Gotteshaus wird zum Riesenpuzzle Gotteshaus wird zum Riesenpuzzle: Kapelle im norwegischen Drachenstil zieht um

Stiege - Der Wind peitscht, es regnet, die Gerüste rund um die Holzkirche am Albrechtshaus bei Stiege klappern, und Handwerker nehmen das Gotteshaus schrittweise auseinander. Trotzdem fühlt sich dieser 11. März für ganz viele Menschen wie ein Sonnentag an. Der Umzug ihrer Stabkirche beginnt, das jahrelange Engagement von unterdessen 150 Fördervereinsmitgliedern aus allen Himmelsrichtungen hat sich gelohnt.
Vandalismus und die raue Harznatur setzen dem Holzbau weit außerhalb mitten im Wald kräftig zu. Wie für das alte Klinikgelände der 1897 eröffneten Lungenheilanstalt schien auch für das Gotteshaus die letzte Messe gesungen.
Es geht hier um Heimatbewusstsein
Doch seit 2014 finden sich Menschen, die mit der pensionierte Lehrerin Regina Bierwisch eins sind: Die Kapelle im norwegischen Drachenstil muss erhalten werden. Nun wird sie demnächst in neuem Glanz erstrahlen - an einem neuen Ort, rund sechs Kilometer, unweit des Stieger Schmalspurbahnhofes. Es sei keine Frage der Zugehörigkeit zu einer Kirchgemeinde, sondern verbinde sich mit Heimatbewusstsein.
Am Donnerstag steht Kultusstaatssekretär Gunnar Schellenberger hoch oben mit auf dem Gerüst, als die Turmzier entfernt wird. Wetterfahne und Kirchturmkugel schweben vom Glockenturm herab. Der CDU-Politiker freut sich, dass die spektakuläre Aktion nun startet. Dass Kirchen verschoben werden, das passiert nicht allzu oft.
300.000 Euro „Fahrgeld“ vom Kultusminister
Schellenberger hatte dafür im vorigen August 300.000 Euro „Fahrgeld“ an den Förderverein Stabkirche überreicht. Rund eine Millionen Euro kostet die Versetzung, allein 700.000 Euro Abbau, Transport und Wiederaufbau. Durchaus sportlich nennen Beteiligte den Ablaufplan, den der Wernigeröder „Planungsring“ aufgestellt hat. „Ende April sieht man hier nur noch ein paar Umrisse im Waldboden“, sagt Regina Bierwisch.
„Zum Tag des offenen Denkmals am 12. September steht unsere Kirche in Stiege!“ Sie schaut in die Runde. Überall spürt sie Freude. „Das ist ein Signal: Es geht los. Unseren Weg haben Misserfolge, neue Erfahrungen und Spaß gepflastert.“
„Wir haben das Projekt drei Jahre in Folge gefördert“
Sandra Klauß aus Straßberg erinnert sich an Konzerte und Lesungen, Tage der offenen Tür, Kinoveranstaltungen und Kaffeerunden. „Dabei haben wir Spenden gesammelt und Menschen für dieses einmalige Bauwerk sensibilisiert.“ Bundestagsabgeordnete Heike Brehmer (CDU) erinnert sich daran, dass viele Leute an das Gelingen des Projektes nicht geglaubt hätten. „Ich habe hier mit im Schatten der Bäume gesessen und mit dem Verein überlegt, wie wir Mittel des Landes, des Denkmalschutzfonds und der Sparkassenstiftung hier einsetzen können.“
Beatrice Härig von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz lobt den Förderverein, der von seiner Idee nicht abgelassen hat. „Wir haben das Projekt drei Jahre in Folge gefördert.“
„Wir hier sind alle Denkmalretter“
Regina Bierwischs Tochter Roswitha hat eine alte Postkarte bekommen, auf der die Holzkirche abgebildet ist. Sie erzählt, dass die Stabkirche eigentlich nicht echt ist. Irgendwelche Masten fehlen, man einigt sich auf Blockbohlenbau im Stile einer Stabkirche. Sie selbst hat zur Feier des ersten Umzugstages ein feingliedriges Umzugsschild gemalt. Stolz klingt aus ihrer Stimme, wenn sie sagt: „Wir hier sind alle Denkmalretter.“
Vereinsmitglied Vivien Pförtner zählt ebenso dazu. „Das ist schon ein großer Tag, wenn das erst Teil planmäßig abgebaut wird. Wenn die Turmzier nun hinabgelassen ist, rücken die Dachdecker an.“ Die arbeiten in den kommenden Tagen eher als Dachabdecker. Schließlich stammen die kleinen Biberziegel noch aus dem frühesten 20. Jahrhundert. „Die sind so teuer, da sollte jeder wieder aufs Dach“, erklärt der verantwortliche Planer Uwe-Karsten Bothe, der sich für mögliche Lücken deutschlandweit nach fast identischen kleinen Ziegeln umschaute.
Fachmännisch begutachtet Thomas Müller die herabgleitende Turmzier. „Hier finden sich ein paar Einschusslöcher. Nein, keine Kriegsschäden, vielleicht Luftgewehr, nennen wir die Schüsse Dummejungen-Streiche.“ Eine von vier Zierkrabben, schmückendes Gestaltungselement in Form von gefalteten Blättern, fehlt. „Die werden wir in unserer Werkstatt in Wurzen ersetzen“, sagt er.
Durchlöcherte Kugel ist leer
Neugierig fragen die Vereinsmitglieder und Gäste, was wohl in der Turmkugel stecke. Thomas Müller flext vorsichtig ein Loch hinein und lässt den Staatssekretär hineinblicken. Etwas Dreck, keine Münzen, keine Tageszeitung, die durchlöcherte Kugel ist leer.
Doch das trübt am Donnerstag nicht die Umzugsfreude. Selbst der Regen hat aufgehört, so dass viele Besucher noch mal einen Blick rund um die Waldkirche werfen. So sehen sie die hier nie wieder. Rund 600 Holzbohlen tragen eine Nummer, damit sie in einigen Wochen im Ortszentrum wieder zusammengepuzzelt werden können. Und die Harzer Schmalspurbahn soll schon an den Albrechtshaus-Haltepunkt geordert worden sein, um die längeren Bohlen eine Bahnstation weiter zu transportieren.
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Sitzpatenschaft in der Stabkirche
Für die Umsetzung und Wiedereröffnung der Stabkirche im Herzen von Stiege sammelt der Verein weiter Spenden und hat sich etwas Besonderes für die Öffentlichkeit überlegt: Gegen eine Spende bietet er Patenschaften für Sitzplätze im Gotteshaus an.
Für ihre Sitzpatenschaft erhalten Spender ein personalisiertes Messingschild an einem Sitzplatz ihrer Wahl sowie eine Patenurkunde. Bei Bedarf geht das auch ohne namentliche Nennung auf dem Messingschild. Des Weiteren werden die Spender im digitalen Spendenregister eingetragen.
So können sie sich nicht nur einen eigenen Platz sichern, sondern vielleicht auch ein Familienmitglied oder eine für sie wichtige Person bedenken. Die Patenschaft kostet je nach Auswahl des Platzes 150 Euro (Reihe 9 und 10), 300 Euro (Reihe 7 und 8) oder 500 Euro (Reihe 1 bis 6).
Interessierte können sich im Internet auf www.stabkirche-stiege.de ein Formular runterladen. Das können sie ausfüllen, ihren Wunschplatz sowie den Text für die Gravur angeben. (mz)