Update: "Ich hatte Angst um mein Leben" 33-jährigen Mann aus Wernigerode wird versuchter Mord an Polizisten vorgeworfen: Prozess am Landgericht Magdeburg

Magdeburg/Benzingerode - „Wir haben uns drei Minuten aufs Übelste geprügelt“, sagt der Polizist. „Am Ende hatte ich sogar Blut im Stiefel.“ Das Blut stammte von einem 33-Jährigen, der eigentlich nur in einen Baumarkt einsteigen wollte, um Geld für Crystal Meth und seine Spielsucht aus dem Tresor zu stehlen. Doch am Ende lieferte er sich mit der Polizei eine Verfolgungsjagd, Karambolagen mit Streifenwagen und wilde Prügeleien mit mehreren Beamten, ehe er endlich gestoppt werden konnte.
Nun steht er wegen eines halben Dutzends Straftaten vor dem Landgericht Magdeburg. Der schwerwiegendste Vorwurf: versuchter Mord an einem Polizeibeamten. An jenem Polizisten, der durch den Kollegen mit dem Blut im Stiefel gerettet wurde.
Mit einem Seat Leon ST ging es auf die Klautour
Der 4. November 2019 begann - und da sind sich Anklage und Beschuldigter einig - mit einem ziemlich dusseligen Einbruch. Der 33-Jährige, der in Naumburg geboren wurde und jetzt in Wernigerode lebt, zog sich eine Linie Crystal und machte sich mit einem bei Sixt gemieteten Seat Leon ST auf die Klautour.
Erste Amtshandlung: Er schraubte von einem anderen Auto die Kennzeichen ab und montierte sie an sein Fahrzeug. Schon da hatte er Pech: Er wählte ein Magdeburger Nummernschild mit viermal der Vier. Das vergessen Zeugen nicht.
Dann warf er nach eigener Aussage eine „Bombe“ - auf Zellstoff geträufelte Drogen - ein, fuhr zum Stabilo-Baumarkt am Ortsausgang von Wernigerode nach Benzingerode und schlug dort ein Fenster ein. Die Alarmanlage ging los, ein Hund schlug an, Nachbarn wachten auf und riefen die Polizei. Sie gaben auch das Kennzeichen durch. „MD“ für Magdeburg und viermal die Vier.
Unglücklicher Einbrecher, der richtig mies drauf war
Nachdem der unglückliche Einbrecher versucht hatte, die Alarmanlage zu zerstören und den Schlüssel für den Tresor zu finden - beides misslang -, verschwand er vom Tatort in Richtung Blankenburg. Er war richtig „mies drauf“, sagte sein Verteidiger, der eine Erklärung des Angeklagten verlas.
Am Ortsausgang von Benzingerode in Richtung Heimburg traf dann der erste Streifenwagen auf den flüchtenden Einbrecher und stellte sich quer vor den haltenden Seat. Der Angeklagte gab Gas und rammte den Polizeiwagen, einen Ford Kuga. Nach einer kurzen Verfolgungsfahrt und zwei weiteren Remplern kam der 33-Jährige auf dem Seitenstreifen der Straße zum Stehen, die Polizistin am Steuer stoppte ihren Wagen daneben, und ihr 48-jähriger Kollege nahm die Verfolgung des zu Fuß fliehenden Täters auf.
Signalschuss für die Kollegin abgegeben
Weil er seine Kollegin aus den Augen verloren hatte und sein Funkgerät heruntergerutscht war, habe er einen „Signalschuss“ abgegeben, um seine Position anzuzeigen, berichtete der Beamte vor Gericht. „Das war mein erster Schuss in 27 Jahren als Polizist“, sagte er.
Nach kurzer Verfolgung habe er den Angeklagten erreicht, und auch die Kollegin sei schnell da gewesen. Der komplett schwarz gekleidete und maskierte Täter habe sich in dieser Situation mehrfach mit beiden Händen in seine Jacke gefasst - wie sich später herausstellte, hatte er eine scharfe Pistole in der Tasche. Nach einigem Hin und Her habe er sich dann auf den Boden gelegt.
Doch als der Polizist ihm die Handschellen anlegen wollte - dazu hatte er auch seine Waffe weggesteckt -, sei der 33-Jährige aufgesprungen und habe ihn angegriffen. Bei der Rangelei verlor der Angeklagte seine Jacke.
Pfefferspray hat nicht viel geholfen
Ein ordentlicher Stoß Pfefferspray habe den Kriminellen dann aber nicht bändigen können, sagte der Polizist. Er habe sich seine Totenkopfmaske vom Gesicht gerissen, die Augen gerieben und den Polizisten mit beiden Armen in einen Würgegriff genommen, wobei der 1,73 Meter große, kräftige 33-Jährige den Kopf des zwei Zentimeter kleineren Beamten gegen sein Brust presste und immer wieder hin- und her schleuderte, bis dieser die Orientierung verlor. „Ich konnte nicht atmen“, sagte der Polizist. „Ich hatte Angst um mein Leben.“
Vollgepumpt mit Drogen hat der Täter keine Schmerzen versürt
Während ihr Kollege um sein Leben rang, drosch die 1,60 Meter große Polizistin nach eigener Aussage von hinten mit Schlagstock und Taschenlampe auf den Angreifer ein. Ohne Erfolg. „Der verspürte keine Schmerzen“, sagte sie. Erst als Verstärkung eintraf und es zum entscheidenden Kampf - mit Blut im Stiefel - kam, konnte der 33-Jährige gebändigt werden.
Als die Beamten die Jacke des Täters checkten, fanden sie dort auch die Pistole mit fünf Patronen im Magazin. Der Mann behauptet, er habe sie im Auto dabei gehabt und auf seiner Flucht mitgenommen, um sie verschwinden zu lassen.
Schwurgerichtskammer hat das Mordmerkmal zu klären
Die Schwurgerichtskammer im Landgericht Magdeburg muss nun klären: Wollte der Täter die scharfe Waffe einsetzen, um sich der Polizisten zu entledigen? Das könnte dann als Mordversuch gewertet werden, weil ein Mordmerkmal - das Töten, um eine Straftat zu verdecken - erfüllt wäre.
Deshalb hat auch das Amtsgericht Wernigerode, wo der Prozess eigentlich stattfinden sollte, das Verfahren kurz nach Beginn der Verhandlung ans Landgericht abgegeben - denn für Mord ist diese höhere Instanz zuständig.
Einen Mordversuch kann das Gericht genauso ahnden wie den vollendeten Mord: mit einer lebenslangen Haftstrafe. Es ist aber möglich, die Strafe zu mildern. Drei Jahre Gefängnis sind das Mindestmaß. Sie dürften bei einer Verurteilung nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Prozess wird am 23. Juni fortgesetzt. 8mz)