„Der (vor)letzte Panda“ am Thalia in Halle Als sie träumten
Vier junge Menschen reden über ihr Leben und was sie von ihm erwarten: Deutsche Erstaufführung von Dino Pešuts Jugendstück „Der (vor)letzte Panda oder Die Statik“ in Halle
Der Titel „Der (vor)letzte Panda oder Die Statik“ ist ein poetisch blinkendes Irrlicht. Das Stück könnte auch „Weg von Daheim“ – oder „Zurück nach Hause“ heißen. Oder „wir träumen uns ein Leben“. Er könnte aber auch eine Zeile aus dem letzten Song aufnehmen. Dort folgt auf die schlechte Nachricht, dass wir alle zu Staub zerfallen, die gute: „Heute nicht – Es bleibt noch Zeit für dich und mich“.
Der metaphorische Panda hat sich jedenfalls verkrümelt. Wird aber nicht vermisst, denn es geht ums Erwachsenwerden. Und panda-niedlich ist diese Lebensphase meistens eh nicht. Schon gar nicht, bei Marin, Ana, Marija und Luka.
Auf der Suche
Alle vier sind 1990 in der kroatischen Kleinstadt Sisak geboren worden. So wie der Autor Dino Pešut selbst auch. Also eigentlich sind da im Geiste und real fünf Leute auf der halleschen Bühne, die man zu einer Generation rechnen kann, deren Kindheit und Erwachsenwerden von den Folgen jenes Krieges überschattet ist, in dem Jugoslawien in Hass und Bombenhagel unterging.
Uraufgeführt wurde das 2018 mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis bedachte Stück 2015 in Zagreb. Der Zugang zum deutschen Sprachraum lässt sich kaum prominenter denken, als mit einem Entre über das Burgtheater in Wien 2019. Es gehört auf die Habenseite des Thalia Theaters in Halle, sich die deutsche Erstaufführung gesichert zu haben.
Für ihre Inszenierung haben Regisseur Christoph Macha und Ausstatterin Juliane Kann die Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühne aufgehoben. Viele der Zuschauer sitzen mit auf der Bühne. Das (bei der Premiere vorwiegend junge) Publikum ist Teil dieses Spiel-und Traumraumes, der ohne realistische Versatzstücke auskommt. Ein paar Quader mit Löchern, die man nach belieben umbauen, stapeln, erklettern kann. Neon-Leuchtstäbe und hinten rechts ein Klavier, an dem Alexander Pensel den 80-minütigen Abend mit Danger Dans Lied „Beginne den Tag mit einem Lächeln“ eröffnet und mit „Eine gute Nachricht“ beschließt.
Dazwischen träumen sie sich in ein „normales“ Leben zurück oder hinein. Und schlittern dabei in die Wirklichkeit, beginnen ihr Leben. Im Kindergarten, in der Schule, dann zehn Jahre nach dem Abitur. Alle auf der Suche nach sich selbst, auf schwankendem Grund, aus zerstörter Geschichte, plötzlich toxischer nationaler oder angefeindeter sexueller Identität. Serbe, Schwuchtel, Kommunist sind verbale Türöffner für ausbrechende Gewalt.
Es sind Monologe der Suche und Einsamkeit, die manchmal wie Dialoge klingen, und dann wieder wie ein vielstimmiges Gemurmel. Man muss sich schon konzentrieren, um den Einzelnen auf den Fersen zu bleiben bei ihrer Zeitreise aus ihrer Kindheit und Jugend in die Zukunft und zurück. Im durchlässigen Bühnenraum gelingt es Jenny Groß (Ana), Kinga Schmidt (Marija), Franz Blumstock (Marin) und Alexander Pensel (Luka) so souverän wie spielerisch, zwischen den Zeitebenen hin und her zu wechseln, den Habitus der Kinder, der Jugendlichen und der jungen Erwachsenen unaufgesetzt zu imaginieren. Sie spielen mit den Geschenken aus dem Westen und übernehmen die wie aus dem Nichts aufbrechenden Feindbilder ihrer Familien. Sie sind auf der Suche. Und bleiben es vorerst auch. „Lasst uns Wohlstand spielen, lasst uns Europa spielen.“ hieß es schon in ihrer Kindheit.
Ana will Schriftstellerin werden und einen Essay schreiben und landet in Paris. Marin will irgendwie reich und mächtig werden, als Gangster oder mächtiger Mann mit Aktentasche ist ihm egal. Luka träumt von der Freiheit eines schwulen Lebens in Kopenhagen und einem Traumtypen für sich selbst. Marija liebt billige Schminke, wird Kinder bekommen und eine Vorkämpferin für die Werte der Familie. Wenn der schwule Luka gemobbt wird, ist das noch eine von möglichen allgemeinen Erfahrungen.
Viel Raum für Diskussion
Marijas politisches Engagement deutet liberale und emanzipatorische Defizite an, die hier nur ein individuelles Problem Lukas bleiben, der dennoch in einer Art Hassliebe seiner Stadt verbunden bleibt.
Nicht nur da, sondern auch bei Frontstellungen des Jugoslawienkrieges (inklusive unserer eigenen Verwicklungen), eröffnet sich für die jungen Zuschauer und ihre Lehrer die Chance für ein weites Feld von Diskussion. Nicht das Schlechteste, was man von einem Theaterbesuch mitnehmen kann.
Nächste Aufführungen: In der nt-Kammer des Neuen Theaters am 6. und 7. November sowie mit anschließendem Publikumsgespräch am 3. Dezember, jeweils 18 Uhr