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Ohne Vokabel-Pauken Ohne Vokabel-Pauken: Alles entsteht im Gespräch

Von Uwe Kraus 22.08.2020, 13:56
Ines Friedrich an ihrem Keyboard. Sie wird aufgrund ihrer Vorliebe für die Farbe „Frau Lila“ genannt.
Ines Friedrich an ihrem Keyboard. Sie wird aufgrund ihrer Vorliebe für die Farbe „Frau Lila“ genannt. Uwe Kraus

Wernigerode - Bis ins Schloss Heringen im Thüringischen Teil des Harzes hat es Ines Friedrich und die „Harzer Kramms“ noch nicht geführt. „Dafür aber quer durch den Oberharz und bis nach Hannover“, erzählt die 62-Jährige. Doch im Oktober reist die Frau „übern Harz“, um den Harzer Kulturpreis entgegenzunehmen. Der wird jährlich zur Förderung der regionalen Kultur-, Forschungs- und Bildungsarbeit verliehen.

„Alles entsteht im Gespräch“

Seit 20 Jahren bringt „Frau Lila“, wie sie wegen ihren Vorliebe zu dieser Farbe genannt wird, Kindern die alte Sprache ihrer Heimat bei. „Leiwe Harzer Kramms“, redet sie die Schüler an, denen sie die Mundart ihrer Ahnen vermittelt. „Keiner muss Vokabeln pauken, alles entsteht im Gespräch.“ So lernen die Kramms, wie die Kinder auf Platt heißen, die Zahlen, reden über Kleidung, Wochentage, die Lehrer, aber auch die Autos der Eltern.

„Ich sage immer, ich muss das 150-prozentig können, um es den Kindern zu 100 Prozent beizubringen“

„Der bilinguale Unterricht fängt in der zweiten Klasse an“, erzählt Ines Friedrich. Nur dass die zweite Sprache eben nicht wie anderswo Englisch, sondern Harzer Platt ist.

Sie schaut 20 Jahre zurück, als Schul- und Kultur-Amtsleiterin Rita Ahrens sie drei-, vier-, fünfmal fragte, ob sie Platt lehren könnte. Dabei sprach sie da noch gar kein Platt und ging erstmal bei Wolfgang Wenderoth, Edith Naumann und Jutta Wagner in die Mundart-Schule.

Später passte das Duo Friedrich-Wagner das Wörterbuch für Helmstedter Platt an den alten Wernigeröder Dialekt an. „Das ist heute mein Hauptarbeitsmittel.“ In die Aufgabe verbiss sie sich. „Ich sage immer, ich muss das 150-prozentig können, um es den Kindern zu 100 Prozent beizubringen.“

„Jetzt fehlen mir die Kinder durch Corona schon ein halbes Jahr“

Einigen Kritikern hält sie entgegen, dass in Ilsenburg ein anderes Platt gesprochen werde als in Wasserleben, dort wieder anders als in Veckenstedt und Schmatzfeld. „Sprache lebt weiter. Ein Grund, in den Platt-Unterricht einzusteigen, war auch, dass ich was kulturell Wertvolles vor dem Untergang bewahren wollte.“

Um die 600 Kindern lehrte sie an bis zu elf Schulen im fakultativen Unterricht die Sprache, heute besucht sie wöchentlich Silstedt, Langeln, die Diesterweg- und Harzblickschule. „Jetzt fehlen mir die Kinder durch Corona schon ein halbes Jahr“, bedauert Ines Friedrich. Sie hat Spuren hinterlassen, Lieder komponiert, „tingelt mit ihrem Akkordeon über die Schulhöfe“, wie sie scherzhaft sagt, produzierte mit den Mundart-Sängern in Tracht vier CDs und gab drei Liederbücher heraus. Für ihren Unterricht erarbeitet sie ständig Arbeitsblätter.

Auch die Kinder haben musikalische Gene

In einem Buch stehen die Noten des Bartkauz-Liedes, weil die „Harzer Kramms“, der erste Verein für Kinder dieser Art im Harz, über so ein Vogelpaar im Christianental die Patenschaft pflegt. Sie zeigt keinerlei Ehrenamtsmüdigkeit, überlegt aber schon, wer den Staffelstab mal übernehmen kann. „Heute weiß ich, ich habe selbst zu spät damit angefangen.“

Ihre zwei Söhne und die Tochter haben die musikalischen Gene ihrer Mutter, die als Chorleiterin ausgebildet ist. Das hört man auf der CD, auf der die Söhne als Bläser musizieren. „Doch Platt, nein, das sprechen sie alle nicht.“ (mz)