Rosstrappe in Thale Rosstrappe in Thale: Vier Monate Arbeit: So wurde der Felsen vermessen

Thale - Seit Eratosthenes und Aristoteles hat sich genau genommen nicht viel geändert: Die Erde besteht für Vermesser aus eindeutig vermessenen Punkten, die durch Polygonzüge - also viele Geradenstücke - miteinander verbunden sind.
Heutzutage nutzen die Geodäten freilich Satellitensignale, die die Koordinaten eines Punktes bis auf Millimeter genau bestimmen helfen. Doch in unzugänglichen Gebieten, in denen es schlechten GPS-Empfang und gar kein Mobilfunk-Signal gibt, werden sie in die Zeit der Großen Trigonometrischen Vermessung Indiens zurückversetzt, die sich über den größten Teil des 19. Jahrhunderts hinzog und unter anderem zur Entdeckung des höchsten Gipfels der Erde führte. Wie weilandGeorge Everest fühlte sich wohl auch das knappe Dutzend Frauen und Männer vom Landesamt für Vermessung und Geoinformation (LVermGeo), als sie zu Jahresbeginn vier Monate lang den Rosstrappe-Felsen vermaßen - und sich dazu mit ihren Theodoliten, Prismen und Tachymetern durch das Dickicht des Bodetals kämpfen mussten. Die Aktion ist jetzt beendet. Jüngst fand ein Grenztermin mit der Stadt Thale statt, die das Rosstrappe-Gebiet übertragen bekommt.
„Solch eine Vermessung hatten wir in dieser Form noch nie“, sagt Dezernatsleiterin Manuela Brands. „Das Entscheidende hier war der Einsatz im Gebirge“, ergänzt Frank Kalkbrenner, der Chef des Vermessungstrupps. Bei der Arbeit an den Hängen des Bodetals waren sie häufig mit Seilen gesichert und trugen Helme.
Unten an der Bode gab es keinen ungestörten GPS-Empfang, und der Mobilfunkempfang, der zur Verfeinerung der Satelliten-Daten nötig ist, war teilweise gar nicht vorhanden. Also wurde die Bode bei ihrer Neuvermessung per Hand aufs Papier gebracht: Winkel messen, Strecke messen, Winkel messen, Strecke messen. „Wir mussten uns Punkt für Punkt vortasten“, sagt Manuela Brands. „Das haben wir seit 15 Jahren nicht mehr gemacht.“
Außerdem konnten die Geodäten maximal bis zum Gasthaus Königsruhe fahren und mussten danach die Ausrüstung durch die Pampa schleppen. „Sonst sind wir eher auf Straßen oder bei der Vermessung von Privatgrundstücken unterwegs“, sagt Manuela Brands. Häufig seien die Landesstraßenbaubehörde oder der Landesbetrieb für Hochwasserschutz - zur Vermessung von Deichen - Auftraggeber für Vermessungen, berichtet LVermGeo-Präsident Jörg Spanier.
Der mehrwöchige Einsatz in Thale war dagegen eine willkommene Abwechslung vom Vermessungsalltag, die den geodätischen Urinstinkt der Landesangestellten herausgekitzelt hat. „Wo wir konnten, sind wir rüber, krabbelten durch das Unterholz oder seilten uns ab“, sagt Manuela Brands. Ein besonders eindrucksvolles Bild der Arbeiten zeigt zwei LVermGeo-Mitarbeiter, die mit Helm und an einem Seil gesichert die reißende Bode barfuß auf einem umgestürzten Baum überqueren. Auf exponierten Punkten wie der Prinzensicht, der Rosstrappe, dem Hexentanzplatz oder dem Bibra-Kreuz wurden Prismen installiert, die als Fixpunkte von allen Seiten mit einem Vermessungsgerät anvisiert werden konnten.
Und wozu der ganze Aufwand? Als Teil eines Deals mit dem Land Sachsen-Anhalt geht das komplette Rosstrappe-Massiv ins Eigentum der Stadt Thale über. Hintergrund ist die Sicherung des über Jahre wegen eines Felsschlags gesperrten Goethewegs zum Gasthaus Königsruhe.
Das Umweltministerium bezahlte das Anbringen von Fangzäunen oberhalb des Weges, im Gegenzug übernimmt Thale die Flächen für einen symbolischen Euro und ist dann für die Verkehrssicherheit zuständig. „Dafür musste das Gebiet jetzt vermessen werden“, sagt Thorsten Rommel, Finanzchef des Landesforstbetriebs, der MZ. Der Landesbetrieb hat die Vermessung des rund 65 Hektar großen Gebietes in Auftrag gegeben und wird sie auch bezahlen. Rund 150 000 Euro kostet das nach Angaben Rommels.
Um eine Fläche zu vermessen, müssen alte Grenzpunkte gefunden oder neue gesetzt werden. Die Grenzsteine, die das Gebiet nach Westen hin durch die so genannte Preußengrenze - die ehemalige Grenze zwischen dem Königreich Preußen und dem Herzogtum Braunschweig - abgrenzen, wiegen 250 Kilogramm. Die modernen Granitsteine sind mit 20 Kilo nicht mal ein Zehntel so schwer. Immerhin mussten die Geodäten des LVermGeo etwa 1.000 Punkte einmessen und rund 100 neue setzen.
So anstrengend die Vermessung der Rosstrappe auch war - gerade für die Frauen, die dabei oft an ihre körperliche Grenze kamen -, Kalkbrenner würde sofort wieder starten. „Als Vermesser hat man da immer Lust zu.“ Alle Mitarbeiter, erinnert sich Manuela Brands, „kamen montags mit einem Lächeln auf dem Gesicht zum Dienst - und freuten sich auf Thale“. (mz)

