Kampfhundgesetz Kampfhundgesetz: Der Vorfallshund
DESSAU/MZ. - Konfrontation mit anderen Hunden, der Schrei einer Passantin, die Bedrohung mit einem Stock. Jessy scheint das alles gar nicht zu interessieren. Sie bleibt ruhig, guckt aus dunkelbraunen Augen zu ihrer Besitzerin auf und fiept ab und zu. Dass die Hündin vor dem Gesetz als "Kampfhund" gilt - dafür scheint es keine Anzeichen zu geben.
Trotzdem: Um ohne Maulkorb durch die Welt gehen zu dürfen, muss Jessy einen Wesenstest bestehen. Denn sie gehört zu einer der vier Rassen, die unter die Kampfhundeverordnung des Landes fallen. "Aber bei ihr bestehen keine Bedenken, dass sie jemanden angreift", sagt Held und schreibt eine weitere Eins in das letzte verbliebene Kästchen.
Nachdem das Gesetz im März in Kraft getreten war, hat Held eine Lizenz für den Wesenstest erworben. Damit ist der Tierarzt aus Dessau einer von nur 19 Gutachtern in Sachsen-Anhalt. Trotzdem war die Nachfrage bisher gering, Jessy ist für ihn der erste Fall. Ob sie weiterhin als "gefährlich" eingestuft wird, entscheidet allerdings nicht er selbst, sondern - basierend auf seiner Empfehlung - das Innenministerium.
Da Jessy gut trainiert ist, wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach bald ohne Maulkorb auf die Straße dürfen. Schwieriger ist die Situation dagegen bei sogenannten "Vorfallshunden" - Tiere, die schon einmal jemanden angegriffen haben. "Mit denen muss man ganz anders umgehen, vorsichtiger sein", sagt Held. Außerdem sind in diesen Fällen auch die Besitzer gefragt. Sie müssen nachweisen, dass sie mit einem aggressiven Hund umgehen können, einen Sachkunde-Nachweis erbringen.
Wie der genau aussehen soll, ist bisher allerdings unklar. Nach Angaben des Innenministeriums ist für den theoretischen Teil bereits ein Fragebogen erstellt worden. "Wir warten noch auf die Prüfung durch das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt", erklärt Sprecher Michael Kraska. Erst dann könne der Fragebogen veröffentlicht und zumindest der theoretische Test umgesetzt werden. Für den praktischen fehlten noch die Vorgaben des Landesverwaltungsamtes.
Die mangelnden Richtlinien erschweren auch die Arbeit der Ordnungsämter zusätzlich. Sie müssen die Vorschriften in den Gemeinden umsetzen, doch freiwillig hatten sich bis Anfang August nur vereinzelt Hundehalter gemeldet. Auch bis heute sind zum Beispiel in Bernburg erst zwei Besitzer von gefährlichen Hunden bekannt, die den ordnungsgemäßen Wesenstest der Tiere durchgeführt haben. Ordnungsamtsleiterin Steffi Köster glaubt nicht, dass damit alle Fälle in und um Bernburg erfasst sind. "Aber es ist schwierig, die Halter ausfindig zu machen, weil die Rassen bei der Hundesteuer hier nicht separat aufgeführt werden", erklärt sie.
Langsam wird es allerdings ernst für die Hundehalter. Sechs Monate nach der Einführung des Gesetzes ist in vielen Gemeinden die Schonfrist abgelaufen. Die Ämter haben begonnen, Briefe zu verschicken. "Wir vermuten bei manchen Haltern gefährliche Hunde", sagt Holger Schumann vom Ordnungsamt in Naumburg, "die schreiben wir an und setzen ihnen eine Frist." Reagieren die Besitzer nicht, droht eine Anzeige.
35 solcher Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeit laufen in der Stadt Halle schon. 116 Halter von Hunden der vier betroffenen Rassen sind bekannt, insgesamt haben erst vier einen Wesenstest durchführen lassen. "Das Argument, dass es zu wenige Gutachter gibt, kann ich nicht verstehen", sagt Bernd Wiegand, Beigeordneter des Dezernats für Sicherheit, Gesundheit und Sport in Halle. Es gebe zwar keinen Tester in Halle, im Saalekreis dafür mehrere. "Ich glaube eher, die Halter haben Respekt vor den Kosten."
300 bis 400 Euro kostet so ein Wesenstest - auch für Jessys Besitzerin Yvonne Chomse eine hohe Summe. Wäre der Test nicht verpflichtend, wäre sie nie auf die Idee gekommen, eine solche Prüfung anzugehen. "Jessy ist eine alte Dame, wird bald zehn Jahre alt. Sie war sogar in der Hundeschule und hat noch nie jemanden angegriffen", sagt Chomse. Und fügt hinzu: "So wie es jetzt ist, habe ich für das Gesetz kein Verständnis."