Käfer zum Frühstück
ASCHERSLEBEN/MZ. - Es ist ein wenig unheimlich im Ascherslebener Stadtpark. Dunkle Wolken sind am Himmel, die Sonne hat sich noch nicht einmal blicken lassen, und das dichte Grün der Blätter lässt kaum einen Lichtstrahl durch. Ich rutsche in meiner viel zu großen Gummihose auf Knien durch ein Beet mit feuchter Erde. Zwischen einem ganzen Wald von Giersch stehen vereinzelt Efeupflanzen. Problem Nummer eins: Der Efeu muss bleiben, das Giersch aus der Erde. Problem Nummer zwei: Wie unterscheide ich Giersch und Efeu? Problem Nummer drei: Was zum Teufel ist Giersch?
Ich bin gerade einmal seit knapp einer halben Stunde Landschaftsgärtner des Bauwirtschaftshofes in Aschersleben, und schon jetzt neigen sich meine Fachkenntnisse erschreckenderweise ihrem Ende entgegen. Eigentlich ist das auch kein Wunder: Ich habe sie mir in Jugendzeiten eher widerwillig im Garten meiner Eltern erarbeitet. Aus dem Grund steigt meine Bewunderung für Jeannette Beyer und Edith Frommann ins Unermessliche.
Die beiden sind Landschaftsgärtnerinnen aus Leidenschaft - Edith sogar schon seit 1983. Jeden Morgen heißt das gegen 5 Uhr aufstehen, im Winter bei Schneefall sogar noch mal fast zwei Stunden früher. Denn dann werden aus den Landschaftsgärtnerinnen die Winterdienstfeen. Aber zum Glück für mich ist Sommer. Seit 6.30 Uhr sind Edith, Jeannette und ich das "Trio infernale", das für die Pflege der knapp 16 (!) Hektar Rasen, Wege und Beete der ehemaligen Flächen der Landesgartenschau, die im vergangenen Jahr in Aschersleben stattfand, zuständig ist. Eine Kollegin ist krank, der Lehrling in der Schule - eine üppige Arbeitskraftausstattung sieht sicher anders aus. Aber das schweißt von der ersten Minute zusammen, wir sind gleich per Du.
Kaum hat der Chef des Grünteams des Bauwirtschaftshofes, Holger Dietrich, die Aufgaben des Tages an die einzelnen Gruppen verteilt, nehmen mich die beiden Frauen in ihre Obhut. Ich bekomme einen Becher Kaffee, dann noch ein paar Handschuhe, und schon geht es mit dem auffälligen orangefarbenen Transporter in Richtung Stadtpark.
Bislang war alles gut. Doch nun krauche ich in diesem Beet mit meinen drei Problemen. Zum Glück schuften Edith und Jeannette neben mir. Sie klären mich auf, dass Giersch ein lästiges Unkraut ist, sich wuchernd ausbreitet und sich wegen seiner unterirdischen Triebe nur schwer bekämpfen lässt. Trotzdem müssen sie die eine oder andere von mir als Unkraut identifizierte Efeupflanze aus dem Beet vor dem Abfallkorb bewahren. Aber ich lasse mich davon nicht unterkriegen und zeige Einsatz. Die Gummihose klebt inzwischen unangenehm an meinen Beinen, und der Schweiß läuft mir über die Stirn, als es plötzlich unter meiner Jacke am Arm anfängt zu krabbeln. Das Adrenalin schießt in meinen Körper: Eine Spinne? Ein Regenwurm? Ein Tausendfüßler? Ein Riesenkäfer? Panik macht sich bei mir breit. Es kann so ziemlich alles sein: Schließlich kreucht und fleucht es um mich herum wie in einem Terrarium. Jeder Vogel würde sich hier wie im Paradies fühlen. Ich versuche verzweifelt, das Krabbeln abzustellen und meine Furcht vor den Frauen zu verbergen. Zumindest das Krabbeln hört nach ein paar beherzten Schlägen auf meinen Oberarm auf, der Käfer ist tot. Dann haben Edith und Jeannette ein Einsehen mit mir. Sie sagen, es sei zu schlammig, um weiter Unkraut zu ziehen. Ich habe eher die leise Vermutung, dass sie Angst haben. Angst, dass nach meinem Arbeitseinsatz in dem Beet kein Efeu mehr steht. Aber das ist mir jetzt auch egal. Ich bin froh, dass die Arbeit vorbei ist und frage nicht nach. Manche Dinge will ich lieber nicht wissen.
Jetzt wird "gefitschelt". Das Wort steht in keinem Duden und ist offenbar eine Erfindung der Mitarbeiter des Ascherslebener Bauwirtschaftshofes. So recht kann sich Edith Frommann daran nicht erinnern, aber es wird seit Jahren für "das Laub zusammenfegen" verwendet. Es scheint mir, als sei das hier im Stadtpark eine Lebensaufgabe. Dabei ist noch nicht einmal Herbst und die Blätter hängen noch an den Ästen. Aber die Lindenbäume haben ganze Arbeit geleistet und die Blüten auf allen Wegen und Beeten eine Deckschicht hinterlassen, die weggeräumt werden will. Doch an der frischen Luft macht die Arbeit Spaß. Wir drei harken und reden, reden und harken. Edith, Jeanette und ich machen das mit so viel Enthusiasmus, dass wir fast unsere Frühstückspause vergessen.
Einen Kaffee, eine Tomate und einen Pfirsich später geht es weiter, die Wege von den Lindenblüten zu befreien. Jetzt bekommen wir auch Unterstützung vom Verein Lebenshilfe. Neun Mitarbeiter fassen mit an, mähen Rasen, schneiden die Hecken, sammeln den Müll auf. "Ohne diese Unterstützung wäre das alles gar nicht machbar", sagt Jeannette Beyer. Sie sind alle zusammen ein gutes Team, die Stimmung ist gut. Jeder macht mal einen Spaß, dann wird gelacht. Ich fühle mich wohl. So vergeht die Zeit wie im Flug. Ich schneide noch Hecken, kehre Fußwege, "fitschle" wieder. Einmal das komplette Programm. Nur die Rasenflächen und Beete bewässern muss ich heute nicht. Das erledigt Petrus von oben.
Es ist kurz nach 15 Uhr, als es auf den letzten Arbeitsweg geht. Der führt uns zum Wertstoffhof. Dort kommt all das auf den Komposthaufen, was sich in den vergangenen knapp neun Stunden angesammelt hat. Und das ist eine ganze Menge. Danach geht es mit dem orangefarbenen Flitzer zurück ins Depot des Bauwirtschaftshofes.
Selten habe ich mich so auf eine Dusche gefreut: Geschafft lasse ich mir das warme Wasser über die Haut perlen. Herrlich! Es gibt noch einen Abschiedskaffee, und dann entschuldige ich mich bei Edith und Jeannette, dass sie das Beet nun ohne mich weiter vom Giersch befreien müssen. Aber ich verspreche ihnen, dass ich es mir anschauen werde. Bei einem Spaziergang durch den wunderschön gepflegten Stadtpark.
Nächste Folge der MZ-Serie: Wie arbeitet eine Komparsin?