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Wolf Biermann in der Leopoldina Halle Es schwamm ein Stuhl im Saale-Strudel

Öffentliches Privatkonzert zum 80. Geburtstag: Wolf Biermann ehrt den Kunsthistoriker Andreas Hüneke.

Von Christian Eger 24.03.2024, 17:32
Wolf Biermann (links) und Andreas Hüneke in Halle. Der Liedermacher präsentiert ein 1943 von seiner Mutter Emma in Halle aufgenommenes Foto.
Wolf Biermann (links) und Andreas Hüneke in Halle. Der Liedermacher präsentiert ein 1943 von seiner Mutter Emma in Halle aufgenommenes Foto. (Foto: Falk Wenzel)

Halle/MZ. - „Mit keiner Faser“ hätte er daran gedacht, sagt Andreas Hüneke, dass die Tatsache, dass ihm zu seinem 80. Geburtstag eine zweitägige Konferenz in Halle gewidmet wird, auch noch mit einem Auftritt Wolf Biermanns überboten werden könnte. Aber genauso geschah es am Freitagabend.

Unterwegs zur Buchmesse nach Leipzig, traf der befreundete Sänger in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein, um den in Potsdam lebenden Kunstwissenschaftler am Ende des ersten Konferenztages mit einem öffentlichen Privatkonzert zu ehren. Andreas Hüneke, der als freier Kunsthistoriker in der DDR bahnbrechend für den Expressionismus stritt und zur „entarteten Kunst“ forschte. In den 1970er Jahren war der Pfarrerssohn Mitarbeiter an der Moritzburg, die ihm die Tagung mit dem Titel „Freiheit kommt nie verfrüht“ ausrichtete.

Ein Biermann-Zitat aus „Warte nicht auf beßre Zeiten“. Und Biermann wartete nicht. Die lange lobende Einführung des Jubilars unterbrach er, um den Jubilar zu preisen. Mit einer Fotografie, die seine Mutter Emma 1943 von einem Strudel in der halleschen Saale gemacht hatte, in dem ein Stuhl schwimmt. Der sechsjährige Wolf war damals dabei, als „Tarnkind“ für ein Untergrundtreffen mit der Kommunistenfamilie Feist, der Margot Honecker entstammte. Eine gerahmte, mit Widmung versehene Kopie des Bildes überreichte der Sänger. Er freue sich, einmal einen jungen Mann zu treffen, sagte der 87-Jährige.

Anderthalb Stunden sprach und sang der Sänger. Aus gegebenem Anlass immer auch über die Bildende Kunst. „Ich hatte mehr Maler- als Schriftstellerfreunde in der DDR“, sagte er, die Maler seien „im allerklügsten Sinne dümmer“ als die Literaten, leichtsinniger, klarer, wenn es darauf ankäme. Er sprach von dem Maler Strawalde, der als Dokumentarfilmer Jürgen Böttcher hieß. Von dem Maler Ronald Paris, mit dem er eng befreundet war, bis sich dieser gegen den Prager Frühling erklärte. Eine Biermannsche musikalische Malschule in Erinnerungen, Bonmots, Liedern.

Den rechten Fuß auf dem Gitarrenkoffer vor dem Stuhl, spielte Biermann – gut bei Stimme und in den Saiten – einige Klassiker: das „Barlach Lied“ („Vom Himmel auf die Erden / Falln sich die Engel tot“), „Rencontre à Paris“, „Kleines Lied von den bleibenden Werten“, schließlich „Ermutigung“. Auch nach Jahrzehnten: Passt immer. „Du, lass dich nicht verhärten / In dieser harten Zeit“. Und, lautstarker Beifall, „nicht verbittern“.