Statt persönlicher Besuche Frühere Bürgermeisterin Kornelia Bodenstein schreibt Briefe an Senioren aus Hedersleben: Liebe Post und Blumensamen

Hedersleben - Kornelia Bodenstein legt die noch eingeschweißten 50 Bögen Briefpapier vor sich auf den Tisch, auf dem auch eine Kaffeetasse dampft. „Die will ich alle vollschreiben und verschicken“, sagt sie.
100 Euro habe sie für das Briefpapier und die entsprechenden Briefumschläge ausgegeben. Bodenstein atmet tief ein. „Ich muss erst mal wieder reinkommen ins Briefeschreiben“, sagt sie dann. „Man ist das ja gar nicht mehr so gewöhnt.“
Die 66-Jährige war 19 Jahre lang Bürgermeisterin in Hedersleben, bis vergangenes Jahr. In dieser Zeit sei sie immer sehr umtriebig gewesen, immer im Kontakt mit allen und jedem im Ort. Und natürlich hat sie auch schon lange ein Smartphone, mit dem sie oft hantiert.
Kornelia Bodenstein besucht die Senioren sonst in Pflegeheimen in Wegeleben oder Quedlinburg
Ihre Umtriebigkeit hat mit der Abwahl als Bürgermeisterin offenbar in nichts nachgelassen, als Gemeinderätin engagiert sie sich nach wie vor wie ein Hansdampf in allen Gassen. Die Idee mit den Briefen an die Seniorinnen und Senioren in den Pflegeheimen sei ihr wie selbstverständlich gekommen.
„Eigentlich besuche ich meine alten Hederslebener dort öfter, und da das gerade nicht geht, kam mir die Idee mit den Briefen.“ Ihre Adressaten sind zum Beispiel der 92-jährige Rudi Heucke in der Senioreneinrichtung „Blumeninsel“ in Wegeleben oder Luise Lochner im Awo-Pflegeheim in Quedlinburg.
„Das Schlimmste ist doch gerade, dass diese alten Menschen gerade nicht mal in den Arm genommen werden, ihnen nicht mal die Hand gestreichelt wird“, sagt Bodenstein.
Auch mehreren alten Menschen in Hedersleben will Kornelia Bodenstein einen Brief schreiben
Sie will nicht nur an Senioren in Pflegeeinrichtungen schreiben, sondern auch an alte Menschen in Hedersleben, die allein sind. Auch zwei an Krebs Erkrankte will sie auf diesem Weg kontaktieren und sie, wie alle anderen auch, ermuntern, zu antworten oder auch nur etwas aufzuschreiben. „Ich bereue es, das selbst nicht gemacht zu haben während meiner Krebserkrankung“, bedauert Bodenstein.
„Ich könnte mich heute besser erinnern, was ich damals durchgestanden habe und welche Ängste, aber auch welche Wünsche ans Leben mir in dieser Situation bewusst geworden sind.“
Für ihre Briefe, die sie in diesen Tagen schreiben will, möchte sie sich Zeit nehmen. „Zeit, um erst mal über den jeweiligen Empfänger eines Briefes nachzudenken. Was ist er für ein Mensch? Welche Leidenschaften hat er?“
So könne sie dann auf jeden einzelnen eingehen und ihm Positives für sein individuelles Leben vermitteln. Denn das sei immer ihr Hauptanliegen - positiv zu bleiben, auch bei allem Schmerz und Verlust.
Das gelingt Bodenstein nicht immer, zum Beispiel wenn sie anfängt darüber nachzudenken, warum alte Menschen überhaupt ins Pflegeheim kommen. Dabei fällt ihr auch die in den meisten Senioreneinrichtungen ungleich verteilte Anzahl von Frauen und Männern auf:
„Es tut mir in der Seele weh, dass diese ganzen Frauen, die die Familien großgezogen haben, dann ins Heim abgeschoben werden.“ Das könne man natürlich nicht so pauschalisieren, fügt sie hinzu. Doch für sie, die trotz ihrer Erkrankung auch noch jahrelang ihren mittlerweile verstorbenen Mann gepflegt habe, käme das eben überhaupt nicht in Frage.
„Eine Mutter kann zehn Kinder großziehen, aber keine zehn Kinder eine Mutter“, macht sie sich noch mal Luft. (mz)