6 Millionen Fußballspiele. Der Anteil der Frauen unter den Unparteiischen belief sich im Jahr 2015 auf rund 3,5 Prozent und war damit im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen.
Das Mindestalter für Schiedsrichteranwärter beträgt nach einer Empfehlung des DFB zwölf Jahre, in einigen Landesverbänden weicht es jedoch davon ab - zum Beispiel in Sachsen-Anhalt mit 14 Jahren. Die angehenden Schiedsrichter müssen nach mehreren Ausbildungstagen eine Prüfung absolvieren, die laut DFB einerseits aus der Beantwortung von Regelfragen und andererseits einer Sport-Prüfung besteht. Auch danach gibt es für die Unparteiischen umfassende Ausbildungs- und Förderprogramme.
Als Fußballspielerin hat sie es bis in die zweite Liga geschafft: Sie stürmte für den MTV Wolfenbüttel. Und zwar mehrere Jahre parallel zur Schiri-Tätigkeit. „Einen Tag am Wochenende habe ich Fußball gespielt und an dem anderen gepfiffen.“ Doch irgendwann sei beides auf höchstem Niveau nicht mehr möglich gewesen. Im Jahr 2005 entschied sie sich schließlich für das Pfeifen. Aber: „Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass es einmal so kommen würde, wie es dann gekommen ist“, sagt die Schiedsrichterin des Jahres 2013.
Erst recht nicht bei ihrem ersten Einsatz als Unparteiische. Der war nämlich alles andere als geplant. Es war bei einem C-Jugend-Spiel ihres jüngeren Bruders, die 18-jährige Riem war als Zuschauerin dabei. „Und dann kam der Schiri nicht.“ Natürlich hatte sie keinen Schiedsrichter-Schein, doch als die Fußballerin gefragt wurde, ob sie sich die Aufgabe für dieses Spiel zutrauen würde, machte sie es einfach. „Ich kannte die Regeln ja im Großen und Ganzen“, sagt sie heute. Sie pfiff in Zivil, es wurde ein faires Spiel. Und: „Die Jungs haben alle Entscheidungen akzeptiert.“
An diesem Tag habe sie „nicht daran gedacht, einmal Schiedsrichterin werden zu wollen“, erinnert sich Riem Hussein. Doch 2001 absolvierte sie den ersten Lehrgang. „Ich war als Spielerin recht impulsiv und habe auch öfter über die Schiris gemeckert - war also so ein Spielertyp, der mich heute selber nervt“, sagt sie grinsend. „Immer am Erzählen und zu allem eine Meinung habend.“ Sie machte sich also selbst ein Bild vom Job der Unparteiischen. Und blieb dabei.
Besondere Vorbereitung auf jedes Spiel
Die Erfahrungen als Fußballspielerin kommen ihr heute als Schiedsrichterin zugute - „zum Beispiel bei der Einschätzung von Zweikämpfen“, sagt sie. „Selbst gespielt zu haben, ist meiner Meinung nach eine wichtige Grundlage“, so Riem Hussein, die heute allerdings nicht mehr Fußball spielt - „wegen der Verletzungsgefahr“. Um stets auf dem neuesten Stand zu sein, nimmt sie regelmäßig an Lehrgängen teil.
Neben Sport-Leistungstests gehören auch theoretische Prüfungen für die Schiedsrichter dazu. Auf die Spiele, für die sie angesetzt ist, bereitet sich Riem Hussein eingehend vor: „Bei einem speziellen Scouting-Portal im Internet, das auch die Trainer nutzen, sehe ich mir neuerdings zum Beispiel aktuelle Spielszenen und die jeweiligen Analysen zu den Taktiken der Mannschaften und einzelnen Spieler an.“ Selbstverständlich schaut sie sich auch viele Spiele und Zusammenfassungen zu Hause am Fernseher oder, wenn es möglich ist, im Stadion an. „Ich glaube, es ist wichtig, dass die Spieler merken, dass man über den nötigen Sachverstand verfügt.“
Wie Riem Hussein auf dem Platz besteht
Was braucht es außerdem, um als Unparteiischer auf dem Rasen zu bestehen? Natürlich: „Durchsetzungsvermögen.“ Und: „Man sollte keine Angst vor Kritik haben.“ Auf dem Platz darf man sich nicht von Emotionen leiten lassen, fügt die erfahrene Schiedsrichterin hinzu - „auch wenn man von einem Spieler gefühlt 90 Minuten lang angemeckert wird“. Man kann sich nicht alles gefallen lassen, aber die ehemalige Spielerin hat auch Verständnis für den oft raueren Umgang: „Es geht schließlich um viel.“ In dieser Hinsicht könne man sich als Unparteiischer ebenfalls vorbereiten: „Wir wissen meistens, welche Spieler schwierig im Umgang oder schlitzohrig sind.“ Riem Hussein ist es wichtig, auf Anmerkungen und Kritik direkt einzugehen: „Ich versuche mit den Spielern zu kommunizieren - auch wenn man auf dem Platz natürlich nicht alles ausdiskutieren kann.“
Ihr Anspruch, wie sicher der eines jeden Schiedsrichters: „Fehlerfrei sein - und nicht der Grund, wieso es gut oder schlecht für eine Mannschaft gelaufen ist.“ Am besten, sagt sie, sei es, wenn nach dem Spiel gar nicht groß über sie gesprochen werde. „Dann hat man Vieles richtig gemacht.“ Diese Sicht auf die Dinge bringt zwei Eigenschaften zum Vorschein, die bei ihr immer wieder aufblitzen: Ehrgeiz und Bescheidenheit.
Familie greift ihr unter die Arme
Wobei man sich fragt, wie sie das schafft: Vollzeitjob in der Apotheke und dann noch die Schiedsrichter-Karriere. Mit Auslandseinsätzen, vielen Trainingseinheiten, Lehrgängen... „Klar, es ist oft anstrengend. Aber meine Familie unterstützt mich sehr“, sagt Riem Hussein, von deren vier Geschwistern zwei ebenfalls promovierte Pharmazeuten sind und zusammen mit ihr die Apotheke des Vaters leiten. „Ich kann meine Arbeitszeiten häufig flexibel gestalten.“
Eine letzte Frage, bevor die Mittagspause vorbei ist: Welche Ziele, Träume hat sie? „Über so etwas denke ich gar nicht groß nach“, sagt sie, „ich bin zwar zielstrebig, aber eher aufs Jetzt bezogen.“ Und vielleicht ist genau das das Erfolgsrezept von Riem Hussein. (mz)
