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Niederländer in Naumburg Stardirigent Ton Koopmann: „Bach ist mein Idol“

Ton Koopman aus den Niederlanden ist ein weltweit gefragter Dirigent, dessen Leidenschaft dem Werk des Leipziger Thomaskantors gilt – und der deshalb auch gern Naumburg besucht.

Von Kai Agthe 29.07.2024, 11:17
Ton Koopman am Spieltisch der Hildebrandt-Orgel in Naumburg
Ton Koopman am Spieltisch der Hildebrandt-Orgel in Naumburg (Foto: Kai Agthe)

Naumburg/MZ. - Ton Koopman liebt Bach und mag Naumburg. Dem Komponisten und Leipziger Thomaskantor kann er in der Welterbestadt an der Saale so nahe sein wie sonst wohl nirgends in Deutschland: dank der Hildebrandt-Orgel in der Stadtkirche St. Wenzel. „Es ist die einzige Orgel, von der wir wissen, dass sie Bach nicht nur gespielt, sondern auch mitkonzipiert hat“, so der 79-jährige Musiker aus den Niederlanden, der auf eine lange Karriere als international gefeierter Organist, Cembalist und Dirigent zurückblicken kann und der ein ausgewiesener Kenner der Alten Musik im Allgemeinen und der Musik Bachs im Speziellen ist.

Momentan ist der nimmermüde Musiker in Leipzig, wo er als Juror am Bach-Wettbewerb teilnimmt. Den Aufenthalt in der Messestadt nutzte Koopman am vergangenen Wochenende auch für einen Abstecher nach Naumburg, um einem Schüler, Pietro Paganini, die Möglichkeit zu geben, an der Hildebrandt-Orgel spielen zu können. Der junge Organist wird in Kürze in Amsterdam eine CD mit Bachs Orgelmusik einspielen. In Vorbereitung darauf sollte er auch einmal das Instrument in der Naumburger Stadtkirche gespielt und, wenn man so will, den Geist Bachs erfahren haben. Ermöglicht hat das der Wenzelsorganist Nicolas Berndt, der mit Koopman seit Jahren befreundet ist.

Vom Klang sofort fasziniert

Die Orgel hat Koopman bereits zu DDR-Zeiten kennengelernt, als er in den späten 1980er Jahren als Tourist nach Naumburg kam. Der Klang des Instruments des Gottfried-Silbermann-Schülers Zacharias Hildebrandt (1688-1757) habe ihn sofort fasziniert und nie wieder losgelassen. Seither kommt er oft und gern nach Naumburg, wenn er in Leipzig ist, wo Koopman das Amt des Präsidenten des Bach-Archivs innehat und alljährlich auch als musikalischer Leiter von Konzerten beim Bachfest zu erleben ist. Der Bach-Experte ist also ein Botschafter für das Naumburger Instrument in der Welt. „Alle sollen wissen, dass die wichtigste Bach-Orgel in Naumburg zu finden ist“, sagt Koopman, dessen Begeisterung für das Hildebrandtsche Instrument und Bach sich sofort auf den Zuhörer überträgt.

Eine Idee, auf die Koopman im Gespräch immer wieder zurückkommt, ist, dass die Stadt Naumburg das Potenzial, das sie mit der Hildebrandt-Orgel besitze, noch stärker nutzen möge. Zwar finde hier alljährlich der Orgelsommer und auch ganzjährig Konzerte an dem Instrument mit Organisten aus aller Welt statt, doch Koopman ist der festen Überzeugung, dass ein mehrtägiges Festival jedes Jahr Bach-Freunde aus aller Welt nicht nur nach Leipzig, sondern auch in die Saalestadt locken würde. „Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass von weither angereiste Gäste des Bachfests in Leipzig danach auch noch Station in Naumburg machen würden, wenn dort im Anschluss ein Festival stattfinden würde.“ Ihm sei durchaus bewusst, dass ein Bach-Festival Stadt und Land viel Geld und Kraft kosten würde. „Doch das Geld, das man in die Kultur investiert, kommt durch die Besucher in die Stadt zurück“, ist sich Koopman sicher.

Die Hildebrandt-Orgel
Die Hildebrandt-Orgel
(Foto: Imago)

Um den Weg dahin zu ebnen, sollte man die Bekanntheit der Hildebrandt-Orgel auch durch Publikationen steigern. „So weit ich sehe, gibt es kein Buch über die Geschichte des Instruments und die Personen, die mit ihm verbunden sind“, sagt Koopman. Neben Bach ist das unter anderem auch dessen Schüler und Schwiegersohn Johann Christoph Altnickol (1720-1759), der von 1748 bis zu seinem Tod Organist an St. Wenzel war.

Koopman wäre gern bereit, in einem Vorbereitungskomitee, das wichtige Bach-Forscher und Interpreten vereinen sollte, mitzuwirken. Das Gremium könnte die Stadt mit viel Expertise bei der Entwicklung eines Festivalkonzepts beraten, so der Musiker bei seinem Besuch in Naumburg.

Die Wenzelskirche mit ihrer wunderbaren Orgel biete sich für Konzerte mit großen Ensembles ebenso als Veranstaltungsort an wie die kleine Maria-Magdalenen-Kirche unweit des Marktes – die über eine Orgel von Friedrich Ladegast verfügt – für kammermusikalische Aufführungen. „Durch ihre ruhige Lage wäre die Maria-Magdalenen-Kirche auch für Musikaufnahmen bestens geeignet“, so Koopman, von dem man kaum glauben mag, dass er im Oktober seinen 80. Geburtstag feiert.

Arbeiten wie mit 50

Darauf angesprochen, sagt der Musiker, der in Holland, Frankreich und Italien daheim, aber noch immer in der weiten Musikwelt zu Hause ist: „Ich fühle mich nicht wie 80, deshalb kann ich arbeiten wie mit 50“, erklärt er im Brustton der Überzeugung, um mit einem Lächeln zu ergänzen: „Aber meiner Frau habe ich versprochen, nur bis 90 aktiv zu sein.“

Und so ist sein Kalender auch für die zweite Jahreshälfte rappelvoll: Als Dirigent ist Koopman 2024 noch in mehreren Ländern Europas sowie in den Vereinigten Staaten und Japan zu erleben. Kaum hat er seine kommenden Verpflichtungen als Dirigent aufgezählt, ruft prompt seine Sekretärin aus Holland an, da die Arbeit des gefragten Musikers auch am Wochenende nicht ruht.

Die Frage, ob es auch die musikalische Neugier sei, die ihn jung halte, beantwortet Koopman ohne zu zögern mit „Ja“. Der Musiker, der lange Jahre als Professor in Leiden und später Lübeck lehrte, hat sich auch intensiv mit dem Werk des Bach-Lehrers Dietrich Buxtehude beschäftigt, aber nur über den Leipziger Thomaskantor sagt er: „Bach ist mein Idol. Ich möchte alles über ihn wissen.“ Zum Glück habe er eine rührige Bibliothekarin, die ihm alle relevante Literatur über Bach beschaffe.

Und bevor sein Schüler Pietro Paganini Gelegenheit hat, setzt sich Ton Koopman an den Spieltisch der Hildebrandt-Orgel und spielt, mit den ersten Takten schon ganz in der Musik versunken, Bach, für den er in Naumburg – buchstäblich – alle Register zieht.