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Johanna Adorjáns Roman „Ciao“ im Puppentheater Halle Weißer Mann, was nun?

Wie ein Kulturjournalist mit seiner schwindenden Bedeutung ringt, zeigt Ralf Meyers Inszenierung von Johanna Adorjáns Roman „Ciao“.

Von Christian Eger 28.11.2022, 17:14
Hans ohne Glück: Hans Benedek, vormals Star-Feuilletonist des Blattes „Die Zeitung“. Sein Motto: „Bis zur Rente schaffe ich  noch.“ Links: Claudia Luise Bose, hinten Mitte: Nils Dreschke, rechts: Louise Nowitzki
Hans ohne Glück: Hans Benedek, vormals Star-Feuilletonist des Blattes „Die Zeitung“. Sein Motto: „Bis zur Rente schaffe ich noch.“ Links: Claudia Luise Bose, hinten Mitte: Nils Dreschke, rechts: Louise Nowitzki (Foto: Falk Wenzel)

HALLE/MZ - Der Redakteur hat’s manchmal schwer. Und der hier ganz besonders. Bevor das Spiel beginnt, ist er schon am Ende. In sich eingesunken, sitzt die Ganzkörperfigur des Kulturjournalisten Hans Benedek auf einem Armlehnstuhl mitten auf der halleschen Puppentheaterbühne: Der Oberkörper klappt in den aufgeklappten Laptop hinein.

Ein Mahnmal des von allen guten Geistern verlassenen Feuilletonisten, der jetzt darauf wartet, dass ihm die Puppenspieler Leben einhauchen. Das ist auch eine witzige Pointe, denn der Kulturjournalist lebt – auch wenn er es anders sehen mag – vom Leben der Künstler, über das er berichtet.

Das Problem ist nur: Seine Berichte sind nicht mehr unentbehrlich. Die Gesellschaft braucht nicht mehr den einen großen Berichterstatter, um zu erfahren, was in ihr passiert. Benedek, Starautor des Blattes „Die Zeitung“, der Deutungsriese von gestern – „Edelfeder“, Preisejäger, Spesenritter – ist ein Sitzzwerg von heute. Mit dem großen Echo hat er seinen inneren Kompass verloren.

Es ist Zeit, Ciao zu sagen. „Ciao“ heißt der 2021 veröffentlichte Roman der Berliner Kulturjournalistin Johanna Adorján. Ein Buch, das um den Kulturjournalisten Hans Benedek ein kleines satirisches Milieu-Drama entfaltet, das jetzt von Ralf Meyer aus dem Roman gezogen und auf die Bühne des halleschen Puppentheaters gebracht wurde.

Verlorene Illusionen

Knapp mehr als eine Stunde dauert der Gang ins Benedeksche Abklingbecken der vormaligen Bedeutung. Ein Gang, der sich bei Meyer manchmal wie in einem Spaßbad, manchmal wie am stillen Ufer eines traurig tiefen Sees ereignet. Video, Tanz, Gesang und Gymnastik: In vielfach wechselnden Rollen sind Claudia Luise Bose, Louise Nowitzki und Nils Dreschke in Bestform zu erleben.

Die Puppe des Hans Benedek – graues Haar, blasser Teint, weißes Hemd – ist offenkundig der leibhaftige „alte weiße Mann“, auch wenn heute nicht klar ist, in welchem Alter eigentlich das „alte weiße Mann“-Sein beginnt: Schon mit Ende 20? Oder erst mit 40? Und was kommt nach der Rente? Die Unsichtbarkeit?

Von der ist der von Nils Dreschke geführte Hans Benedek akut bedroht. In der Redaktion setzen ihm die Controller zu, junge Praktikantinnen sägen an seinem Sessel, die Verbannung in die Online-Hölle droht. Was tun? Benedek versucht, sich an den Zeitgeist ranzuschmeißen: Der ist „woke“, divers und entschieden weiblich. So wie die literarische Star-Influencerin Xandi Lochner, gespielt von Claudia Luise Bose.

Auf Rat seiner Ehefrau Henriette – einer aus der Literatur- in die Yoga-Ausübung hinein resignierten Künstlerin – will Benedek ein Porträt der angesagten Xandi verfassen. Aber ein alter weißer Mann, der über eine junge diverse Frau schreibt? Geht gar nicht!, lacht die Chefredaktion. Da muss eine Frau mit ran, die wiederum an Hans ran will. Benedek wird sich fügen. „Verlorene Illusionen“ hieß der Balzac-Roman, den der Kulturbetriebler vor über 20 Jahren beim Kennenlernen mit seiner Frau gelesen hatte. Jetzt begreift er plötzlich für sich selbst, was das bedeutet.

Ciao mit Au - und Haha

Ralf Meyers Stückfassung von „Ciao“ ist ein Ciao mit Au – mit einigem Schmerz, der keinesfalls allein am glücklosen Hans klebt. Leicht durch den Wind sind hier alle. Denn vom vordergründigen – dabei aber keinesfalls grundstürzenden – gesellschaftlichen Wandel ist jeder betroffen, nur von unterschiedlichen Positionen und von unterschiedlichen Fallhöhen aus. Der von Louise Nowitzki gespielte Jungautor Lothar Herzig etwa, der auf Social Media mit Motivationssprüchen durchkommt, die Praktikantin Niki, die gedankenlos gut gelaunte Chefredakteurin.

Aber zum Glück ist das, was sich auf der Bühne ereignet, nicht nur ein Ciao mit Au, sondern auch mit einigem: Haha! Großartig, wenn sich – in dem insgesamt doch etwas zu elegischen Setting - ab und an das freie Lachen Bahn bricht. Wenn Benedek, vom Xandi-Projekt neu belebt, aus dem Ehebett heraus spontan verkündet: „Ich mache Eier!“ – nämlich Spiegeleier (Elsterglanz lässt grüßen). Oder wenn Benedek, hier noch einmal ganz der alte rücksichtslos vor sich hin schwadronierende Feuilletonist, der Xandi erklärt, woran man einen „guten“ Architekten erkennt. Nämlich an seinen Treppen! Schon folgt eine drucktaugliche Treppenkritik – ganz schlimm die im Deutschen Historischen Museum in Berlin (besser, den Fahrstuhl nehmen). „Und wo ist mal ’ne gute Treppe?“, fragt ehrlich entrüstet Xandi. Im Louvre, antwortet Hans.

Aber es ist nicht zu ändern: In allen erotischen und redaktionspolitischen Verwicklungen, die das hallesche Ensemble gut gelaunt präsentiert, führen für Hans die Treppenstufen herab. Der einzige Trost: Stress haben hier alle.

Xandi, Niki, Lothar – wer will da tauschen? Dieser neue Ernst, der mit Verzicht und Härte einhergeht. Das stete Kontrollieren. Alles wird korrekter, aber nichts fröhlicher. Auch Sport und Speise sollen nicht mehr steigern, sondern trösten: Yoga und Veggie.

Trost von Björk

Am Ende sitzen Hans und Henriette wie ausgesetzt nebeneinander in der Nacht. Weißer Mann, weiße Frau. Zwei, die einen neuen Weg finden müssen. Am rechten Bühnenrand steht Claudia Luise Bose und singt Björks Trostlied „Jóga“: „State of emergency / Is where I want to be“ – der Ausnahmezustand ist, wohin ich will. Und wie sie das singt, da will man sich gerne mit auf den Boden setzen. Aber man sitzt ja schon und der Saal applaudiert und trampelt.

Nächste Aufführungen: 1. und 2. Dezember jeweils um 20 Uhr (am 1.12. mit Einführung um 19.30 Uhr)