Widersprüche und falsche Aussagen Der Gratis-VIP-Balkon zu Roland Kaiser: Alle Infos zur Schellenberger-Affäre in Magdeburg
Gunnar Schellenberger, Präsident des Landtags von Sachsen-Anhalt, steht unter Druck. Grund ist das Konzert von Roland Kaiser in Magdeburg. Schellenberger verfolgte das Konzert samt Ehefrau und weiteren privaten Gästen von seinem Büro-Balkon aus. Es folgten Widersprüche und Unwahrheiten.

Magdeburg/DUR – Es war eines der großen Konzert-Highlights des
Sommers in Magdeburg: Am 12. August sang Schlagersänger Roland Kaiser vor Tausenden Fans auf dem Domplatz. Für einen, der gar keine Karte hatte, hat das Konzert aber ein Nachspiel: Landtagspräsident Gunnar Schellenberger. Wir fassen den Fall zusammen.
Schellenberger-Affäre: Was war passiert?
Am 12. August spielte Roland Kaiser ein Konzert auf dem Domplatz in Magdeburg. Tausende Fans bejubelten den Schlagersänger. Doch nicht nur vor der Bühne, auch hinter den Zäunen lauschten viele Fans den Kaiser-Hits.
Zu den Zaungästen gehörte auch Landtagspräsident Gunnar Schellenberger. Der hatte von seinem Büro-Balkon im Landtag beste Sicht, verfolgte das Konzert dort mit mehreren Gästen, dabei floss auch Alkohol.
Schellenberger sieht Roland-Kaiser-Konzert vom Büro aus – Was ist daran problematisch?
Das Problem daran: Laut den Regeln des Landtags ist eine private Nutzung der Büros streng verboten. In Paragraf 19 der Hausordnung steht: „Die Räume in den Gebäuden des Landtages dienen ausschließlich parlamentarischen Zwecken und sind für diese Zwecke zu nutzen.“ Verstöße werden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Unterzeichnet hat das Verbot Präsident Schellenberger persönlich.
War Schellenberger der Einzige, der gratis guckte?
Nein, auch an anderer Stelle wurde offenbar vom Büro aus Live-Musik gehört. Das Konzert von Roland Kaiser wurde auch im Justizministerium von Mitarbeitern vom Büro aus verfolgt. Am Tag darauf spielte an gleicher Stelle der Rapper Apache 207. Eine Mitarbeiterin der AfD-Fraktion veröffentlichte daraufhin bei Instagram ein Foto, das offenkundig aus dem Landtagsgebäude heraus entstanden ist und die Bühne des Konzerts zeigte.
Wie reagierte Schellenberger auf die Fotos, die ihn bei Roland Kaiser auf dem Balkon zeigten?
Nachdem MZ und Volksstimme die Fotos veröffentlichten, ließ Schellenberger verbreiten, er sei zu einem rein dienstlichen Termin von 19.30 bis 21.30 Uhr im Landtag gewesen. Nach Ende des Termins haben er und seine fünf Gesprächspartner "sich einen Eindruck vom Konzert auf dem Domplatz verschaffen wollen.“ Thema der Besprechung sei das 25-jährige Bestehen eines Max-Planck-Instituts im kommenden Jahr gewesen.
Was passierte nach der ersten Schellenberger-Erklärung zur Balkon-Affäre?
Die erste Erklärung des Landtagspräsidenten wirft gleich mehrere Widersprüche auf. Zum einen war der Termin entgegen aller Gepflogenheiten nicht in der öffentlichen Termin-Datenbank hinterlegt. Auch das Datum, mitten in der Plenarpause an einem Samstagabend wirft Fragen auf, zumal die Büros nicht schalldicht sind. Ein dienstliches Gespräch mit Live-Musik vor der Tür ist kaum sinnvoll.
Weiter kommt heraus: Das einzige Max-Planck-Institut (MPI) in Sachsen-Anhalt, das im kommenden Jahr 25 Jahre alt wird, ist das MPI für Ethnologie in Halle. Dort weiß man nichts von dem Termin, kein Mitarbeiter des Instituts war beteiligt. Weiter floss laut den Bildern Alkohol, auch das sollte bei einem dienstlichen Termin tabu sein.
Und schließlich offenbaren die Bilder, die Bürger vom Balkon machen, weitere Probleme. MZ und Volksstimme liegen Aufnahmen aus dem Zeitraum zwischen 20.14 Uhr und 21.45 Uhr vor. Das passt nicht zu einem Termin, der bis 21.30 Uhr geht.
Wie reagiert Schellenberger zu den neuen Widersprüchen in der Balkon-Affäre?
Am 24. August rudert Schellenberger bei einer Pressekonferenz der CDU-Landtagsfraktion erstmals zurück. Er habe an jenem Abend „das Dienstliche mit dem Nichtdienstlichen verknüpfen“ wollen, sagte er. Es habe aber eine kurzfristig angesetzte dienstliche Besprechung zum Geburtstag des MPI gegeben, sagt Schellenberger weiter. Um das Treffen zu diesem Thema habe ihn sein früherer Büroleiter Matthias Graf von der Schulenburg gebeten.
Nur weil es im Büro zu warm und zu laut gewesen sei, sei man eher zum Konzert von Roland Kaiser übergegangen. Er wolle als „Anerkennung seines Fehlverhaltens“ 600 Euro für gemeinnützige Zwecke zahlen.
Grüne und Linke fordern nach dieser Erklärung erstmals Schellenbergers Rücktritt. FDP und SPD fordern weitere Aufklärung, CDU und AfD halten zu Schellenberger.
„Was wirklich kritikwürdig ist, ist der Umgang damit, dass er uns alle für dumm verkauft und dass er uns Lügen auftischt und dass er nicht nachvollziehbar sagen kann, was das für ein angeblich dienstlicher Termin war“, so Grünen-Fraktionschefin Lüddemann.
Was sagte Schellenberger im Ältestenrat zu der Balkon-Affäre?
Eine Woche nach der ersten Erklärung steht Gunnar Schellenberger schließlich dem Ältestenrat des Landtages Rede und Antwort und nennt Details, die seinen früheren Aussagen teils deutlich widersprechen.
Jetzt räumt der Landtagspräsident ein, dass auch seine eigene Ehefrau zu den Gästen gehörte, die das Roland-Kaiser-Konzert vom Balkon aus sahen. Bei einer weiteren Frau in der Runde wisse er nicht einmal den Namen, so Schellenberger in der anschließenden Landespressekonferenz.
Anlass des Treffens sei eine dienstliche Besprechung zum Jubiläum des Magdeburger Max-Planck-Instituts gewesen, um das sein früherer Büroleiter Matthias Graf von der Schulenburg gebeten habe. Auf Nachfrage konnte Schellenberger allerdings nicht sagen, in welcher Beziehung von der Schulenburg zum Max-Planck-Institut steht und in wessen Auftrag er handelte.
Und: Das Magdeburger MPI feierte bereits im vergangenen Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Immerhin war eine Teilnehmerin der Runde Mitarbeiterin des Magdeburger Institutes, war aber laut MPI rein privat vor Ort.
Schellenberger weiter: Man habe sich bis 20.15 Uhr besprochen und sei dann aufgrund der Wärme und Lautstärke zur Musik übergegangen. Ein Protokoll des Termins gebe es nicht.
Dass es Alkohol gegeben habe, sei für Schellenberger „eine Frage der Höflichkeit“ gewesen. Er sagte, es sei ein Fehler gewesen, seine Gäste nicht nach dem Abbruch der Besprechung nach Hause geschickt zu haben. Er habe für den „ungeplanten Vorteil“ mittlerweile 600 Euro an den Kinderschutzbund Sachsen-Anhalt gespendet.
Wie fällt die Reaktion auf Schellenbergers neueste Erklärung aus?
Nach Grünen und Linken fordert nun auch die SPD den Rücktritt des Landtagspräsidenten. „Auch diese Erklärung war nicht geeignet, das Vertrauen der Abgeordneten und der Öffentlichkeit in die Integrität und Glaubwürdigkeit des Landtagspräsidenten wiederherzustellen“, teilte die Fraktion am Freitag mit. Damit stellt sich erstmals ein Teil der Landesregierung gegen Schellenberger.
CDU, FDP und AfD stehen jedoch weiter hinter dem Landtagspräsidenten. Vor allem die CDU ist über die Kritik der SPD alles andere als begeistert.
Grüne und Linke forderten am 4. September die Abwahl Schellenbergers. Das ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Um den Präsidenten abzuwählen, bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Landtag.
Ärger um Schellenbergers Spende in der Balkon-Affäre
In der Balkon-Affäre wollte Landtagspräsident Schellenberger 600 euro an den Kinderschutzbund spenden. Am Freitag kam nun heraus: Der Kinderschutzbund nimmt das Geld nicht an.
Kindern, Jugendlichen und ihren Familien würden Grundwerte wie Achtung vor Jedermann, Aufrichtigkeit, Hilfsbereitschaft und Solidarität vermittelt und „das Verständnis für unsere demokratische Grundordnung“ trainiert.
„So, wie diese Spendenabsicht kommuniziert wurde, können wir uns mit unserer Haltung damit nicht einverstanden erklären“, so Landeschef Wolfgang Berzau.
Ist die Affäre um das Roland-Kaiser-Konzert der erste Fehltritt von Landtagspräsident Schellenberger?
Nein, bereits in der Vergangenheit machte der CDU-Politiker mehrfach Negativschlagzeilen. Er war bereits mehrfach in die Kritik geraten, unter anderem wegen einer Schirmherrschaft für ein privates Tennisturnier in seinem Wahlkreis Schönebeck.
2018 besorgte sich der damalige Staatssekretär als Dienstwagen einen 7er BMW mit Massagesitz. Die Begründung: Wegen eines Hüftschadens könne er in einem normalen Autositz nicht fahren. 2019 wurde bekannt, dass Schellenberger nach Singapur fliegen wollte – obwohl es dort keine dienstlichen Termine gab.
2021 kam heraus, dass Schellenberger auf Steuerzahlerkosten und während der Arbeitszeit einen Englischkurs absolviert hatte.
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Erst kürzlich wurde bekannt, dass Schellenberger versucht hatte, 5.000 Usbeken nach Sachsen-Anhalt zu holen – obwohl er dafür keinerlei Zuständigkeit hat und die zuständigen Ministerien nicht involviert waren.